SP-Chef Christian Levrat ist unzufrieden mit den FDP-Bundesratskandidaten
«Kein Format», «Super-Lobbyisten», «Ultrarechte Positionen»

Cassis, Moret und Maudet haben laut SP-Präsident Christian Levrat nicht das Format von Didier Burkhalter. Im BLICK-Interview erklärt er, warum er von der FDP und den anderen bürgerlichen Parteien enttäuscht ist.
Publiziert: 26.08.2017 um 00:49 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 17:38 Uhr
«Ignazio Cassis und Isabelle Moret führen sich im Bundeshaus als Superlobbyisten auf», sagt Christian Levrat. «Ich vermisse bei ihnen das Fingerspitzengefühl und das Bewusstsein für moralische Standards.»
Foto: Philippe Rossier
Interview: Ruedi Studer und Joël Widmer

BLICK: Herr Levrat, sind Sie mit dem Kandidaten-Trio der FDP zufrieden?
Christian Levrat: Ich bin enttäuscht. Diese Kandidatenauswahl bedeutet die Rückkehr zum alten FDP-Wirtschaftsfilz.

Was meinen Sie konkret?
Ignazio Cassis und Isabelle Moret sind die Kofferträger von Einzelinteressen: Cassis mit seinen Krankenkassenmandaten, mit denen er 180’000 Franken jährlich verdient und niemand so recht weiss, wofür. Und Moret mit ihrem Mandat für den Spitalverband H+ und ihren Verbindungen zur Rüstungs- und Lebensmittelindustrie.

In der Politik sind Verbandsmandate doch völlig normal.
Es gab Zeiten, da waren FDP-Grössen zwar mit der Wirtschaft verfilzt. Im Parlament haben sie sich aber trotzdem zurückgehalten, wenn es um die unmittelbaren Interessen ihrer Verbände ging. Bei Cassis und Moret ist es umgekehrt: Sie führen sich im Bundeshaus als Superlobbyisten und knallharte Interessenvertreter auf. Ich vermisse bei ihnen das Fingerspitzengefühl und das Bewusstsein für moralische Standards.

Dann dürften die Bürgerlichen aber auch nie einen linken Gewerkschafter in den Bundesrat wählen.
Es sind zwei Paar Schuhe, ob man die breite Arbeitnehmerschaft vertritt oder die knallharten Interessen weniger Unternehmen.

Foto: KEY

Dann bleibt der SP ja nur eine Wahl: der Genfer Staatsrat Pierre Maudet.
Als Regierungsrat hatte er keine Gelegenheit, sich die Hände mit einem Lobbymandat schmutzig zu machen. Was uns aber stört: Er vertritt in Ausländer- und Asylfragen ultrarechte Positionen.

Dafür steht er Ihnen in der Europafrage nahe.
Überhaupt nicht! Für ihn haben in der Aussenpolitik die wirtschaftlichen Interessen Vorrang – das liegt nicht auf unserer Linie. Maudet versteht den Aussenminister offenbar als Marketingchef von Nestlé oder ABB. Und bei den institutionellen Fragen mit der EU will er strittige Punkte an ein Handelsschiedsgericht delegieren. Das untergräbt die Souveränität des Staates.

Dann ist Ihnen keiner der drei gut genug?
Die Auswahl liegt unter den Erwartungen. Ich höre auch aus anderen Parteien, dass man nicht zufrieden ist. Wen wir wählen, ist derzeit völlig offen. Unsere Fraktion wird die FDP-Kandidaten anhören und erst dann entscheiden.

Nächsten Freitag nominiert die FDP. Pochen Sie auf ein Dreierticket, damit Sie wenigstens alle Kandidaten in den Hearings haben?
Ich hätte zumindest Fragen an alle drei. Schlussendlich ist es aber Sache der FDP, sie muss die Verantwortung für ihre Bundesräte tragen. Bei den letzten Wahlen hatte sie diesbezüglich ja nicht gerade eine glückliche Hand.

Bestreiten Sie den FDP-Anspruch auf den Bundesratssitz?
Sagen wir mal so: Mich überrascht die Haltung von CVP-Präsident Gerhard Pfister, der den FDP-Anspruch aus Angst reflexartig akzeptiert hat. Das war 2009 noch anders. Ein kühlerer Kopf hätte der CVP etwas bringen können.

Dann sind Spielereien mit einer wilden Kandidatur für die SP eine Option?
Das haben wir nie gemacht. Nur dann, wenn die Parteien versucht haben, ein Diktat durchzudrücken, wie die SVP bei Blocher oder Maurer.

Diesmal kann man nicht von einem Diktat sprechen.
Ich finde die Auswahl aber schon starken Tobak. Die lateinische FDP präsentiert eine Auswahl an Lobbyisten. Es ist wohl das erste Mal in der Geschichte, dass wir keinen staatstragenden Freisinnigen mehr haben könnten. Ich stelle fest: Diese Kandidaten haben nicht das staatstragende Format eines Jean-Pascal Delamuraz, eines Pascal Couchepin – oder eines Didier Burkhalter.

Wenn jetzt ein FDP-Mann gewählt wird: Was heisst das bei der Nachfolge von Johann Schneider-Ammann, die in den nächsten ein, zwei Jahren ansteht?
Diese Frage würde ich mir als FDP-Chef stellen: Wie verträgt es sich, dass die FDP durch einen Tessiner und eine Ostschweizerin vertreten sein wird?

Sie rechnen also bereits mit Karin Keller-Sutter als künftige Bundesrätin?
Ich komme gut mit ihr aus.

2010 haben sie Keller-Sutter verteufelt und auf Schneider-Ammann gesetzt. Würden Sie die St. Gallerin mittlerweile wählen?
Damals gab es ja auch eine Frauenmehrheit im Bundesrat. Aber unabhängig von der Frau-Mann-Geschichte droht der FDP, dass sie keine Vertretung aus dem Grossräumen Zürich und Romandie mehr hat. Aber wie gesagt: Das ist das Problem der FDP.

«Die FDP-Kandidaten haben nicht das staatstragende Format eines Jean-Pascal Delamuraz, eines Pascal Couchepin oder eines Didier Burkhalter», sagt SP-Präsident Christian Levrat.
Foto: Philippe Rossier

Doris Leuthard will bis spätestens 2019 zurücktreten. Johann Schneider-Ammann und Ueli Maurer sind im Pensionsalter. Sollen die drei gleich gemeinsam zurücktreten?
Das wäre gut. Es würde ermöglichen, mit den Bürgerlichen eine ernsthafte Diskussion über die Gleichstellung in ihren Parteien zu führen. Etwa über die Anzahl Frauen, die sie in ihren Parteien aufbauen. Die Schweiz hat ein Gleichstellungsproblem – und es ist ein Problem der rechten Parteien. Uns hingegen ist es gelungen in den letzten 20 Jahren in Führungspositionen eine ausgeglichene Vertretung zu haben.

Wenn es die SP mit der Gleichstellung ernst meint, muss sie doch jetzt Frau Moret wählen. Doch Sie finden schon wieder ein Haar in der Suppe.
Wenn es der FDP ernst wäre mit einer Frauenvertretung, würde sie mit zwei Frauen antreten. Das haben wir immer so gemacht.

Sie können den Tatbeweis aber auch bei den anderen Parteien antreten. SVP-Chef Albert Rösti hat Magdalena Martullo-Blocher als mögliche Bundesrätin lanciert. Würden Sie Martullo wählen?
Das würde das Problem nicht lösen, dass es in der SVP-Fraktion fast keine Frauen gibt. Sie können nicht eine Alibifrau präsentieren und meinen, damit sei die Gleichstellung erledigt. Es geht nicht, dass die FDP seit 19 Jahren keine Frau mehr im Bundesrat hatte, und es geht auch nicht, dass die SVP noch nie eine Frau im Bundesrat hatte, ausser jener, die dann postwendend aus der Partei geworfen wurde.

Am 20. September wird der Bundesrat gewählt, am 24. September kommt Alain Bersets Rentenreform vors Volk. Soll der Bundesrat bis nach der Abstimmung mit Departements-Verteilung zuwarten, um allenfalls eine Rochade zu ermöglichen?
Nein. Es ist keine Abstimmung, in der es um Personenfragen geht. Es geht nicht um Berset, sondern um eine ausgewogene Rentenreform, die sorgfältig erarbeitet wurde und die Renten für die nächsten 15 Jahre sichert.

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