SonntagsBlick-Kolumnist Frank A. Meyer über den politischen Islam und Rechtspopulismus
«Freie Männer unterdrücken keine Frauen»

In der Schweiz schrieb Frank A. Meyer als Journalist Politiker in den Bundesrat. Seit 15 Jahren lebt er in Berlin. Nun erhielt er das deutsche Bundesverdienstkreuz. Ein Gespräch über den politischen Islam und Rechtspopulismus.
Publiziert: 23.09.2018 um 17:01 Uhr
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Aktualisiert: 02.10.2018 um 18:02 Uhr
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Frank A. Meyer erhielt das Bundesverdientskreuz.
Foto: Antje Berghäuser
Christian Dorer und Gieri Cavelty

SonntagsBlick-Kolumnist Frank A. Meyer wurde mit dem «Bundesverdienstkreuz am Bande» ausgezeichnet. Der Entscheid für die Verleihung lag beim deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Überreicht wurde das Verdienstkreuz am Montag durch Michelle Müntefering, Staatsministerin im Auswärtigen Amt in Berlin. Meyers «viel beachtete Stimme» leiste einen «wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis der Probleme und der Herausforderungen der ­jeweiligen Nachbarländer und im gesamteuropäischen Kontext», ­sagte Müntefering in ihrer Laudatio – und pries Meyers «Liebe zur rhetorischen Zuspitzung». Er sei «eine kontroverse und wortgewaltige Stimme», die Deutschland bereichere.

Wir treffen Frank A. Meyer kurz vor der Ehrung in seiner Wohnung in Berlin-Charlottenburg. Man könnte sich jetzt selbstverständlich über Thomas Mann unterhalten oder über Honoré de Balzac – die Wohnung quillt über vor schöner Literatur. Heute aber sprechen wir über die Gegenwart und über ­Politik.

Wie erfährt man, dass man das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommt? Klopft da ein Herold an die Haustür?
Frank A. Meyer: Ich habe ein E-Mail mit der Nachricht erhalten, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mir das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen habe. Ich war völlig überrascht. Nie hätte ich mir so etwas vorstellen können. Die Nachricht hat mich sehr berührt. Ich bekam feuchte Augen.

Sie bekommen diese ­Auszeichnung zu einem Zeitpunkt, da Sie mit Deutschland hadern wie nie zuvor.
Ich hadere keineswegs mit Deutschland. Hadern ist überhaupt nicht meine Art. Ich mache jedoch ­kritisch darauf aufmerksam, dass die Verantwortungsparteien – die CDU/CSU, die SPD und die Libe­ralen – die Probleme und ­Sorgen der ganz normalen Bürger endlich offen ansprechen.

Wer Ihre Kolumnen kennt, weiss, was Sie meinen: die ­Zuwanderung, insbesondere aus islamischen Ländern.
Mir geht es um die politischen ­Inhalte des Islam, also um den ­patriarchalischen und autoritären Herrschaftsanspruch. Nicht um die Spiritualität dieser Religion.

Nehmen die, wie Sie sie nennen, Verantwortungsparteien ihre Verantwortung weniger wahr als früher?
Wir erleben jetzt die dritte grosse Koalition zwischen SPD und CDU/CSU. Als Koalition geht man untereinander nicht auf Konfrontation. Diese Situation hat dazu geführt, dass die Debatten nicht mehr so geführt werden wie zu den Zeiten von Gerhard Schröder, Helmut Kohl oder Helmut Schmidt. Die  demokratische Auseinandersetzung ist gelähmt. Ich kämpfe für eine ­offene politische Kultur. Das ist überhaupt mein politisches Lebens­thema.

Im Grunde weisen Sie dem Islam die Schuld an allem zu, was schiefläuft in der westlichen Welt.
Globalisierung ist ein abstrakter Begriff, mit dem die Bürger sich seit Jahren konfrontiert sehen. Dazu zählen wirtschaftliche Globalisierung und Digitalisierung. Beide bringen den Nationalstaat in Bedrängnis, und damit die Demokratie, die sich im Rahmen der Nation verwirklicht. Die Globalisierung dringt nun ganz plötzlich und real in den Alltag der Menschen durch Flüchtlinge und Migranten, die mit ihrer Präsenz diesen Alltag verändern. Und diese neuen Mitbürger verkörpern eine fremde Kultur: eine autoritäre Kultur, die Frauen unterdrückt, eine Kultur, in der die Freiheit des Individuums kaum eine Rolle spielt. Denn nicht nur die Frauen werden unterdrückt, auch die Männer sind nicht frei – freie Männer unterdrücken keine ­Frauen!

Sie sagen: Die Globalisierung ist nirgends so greifbar wie bei der Zuwanderung. Dient Ihnen der Islam damit nicht einfach als Sündenbock für ganz andere Probleme?
Die Migration aus dem islamischen Raum provoziert ganz praktische Probleme. Zum Beispiel in den Schulklassen, wo sieben oder acht oder gar neun von zehn Kindern der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Das bedeutet, dass für die restlichen Kinder der Unterrichtsstoff nicht mehr richtig vermittelt werden kann. Sie erfahren dadurch einen Startnachteil in ihrem Leben. Die Migration betrifft die ganz ­normalen Leute, nicht jene privilegierte Schicht, die ihre Kinder auf Privatschulen schicken kann – auch mein Enkel geht auf eine Privatschule. Zudem kommen die Zuwanderer aus Kriegsgebieten oder Diktaturen hierher und benehmen sich notgedrungen so, wie sie es ­zu Hause mitbekommen haben. Das Problem ist nicht die Migration selbst, es ist die Integration der Migranten. Diese Integration müssen wiederum die Menschen leisten, die im Alltag mit den Zuwanderern leben. Das alles ist sehr konkret, sehr wirklich.

Bei diesem Thema überholen Sie die SVP rechts.
Ich nehme eine dezidiert linke Position ein! Religionskritik ist die Basis der Aufklärung und gehört zum linken Denken. Die SVP, überhaupt der Rechtspopulismus bewirtschaftet zynisch die Themen, die den Bürgern Sorgen be­reiten. Diese Kräfte wollen die Probleme allerdings gar nicht wirklich lösen, denn sie leben davon, dass sie ungelöst bleiben.

Wie würden Sie denn die ­Probleme lösen?
Es kommen vor allem junge Männer, die in Europa auf eine Zukunft hoffen. Diese Einwanderer sind den Zwängen ihrer autoritären Reli­gionsideologie unterworfen. Sie wurden so erzogen, dass Frauen weniger wert sind als Männer. Für die Linke müsste das eigentlich eine Herausforderung sein: diese fremde Jugend auf den Weg der ­Befreiung zu bringen. Dazu müsste die Linke allerdings erst einmal die Probleme ansprechen. Vor allem müsste sie streng darauf beharren, dass für jeden Migranten unsere freiheitliche Ordnung gilt. Die ­Linke wollte doch schon immer das Proletariat befreien: Jetzt hätte sie eines, das ihr dafür noch dankbar wäre – ja, die ganze Gesellschaft wäre dankbar für solche Pionier­arbeit.

Strenger sein, das haben wir ­verstanden. Gibt es weitere ­Ansätze, die Probleme der ­Zuwanderung zu lösen?
Zum Beispiel dürften Schulklassen nur noch einen Ausländeranteil von maximal 25 Prozent aufweisen. Also mehr Schulklassen oder Verteilung der Migrantenkinder auf Schulen in anderen Quartieren. Nur so können die einheimischen Kinder ihre ausländischen Schul­kameraden integrieren, und um­gekehrt können sich nur so die Migran­tenkinder in die einheimische Mehrheit einfügen.

Was ging in Ihnen vor, als Sie die Bilder aus Chemnitz sahen?
Ich möchte nicht in einem Ort ­leben, wo Nazis mit Hitlergruss durch die Strassen marschieren. Bei den deutschen Rechtspopulisten gibt es Leute mit Sympathien für solches Pack. Dennoch war es falsch, das ganze Bundesland Sachsen als braun zu stigmatisieren, wie es das Magazin «Der Spiegel» auf seiner Titelseite tat.

Mit den deutschen Medien ­stehen Sie grundsätzlich nicht auf gutem Fuss.
Wo habe ich das einzige sachliche und damit journalistische Interview mit dem Islamkritiker Thilo Sarrazin gelesen? Es war im BLICK. Sie, Herr Dorer, haben es geführt. Man kann mit Sarrazin einverstanden sein oder nicht, aber man kann diesen Autor nicht mit der Seuche Ebola in Verbindung bringen, wie es die «Süddeutsche Zeitung» getan hat. Das ist schlicht ungeheuerlich! Einst haben die Antisemiten die ­Juden bezichtigt, Brunnen zu vergiften.

Was läuft schief in der deutschen Politberichterstattung?
Es gibt eine Berliner Blase. Nicht nur die Politik ist in ihr gefangen, auch die Medien sind es: Man ­gehört zum Machtgefüge. Und so schreibt man auch. Immer darauf bedacht dazuzugehören.

Sie leben seit 15 Jahren in Berlin …
… ob Sie es mir glauben oder nicht, ich weiss gar nicht, wann genau meine Berliner Zeit begann.

Ist Deutschland oder die Schweiz Ihre Heimat?
Meine Heimat ist der Wald über Biel, wo mein Vater mit mir spazieren gegangen ist, Wege nach mir und meiner Schwester benannt hat: den Judith-Weg, den Frank-Weg. Das ist meine Heimat der Kindheit. Die Heimat meiner frühen politischen und journalistischen Jahre ist Biel. Aber auch der Jolimont bei Erlach ist Heimat, ein wunderbarer bewaldeter Hügel. Hier gingen meine Lebensfreundin Lilith und ich immer wieder spazieren. In Berlin entdeckten wir nun die Pfaueninsel im Wannsee – unser Jolimont in der neuen Heimat, dieselbe Gefühlslandschaft. Im Übrigen ist für mich Heimat, wo ­Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat herrschen. Ich bin ein Verfassungspatriot.

Innerhalb weniger Jahre haben Sie es in Berlin vom Zuwanderer zum Träger des Bundesverdienstkreuzes gebracht. Wie geht das?
Durch meine Sendung «Vis-à-vis» verfügte ich über ein deutsches ­Beziehungsnetz. Auf diese Weise lernte ich beispielsweise Gerhard Schröder kennen, als er noch Minister­präsident von Niedersachsen war. Viele Bekanntschaften und ­sogar Freundschaften haben sich auch beim Dîner républicain in ­Ascona ergeben, das ich seit 45 Jahren ausrichte. Im ehemaligen Brecht-Theater, dem Berliner Ensemble, veranstaltete ich einige Jahre lang Diskussionsmatineen. Meine Frau Lilith Frey und ich sind auch zu Hause Gastgeber kultureller und politischer Gesprächs­runden.

Warum lieben Sie es, mächtige Freunde zu haben?
Ich liebe es, mit Leuten zu ver­kehren, die mich im Verlauf eines Gesprächs verändern – und umgekehrt. Wenn dies Politiker sind, die Einfluss und Macht haben, ist das umso besser. Ich will als Bürger und Journalist wirken. Als Kind habe ich früh erlebt, wie ohnmächtig meine Eltern waren. Einfache Arbeiter, engagiert als Sozialdemokraten. So wuchs ich mit dem Willen auf, selber eine Macht zu werden – unabhängig zu sein, zu wirken, zu bewirken. In Bern ist mir dies offenbar gelungen. So jeden­falls las ich es damals in den Zeitungen: Ich hatte die Aura ­einer eigenständigen Macht.

Und trotzdem haben Sie Bern den Rücken gekehrt.
Ich war 30 Jahre Teil des poli­tischen Systems. Das hat sich irgend­wann erschöpft. Ich wollte etwas Neues kennenlernen.

Wo haben Sie Ihren Einfluss ­geltend machen können, worauf sind Sie stolz?
Ich habe manchmal dazu beigetragen, dass einer Bundesrat wurde. Ich habe beispielsweise im Hotel Bellevue Debatten mit ausländischen Politikern organisiert: mit Helmut Schmidt, Hans-Dietrich Genscher oder Joschka Fischer. Auf diese Weise konnte ich einen Beitrag zur politischen Kultur im Bundeshaus leisten.

Von Biel nach Berlin

Frank A. Meyer (74) wuchs in Biel als Sohn ­eines Uhrmachers auf und machte dort eine Lehre als Schriftsetzer. Von 1968 bis 1980 war er Partner des Bieler Medienunternehmens Büro Cortesi. Seit 1972 arbeitet er für das Medienhaus Ringier, zunächst als Bundeshauskorrespondent, dann als Chef­redaktor und Mitglied der Konzernleitung, heute als publizistischer Berater und Kolumnist. Meyer präsentierte die 3sat-Sendung «Vis-à-vis» und schreibt für zahlreiche ­Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem für den SonntagsBlick und das Magazin ­«Cicero». Seit 15 Jahren lebt er mit seiner ­Lebenspartnerin Lilith Frey in Berlin.

Frank A. Meyer (74) wuchs in Biel als Sohn ­eines Uhrmachers auf und machte dort eine Lehre als Schriftsetzer. Von 1968 bis 1980 war er Partner des Bieler Medienunternehmens Büro Cortesi. Seit 1972 arbeitet er für das Medienhaus Ringier, zunächst als Bundeshauskorrespondent, dann als Chef­redaktor und Mitglied der Konzernleitung, heute als publizistischer Berater und Kolumnist. Meyer präsentierte die 3sat-Sendung «Vis-à-vis» und schreibt für zahlreiche ­Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem für den SonntagsBlick und das Magazin ­«Cicero». Seit 15 Jahren lebt er mit seiner ­Lebenspartnerin Lilith Frey in Berlin.

Sie betonen Ihre einfache ­Herkunft. Haben Sie heute noch Kontakt zu einfachen Leuten?
Aber natürlich, ist doch ganz klar. Im Restaurant ...

… also mit dem Kellner?
Ja, auch mit Kellnern! Ich rede mit vielen Menschen, auch wenn ich nicht beruflich mit ihnen Kontakt habe. Ich muss dazu auch nicht meine Sprache anpassen. Ich bin ein einfacher Mensch. Ich habe Schriftsetzer gelernt und bin Handwerker, auch in meinem ­Schreiben – Denkhandwerker.

Inwiefern haben Sie in Ihrer deutschen Wahlheimat Einfluss?
Ach, Deutschland ist ein grosses Land. Es wäre anmassend zu behaupten, hier Einfluss zu haben. Wenn ich mit jemandem rede, hört der mir zu. Und ich höre ihm zu. Wenn das nun ein Politiker ist oder ein Kollege, hat er einen ­Einfluss auf mich und ich auf ihn. Vor allem will ich Dinge schreiben und sagen, die nicht alle sagen und schreiben.

Inwiefern?
Ein Beispiel dazu: Man kann als Journalist den verwirrlichen Donald Trump als abstossende Figur der Weltpolitik abhandeln. So ist der journalistische Reflex seit der Wahl dieses Präsidenten. Mir ist das zu kurzsichtig, auch zu langweilig: Ich möchte wissen, was er womöglich richtig macht, wie er Themen der Weltpolitik berührt, die man zu lange verdrängte. Auch in Washington gab es eine Blase aus Politik und Publizistik. Trump ist die Chance für die ­demokratischen Kräfte, die verdrängten und schöngeredeten Probleme aufzunehmen und ­bessere Lösungen vorzuschlagen. Genau wie in Berlin, wenn der AfD der Stoff endlich entzogen würde. Populisten sind Junkies der Krisen, die durch das Wegsehen der Demokraten verursacht werden. Das spreche ich an. Dabei nenne ich auch Ross und Reiter: die ­Politiker und ihre publizistische Prätorianer-Garde. Aber eigentlich ist das ganz einfach nur ­Journalismus, wie er früher als selbstverständlich galt.

Sie glauben trotz der ­Digitalisierung an die gedruckte Zeitung. Wieso?
Es gab die kleine Eiszeit, die ­grosse Eiszeit, die Bronzezeit. Bei der ­Digitalisierung leben wir gerade in der Kindergartenzeit. Wie Kinder sind wir von jedem digitalen Gadget begeistert. Mich erinnert das sehr an die Zeit, als meine ­Eltern den ersten Fernsehapparat anschafften: Wir guckten alles – wie Kinder. Alles, was sich auf dem Bildschirm bewegte, war irgend­wie ganz toll – ein Faszinosum. Heute wählt man aus. Genauso wird sich die Haltung zu den ­digitalen Medien normalisieren. Das exklusivste Medium aber bleibt die Zeitung. Sie bietet einen gestalteten Raum, in dem der ­Leser unkontrolliert und damit ganz bei sich, ganz intim Denken und Wissen aufnimmt – wenn wir Journalisten es ihm liefern.

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