Soll die Schweiz als Vermittlerin auftreten?
Katalonien sorgt für Zoff im Bundeshaus

«Macht doch nicht so ein Theater», sagt Tim Guldimann (SP) zur Schweizer Rolle im Katalonienkonflikt. Zuvor hatte Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP) im Europarat die guten Dienste der Schweiz angeboten.
Publiziert: 17.10.2017 um 12:48 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 00:51 Uhr
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Regierungschef Mariano Rajoy droht mit harten Konsequenzen.
Foto: Pablo Blazquez Dominguez / Getty Images
Cinzia Venafro, Ruedi Studer

Sein Hilferuf war deutlich: «Wir wollen die Schweiz als Vermittlerin», sagte Katalanen-Chef Carles Puigdemont (54) gestern exklusiv im BLICK und bat den Bundesrat, Spanien vor der Eskalation zu retten.

Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP/BL).
Foto: KEYSTONE/Gaetan Bally

Doch soll die Schweiz überhaupt Hand reichen? Darüber ist im Bundeshaus ein Streit entbrannt. So fordert Elisabeth Schneider-Schneiter (53, CVP/BL), Vizepräsidentin der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates (APK), die Schweiz solle «Modell stehen in der Katalonienfrage» und «ihre Dienste zur Verfügung stellen». Denn wir Schweizer wüssten, «wie man ein Land mit vielen Minderheiten eint – und den einzelnen Regionen Autonomie lässt.»

Die Baslerin trat mit dieser Haltung letzte Woche ans Rednerpult im Europarat in Strassburg – und gab einen kleinen Nachhilfekurs in helvetischer Staatskunde. «Die Schweiz – mein Land – hat das Modell des Bundesstaates eben gerade deshalb gewählt, weil sie aus Minderheitsstaaten – wir nennen sie bei uns Kantone – zusammengesetzt ist», erläuterte Schneider-Schneiter im Saal. Gegenüber BLICK legt sie nach: «Wir sollten unser Bundesstaatenmodell exportieren, es könnte zum Exportschlager werden.»

SP-Guldimann und SVP-Büchel rüffeln Schneider-Schneiter

Ehemaliger Botschafter in Berlin, Tim Guldimann (SP).
Foto: KEYSTONE/Gaetan Bally

Darob nur den Kopf schütteln kann Schneider-Schneiters Kollege in der APK, Tim Guldimann (67, SP). «Jetzt macht doch nicht so ein Theater!», enerviert sich der ehemalige Schweizer Botschafter in Berlin. Es gebe in der Schweiz eine «enorm übersteigerte Erwartung, dass, wenn irgendwo auf der Welt ein Konflikt ausbricht, alle die Schweiz als Vermittlerin wollen». Wenn überhaupt würde «nur sehr diskret» etwas erreicht und nicht, «wenn man das an die grosse Glocke hängt». Zudem werde «Madrid sich hüten, einen anderen Staat wie die Schweiz als Vermittler zu akzeptieren – das wäre ja der erste Schritt in Richtung internationaler Anerkennung Kataloniens».

Überraschend: Auch APK-Präsident Roland Büchel (52, SVP) bläst ins gleiche Horn wie SP-Guldimann. «Damit wir im Katalonienkonflikt die wichtige Vermittlerrolle spielen können, müssen wir uns ruhig verhalten, wenn man sich ruhig zu verhalten hat», so Büchel. Und er stichelt: «Ich bin erstaunt, welche Schweizer Politiker sich in den letzten Tagen und Wochen zu verschiedenen Konflikten auf der Welt geäussert haben. Wenn die Schweiz vermitteln will, helfen all die politischen Lautsprecher der Sache nicht. Im Gegenteil: Sie schaden – und zwar massiv.»

Beim EDA hält man es derweil genauso und bleibt ruhig. «Die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens sind eine innenpolitische Angelegenheit Spaniens, die im Rahmen der verfassungsmässigen Ordnung Spaniens zu behandeln ist», so EDA-Sprecher Pierre-Alain Eltschinger. Eine Mediation könne nur erfolgen, «wenn beide Parteien darum ersuchen. Die Voraussetzungen für eine Mediation sind im Moment jedoch nicht erfüllt».

Alle aktuellen Ereignisse rund um die Unabhängigkeit Kataloniens erfahren Sie im News-Ticker.

Neues Ultimatum für Katalanen

Bis gestern um zehn Uhr wollte die spanische Zentralregierung von den Katalanen wissen: Unabhängigkeit Ja oder Nein? Der Katalanen-Chef Carles Puigdemont antwortete zwar pünktlich per Brief. Eine Antwort auf die Frage gab er aber nicht.

Dafür bat er um Zeit. Zwei Monate. Um mit dem spanischen Premier Mariano Rajoy zu reden. «Unser Angebot zum Dialog ist ernsthaft – trotz allem, was passiert ist», so Puigdemont.

Die Zentralregierung reagierte mit Spott. «Herr Puigdemont hat entschieden, nicht zu antworten. Ich denke, es war nicht schwierig, Ja oder Nein zu sagen», sagte Vize-Ministerpräsidentin Soraya Saenz de Santamaría.

Dann gab sie einen neuen Termin durch: Donnerstag, zehn Uhr. Mit der «richtigen» Antwort könne Puigdemont vermeiden, dass «weitere Schritte eingeleitet werden müssen». Damit meint sie die Umsetzung von Verfassungs-Artikel 155, der die Entmachtung der Regionalregierung erlaubt.

Bis gestern um zehn Uhr wollte die spanische Zentralregierung von den Katalanen wissen: Unabhängigkeit Ja oder Nein? Der Katalanen-Chef Carles Puigdemont antwortete zwar pünktlich per Brief. Eine Antwort auf die Frage gab er aber nicht.

Dafür bat er um Zeit. Zwei Monate. Um mit dem spanischen Premier Mariano Rajoy zu reden. «Unser Angebot zum Dialog ist ernsthaft – trotz allem, was passiert ist», so Puigdemont.

Die Zentralregierung reagierte mit Spott. «Herr Puigdemont hat entschieden, nicht zu antworten. Ich denke, es war nicht schwierig, Ja oder Nein zu sagen», sagte Vize-Ministerpräsidentin Soraya Saenz de Santamaría.

Dann gab sie einen neuen Termin durch: Donnerstag, zehn Uhr. Mit der «richtigen» Antwort könne Puigdemont vermeiden, dass «weitere Schritte eingeleitet werden müssen». Damit meint sie die Umsetzung von Verfassungs-Artikel 155, der die Entmachtung der Regionalregierung erlaubt.

Die Schweiz kann schlichten

Ein Kommentar von Gieri Cavelty, Chefredaktor

Der Katalonienkonflikt ist ein jahrhundetalter Geschichtsknäuel. Die Separatisten sprechen sogar von einem einzigen Strang der Unterdrückung. 1714 ist so ein Schlüsseljahr. Damals machten spanische Truppen Barcelona dem Erdboden gleich. Später hat Diktator Franco die Katalanen geknebelt. Freilich haben gerade die eifrigsten Anhänger der heutigen Unabhängigkeitsbewegung die Franco-Zeit nicht selbst erlebt – der Graben in Katalonien verläuft nicht zuletzt zwischen der tendenziell spanientreuen älteren Generation und der aufmüpfigen Jugend.

Ganz auf der anderen Seite steht der Partido Popular. In Katalonien hat die Partei von Ministerpräsident Mariano Rajoy tra­ditionell kaum Wähler. Umso rücksichtsloser kann der Premier auf die Einheit Spaniens drängen.

Die EU hütet sich, den gordischen Knoten lösen zu wollen. Die Union setzt sich aus Staaten zusammen, nicht aus Regionen. Die Schweiz dagegen braucht sich keine solche Zurückhaltung aufzuerlegen. Gewiss kann sie nicht ohne Einwilligung Madrids als Vermittlerin agieren. Ein denkbares, wünschbares Szenario wäre aber, wenn Brüssel hinter den Kulissen Druck auf Rajoy ausübt. Dann könnte unter Berner Gesprächsführung zumindest über mehr Autonomie für Katalonien verhandelt werden. Wann wären unsere Guten Dienste von grösserem Nutzen als in einem europäischen Konflikt? Klar ist: Die jetzige Situation ist kein Zustand.

Ein Kommentar von Gieri Cavelty, Chefredaktor

Der Katalonienkonflikt ist ein jahrhundetalter Geschichtsknäuel. Die Separatisten sprechen sogar von einem einzigen Strang der Unterdrückung. 1714 ist so ein Schlüsseljahr. Damals machten spanische Truppen Barcelona dem Erdboden gleich. Später hat Diktator Franco die Katalanen geknebelt. Freilich haben gerade die eifrigsten Anhänger der heutigen Unabhängigkeitsbewegung die Franco-Zeit nicht selbst erlebt – der Graben in Katalonien verläuft nicht zuletzt zwischen der tendenziell spanientreuen älteren Generation und der aufmüpfigen Jugend.

Ganz auf der anderen Seite steht der Partido Popular. In Katalonien hat die Partei von Ministerpräsident Mariano Rajoy tra­ditionell kaum Wähler. Umso rücksichtsloser kann der Premier auf die Einheit Spaniens drängen.

Die EU hütet sich, den gordischen Knoten lösen zu wollen. Die Union setzt sich aus Staaten zusammen, nicht aus Regionen. Die Schweiz dagegen braucht sich keine solche Zurückhaltung aufzuerlegen. Gewiss kann sie nicht ohne Einwilligung Madrids als Vermittlerin agieren. Ein denkbares, wünschbares Szenario wäre aber, wenn Brüssel hinter den Kulissen Druck auf Rajoy ausübt. Dann könnte unter Berner Gesprächsführung zumindest über mehr Autonomie für Katalonien verhandelt werden. Wann wären unsere Guten Dienste von grösserem Nutzen als in einem europäischen Konflikt? Klar ist: Die jetzige Situation ist kein Zustand.

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