Die Abstimmung über die Kinderabzüge nächsten Sonntag dürfte knapp ausfallen. Laut der jüngsten SRG-Umfrage lehnen 52 Prozent der Stimmberechtig-ten die Vorlage eher ab, während 43 Prozent ihr eher zustimmen. Angesichts dieser Ausgangslage regt sich SP-Nationalrätin Jacqueline Badran (58) umso mehr darüber auf, dass im Abstimmungsbüchlein mit Zahlen hantiert werde, «die kein Mensch versteht» und «total irreführend» seien, wie die Zürcherin ausruft.
Worum geht es? In den offiziellen Erläuterungen zu den Kinderabzügen zeigt eine Tabelle auf, wie viel ein Ehepaar mit zwei Kindern dank der Vorlage einspart (siehe Grafik). Die Angaben beziehen sich auf das steuerbare Einkommen – also das, was bleibt, wenn man in der Steuererklärung sämtliche Abzüge geltend gemacht hat. «Das ist ein völliger Witz», findet Badran. «Jeder weiss, wie viel er verdient, aber fast niemand kennt sein steuerbares Einkommen.»
Tatsächlich können die beiden Beträge erheblich voneinander abweichen. Bei einem steuerbaren Einkommen von 100 000 Franken profitiert man von einem Kinderabzug von 350 Franken. Das tatsächliche Einkommen kann dabei um bis zu 60 000 Franken höher sein – und somit bei 160 000 Franken liegen.
«Das ist die falsche Messgrösse»
«Genau diese Differenz zeigt doch: Man lässt den Mittelstand im Glauben, dass er von den Kinderabzügen profitiert», sagt Badran. «Dabei stimmt das überhaupt nicht!» Die Sozialdemokratin nervt sich nicht nur über die Zahlen im Abstimmungsbüchlein. Auch ihren politischen Gegnern – die Kinderabzüge wurden im Parlament von der CVP eingebracht und von SVP und FDP unterstützt – wirft sie vor, irreführende Angaben zu machen.
So wirbt die CVP damit, dass dank der Vorlage 60 Prozent aller Familien entlastet würden. «Das ist die falsche Messgrösse», findet Badran. Man müsse nicht nur die Familien, sondern alle Haushalte berücksichtigen, da am Ende die Allgemeinheit für die Steuerausfälle von 370 Millionen Franken aufkomme. Und hier zeige sich ein anderes Bild: «Sechs Prozent aller Haushalte beanspruchen 70 Prozent der Steuerausfälle.» Mit anderen Worten: «Wenige profitieren sehr viel, die grosse Mehrheit aber geht leer aus.»
Nachfrage bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung: Warum wird im Abstimmungsbüchlein das steuerbare Einkommen angegeben? Der Grund ist gemäss einem Sprecher, dass bei ein und demselben Bruttoeinkommen je nach Konstellation ganz unterschiedliche Steuerabzüge möglich seien, was eine allgemeingültige Darstellung schwierig mache.
Mittelstand wird durch Abzüge entlastet
So macht es etwa einen Unterschied, ob ein Paar verheiratet ist oder nicht oder ob nur eine Person oder beide arbeiten. Beim steuerbaren Einkommen hingegen spielt das alles nicht hinein.
Und was sagt die CVP zur Kritik, in ihrer Kampagne die Anzahl der Begünstigten schönzurechnen? «Es ist die SP, die hier Äpfel mit Birnen vergleicht», antwortet CVP-Nationalrätin Marianne Binder (62). «Wir stützen uns auf die Zahlen des Finanzdepartements. Diese besagen, dass 60 Prozent aller Familien profitieren.» Es gehe bei der Vorlage nun mal um Kinderabzüge – da sei es nichts als logisch, dass Haushalte mit Kindern profitierten. «Und zwar 900 000 von ihnen.»
Zudem sei es gerade der Mittelstand, der durch die Abzüge entlastet werde, sagt Binder. Zu diesem gehören laut dem Bundesamt für Statistik jene Familien mit einem Einkommen zwischen 100 000 und 215 000 Franken. Ihnen kämen 49 Prozent der Ermässigungen zu, sagt Binder. «Wie die SP behaupten kann, die Gewinner der Vorlage seien alleine die Superreichen, ist mir deshalb ein Rätsel.»
Die Moral von der Geschicht’? Jede Statistik lässt sich so interpretieren – oder ganz anders.