Sozialpolitikerinnen brüten über Pensionskassen-Reform
Rentenlücke zwischen Frauen und Männern soll geschlossen werden

Die nationalrätliche Sozialkommission will die berufliche Vorsorge neu gestalten. Besonders bei den Frauenrenten besteht grosser Nachholbedarf. Nun brüten die Politikerinnen und Politiker darüber, wie sich die Rentenlücke schliessen lässt.
Publiziert: 25.06.2021 um 08:53 Uhr
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Aktualisiert: 25.09.2022 um 20:27 Uhr
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«Die Situation ist dramatisch: Fast ein Drittel aller Neurentnerinnen hat keine Pensionskassenrente», sagt SP-Co-Chefin Mattea Meyer.
Foto: Keystone
Ruedi Studer

Die Zahl ist dramatisch: 37 Prozent! So gross ist der Rentenunterschied zwischen pensionierten Männern und Frauen über alle drei Säulen betrachtet. Macht die Differenz in der AHV nur gerade 3 Prozent aus, so klafft bei den Pensionskassen eine riesige Lücke zwischen den Geschlechtern. Frauen erhalten dort im Schnitt sogar 63 Prozent weniger Rente als Männer.

Das zeigt ein Bericht des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) an die nationalrätliche Sozialkommission, die sich derzeit mit der Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) befasst. «Das Gefälle bei der Gesamtrente ist hauptsächlich durch die grossen Unterschiede bei den Leistungen der beruflichen Vorsorge bedingt», heisst es darin. Die Situation hat sich in den letzten Jahren kaum verbessert. Männer, die 2018 neu in Rente gingen, erhielten monatlich rund 2800 aus der Pensionskasse, Frauen hingegen nur 1600 Franken.

Frauen öfter mit tieferen Löhnen

Die Kluft hat verschiedenen Gründe: Frauen sind öfter in Tieflohn-Bereichen beschäftigt sowie in Teilzeitpensen. Als Mütter reduzieren viele ihr Pensum, unterbrechen ihre Berufstätigkeit oder ziehen sich ganz aus dem Berufsleben zurück. Das hat für ihre zweite Säule negative Folgen. «Die Situation ist dramatisch: Fast ein Drittel aller Neurentnerinnen hat keine Pensionskassenrente», sagt SP-Co-Chefin Mattea Meyer (33).

Im Ziel sind sich die Politiker über die Parteigrenzen hinweg einig: Sie wollen die Rentenlücke zwischen den Geschlechtern schliessen – oder wenigstens vermindern. Der Bundesrat will dafür den so genannten Koordinationsabzug auf 12'445 Franken halbieren. Mit einem kleineren Abzug vergrössert sich die versicherte Lohnsumme im BVG-Obligatorium. Damit fliessen auch mehr Lohnbeiträge in die Vorsorge. Besonders tiefere Löhne beziehungsweise Teilzeitarbeitende kommen damit eher zu einer Pensionskassenrente.

GLP-Mettler will Abzug abschaffen

GLP-Nationalrätin Melanie Mettler (43, BE) ist das aber nicht genug. Sie fordert die Streichung des Koordinationsabzugs. «Damit werden gleich verschiedene Probleme gelöst», ist sie überzeugt. Nicht nur Tieflöhner könnten sich so eine bessere Rente aufbauen, sondern auch Personen mit verschiedenen Jobs. Denn kommt der Koordinationsabzug bei jedem Arbeitgeber zum Zug, sinkt die versicherte Lohnsumme frappant.

Das zeigt ein Zahlenbeispiel des BSV: In diesem geht es um einen Jahreslohn von 60'000 Franken. Erhält man diesen von nur einem Arbeitgeber, beträgt die Altersrente rund 12'000 Franken. Verteilt sich die Lohnsumme auf zwei Einkommen mit 40'000 und 20'000 Franken, sinkt die Rente auf rund 5200 Franken. Und hat jemand drei Teilzeitjobs an je 20'000 Franken, resultiert gar keine Rente. «Das heutige System ist auf den traditionellen Einverdiener-Haushalt ausgerichtet», moniert Mettler. «Das entspricht nicht mehr der gesellschaftlichen Realität.»

Auch aus dem Freisinn kommt Support für diese Idee: «Wir haben versprochen, etwas für tiefe Einkommen und Teilzeitarbeitende zu machen. Da ist die Abschaffung des Koordinationsabzugs die beste Lösung», sagt FDP-Nationalrätin Regine Sauter (55, ZH).

SVP setzt auf Asip-Modell

Ein anderer Lösungsansatz liegt mit einem prozentualen Abzug auf die jeweiligen Einkommen auf dem Tisch. SVP-Nationalrat Thomas de Courten (54, BL) will den Koordinationsabzug bei 60 Prozent des Einkommens ansetzen, begrenzt auf maximal 21'300 Franken. Er setzt dabei auf das Modell des Pensionskassenverbands Asip, womit sich die Rentensituation im Vergleich zum Bundesratsmodell aber verschlechtern würde.

Mitte-Nationalrat Benjamin Roduit (58, VS) hingegen schlägt einen Abzug von 40 Prozent vor. Einkommen bis etwa 40'000 Franken kämen damit besser weg als im Bundesratsvorschlag, darüber liegende schlechter.

Linke will Sozialpartner-Kompromiss

Die Linke hält grundsätzlich am Bundesratsmodell fest, um den von Arbeitgebern und Gewerkschaften hart erstrittenen Sozialpartner-Kompromiss nicht zu gefährden. «Eine vollständige Abschaffung des Koordinationsabzugs wäre mit viel zu hohen Kosten verbunden», sagt SP-Nationalrätin Meyer. «Das kostet jährlich rund 1500 Franken aufgrund höherer Beiträge – und zwar für alle Erwerbstätigen, unabhängig von ihrem Lohn.»

Das sei für Menschen mit tiefem Einkommen und Teilzeitbeschäftigte eine zu grosse Belastung. Sie setzt zudem auf den vom Bundesrat vorgeschlagenen Rentenzuschlag von 100 bis 200 Franken. «Dieser bringt eine solidarisch finanzierte Verbesserung.»

Betreuungsgutschriften für 2. Säule

Die SP will die Frauenrenten auch anderweitig aufbessern. «Das Problem der zweiten Säule ist grundsätzlich, dass unbezahlte Betreuungs- und Pflegearbeit nicht rentenbildend anerkannt wird», so Mattea Meyer. Mit der jetzigen Vorlage erhält der Rentenzuschlag nur, wer während 15 Jahren in die Pensionskasse eingezahlt hat. «Einmal mehr gehen Frauen leer aus, die Teilzeit arbeiten und tiefe Löhne haben und deshalb nicht versichert sind», kritisiert Meyer. Deshalb unterstütze ihre Partei die Forderung, dass die Betreuungsgutschriften an diese notwendigen 15 Beitragsjahre in der 2. Säule angerechnet würden. «So erhalten Betroffene ebenfalls den Rentenzuschlag.»

Die Nationalratskommission befasst sich auch am Freitag erneut mit der Vorlage. Angesagt ist quasi eine erste Lesung mit provisorischen Entscheiden. Je nach Ausgang wollen die Politikerinnen und Politiker beim komplexen Thema nochmals über die Bücher. Definitive Entscheide sollen erst nach der Sommerpause fallen.

Junge sollen schon ab 18 zahlen

Der Koordinationsabzug ist nicht das einzige Element, um welches bei der Pensionskassen-Reform gestritten wird. Es geht auch um die Höhe der Lohnbeiträge für die Altersgutschriften.

Und für die Jungen bedeutend: Den Beginn der Einzahlungspflicht in die 2. Säule. Der Bundesrat will diese wie heute bei 25 Jahren belassen. Doch gleich mehrere Vorschläge wollen früher ansetzen – etwa bei 21 oder 20 Jahren. Damit würden die Jungen früher fürs Alter zu sparen beginnen, hätten wegen der Beitragsabzüge aber auch weniger Geld in der Tasche.

Beitragssatz von 12,5 Prozent

Am weitesten geht FDP-Nationalrat Philippe Nantermod (37, VS): Schon ab 18 sollen die Jungen in die zweite Säule einzahlen. Dafür möchte er den Beitragssatz für diese «neue Generation» auf 12,5 Prozent ansetzen – und zwar gleich lebenslang.

Damit würden ältere Arbeitnehmende künftig nicht mehr über höhere Beitragssätze bestraft. Für Nantermod ist klar: «Damit erneuern wir das BVG mit Blick auf die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts.» (rus)

Der Koordinationsabzug ist nicht das einzige Element, um welches bei der Pensionskassen-Reform gestritten wird. Es geht auch um die Höhe der Lohnbeiträge für die Altersgutschriften.

Und für die Jungen bedeutend: Den Beginn der Einzahlungspflicht in die 2. Säule. Der Bundesrat will diese wie heute bei 25 Jahren belassen. Doch gleich mehrere Vorschläge wollen früher ansetzen – etwa bei 21 oder 20 Jahren. Damit würden die Jungen früher fürs Alter zu sparen beginnen, hätten wegen der Beitragsabzüge aber auch weniger Geld in der Tasche.

Beitragssatz von 12,5 Prozent

Am weitesten geht FDP-Nationalrat Philippe Nantermod (37, VS): Schon ab 18 sollen die Jungen in die zweite Säule einzahlen. Dafür möchte er den Beitragssatz für diese «neue Generation» auf 12,5 Prozent ansetzen – und zwar gleich lebenslang.

Damit würden ältere Arbeitnehmende künftig nicht mehr über höhere Beitragssätze bestraft. Für Nantermod ist klar: «Damit erneuern wir das BVG mit Blick auf die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts.» (rus)

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