SP-Chef Christian Levrat fordert vom Wirtschaftsminister Taten zur Rettung des Werkplatzes Schweiz
«Bei uns heisst er Johann Schneider-en-panne»

Nicht nur Banken seien systemrelevant, sondern auch viele Industriefirmen, sagt SP-Chef Christian Levrat im BLICK-Interview. Deshalb fordert er vom Bundesrat eine Industrie-Strategie.
Publiziert: 22.02.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 07:20 Uhr
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Angriffig: SP-Chef Christian Levrat nimmt Wirtschaftsminister Schneider-Ammann ins Visier.
Foto: Remo Naegeli
Christoph Lenz

BLICK: Herr Levrat, fast täglich gibt es neue Hiobsbotschaften über Entlassungen, Konkurse und Auslagerungen. Trotzdem will Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann nicht handeln. Ein Fehler?
Christian Levrat:
Johann Schneider-Ammann leidet an einer psychologischen Blockade. Er tut überhaupt nichts. Zelebriert das reine Laisser-faire. In der Romandie hat er deshalb schon einen Übernamen erhalten. Man nennt ihn dort «Johann Schneider-en-panne». Übersetzt: Schneider-Ammann ausser Betrieb.

Er war ein erfolgreicher Industriepatron. Wenn er jetzt vor Eingriffen zurückschreckt, dann doch deshalb, weil er weiss, dass sie nichts bringen.
Das sehe ich anders. Er beruft sich zwar laufend auf seine Erfahrung als Unternehmer. Aber er schaut tatenlos zu, wie die Industrie verschwindet. Seine Verweigerung ist rein ideologisch. Die Folgen sind katastrophal.

Harte Worte. Was müsste der Bundesrat Ihrer Ansicht nach tun?
Ich ziehe den Vergleich mit der Finanzkrise. Damals hat die Regierung entschlossen reagiert. Und es hat sich gelohnt.

Was hat man damals ­besser gemacht?
2008 steckte der Finanzplatz in einer doppelten Krise. Erstens brachen die Börsen zusammen – als Folge der Lehman-Pleite. Zweitens war mit dem Bankgeheimnis das langjährige Geschäftsmodell unserer Banken am Ende. Was tat der Bundesrat? Er hat systemrelevante Banken definiert und setzte eine Arbeitsgruppe Finanzplatz ein, die eine Finanzplatz-Strategie erarbeitete. Mit Erfolg. Heute sind unsere Banken neu positioniert und haben wieder Erfolg.

Sie fordern eine Arbeitsgruppe ­Industrie?
Ja, es braucht eine Industrie-Strategie, wie damals eine ­Finanzplatz-Strategie. Auch der Werkplatz befindet sich in einer doppelten Krise. Die Konjunktur schwächelt, der starke Franken verschärft dieses Prob­lem. Hinzu kommt eine strukturelle Komponente: Die vierte industrielle Revolution zwingt Unternehmen, sich neu zu erfinden. Auf diese Herausforderungen müsste der Strategierat Werkplatz, in dem Unternehmer, Experten, die Politik und die Wissenschaft sitzen, Antworten finden.

An welche Massnahmen denken Sie?
Eines haben die Fälle Alstom und Syngenta gezeigt: Selbst bei enorm wichtigen Firmen können wir heute weder einen Ausverkauf ins Ausland verhindern noch bei den Konditionen mitreden. Da stellt sich die Frage: Brauchen wir eine Art ­Bewilligungsverfahren für Übernahmen und Investitionen in wichtigen Branchen? Die USA haben dafür eine Kommission. Derzeit nimmt sie übrigens den Syngenta-Deal unter die Lupe! Ist das nicht kurios? Ein Schweizer Konzern wird von einem kommunistischen Unternehmen gefressen. Der Schweizer Wirtschaftsminister hakt den Deal ab, nur die Amis haben da so gewisse Zweifel.

Sagen Sie, die Schweiz hätte den Syngenta-Verkauf verhindern ­sollen?
Das müsste im Detail angeschaut werden. Aber ich verstehe nicht, warum nur die Banken in der Schweiz systemrelevant sein sollen. Der Werkplatz ist enorm wichtig. Er muss besser geschützt werden. Es gibt durchaus Industrien und Firmen in der Schweiz, die ich als systemrelevant bezeichnen würde.

Welche?
Zum Beispiel die Tamoil-Raffinerie in Collombey, die vor Jahren an Libyen verkauft wurde, obwohl Hunderte Arbeitsplätze an ihr hängen. Jetzt wird sie dichtgemacht, ohne dass die Besitzer ihre Verantwortung wahrnehmen. Vielleicht hätte das verhindert werden können, wenn das Unternehmen enger begleitet worden wäre.

Soll der Staat die Firmen führen? Wirtschaftspolitik à la française?
Nein. Das ist ja genau das Pro­blem mit Schneider-Ammann. Er wischt alle Anregungen vom Tisch mit Verweis auf Frankreichs unglückliche Politik. Dabei ist Wirtschaftspolitik nicht schwarz-weiss. Es gibt sinnvolle Zwischenwege, über die wir reden müssen. Deshalb fordern wir in der Frühlingssession eine dringliche Debatte über Jobabbau und Deindustrialisierung.

Sie verlangen auch höhere Löhne und mehr Kündigungsschutz für ­ältere Arbeitnehmer. Sind das die Rezepte, die es unseren Industriellen erleichtern sollen, Jobs zu ­sichern?
Über einzelne Massnahmen können wir immer diskutieren. Ich stelle einfach fest, dass im Fall Alstom genau dort Jobs abgebaut wurden, wo der Kündigungsschutz am schwächsten ist. Nämlich in der Schweiz.

Eine einfachere Möglichkeit, den Firmen zu helfen, ist die Unternehmenssteuerreform III. Hier sperrt sich die SP aber gegen Verbesserungen.
Klar tun wir das. Von Steuersenkungen profitieren vor ­allem jene Firmen, denen es schon gut geht. Nestlé und so weiter. Unternehmen, die um ihr Überleben kämpfen, haben nichts davon, weil sie keine Gewinne mehr machen. Ihnen müssen wir helfen.

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