Sogar die Uhren laufen wieder richtig
Das steckt hinter Kims Charme-Offensive

Die aussenpolitische Charme-Offensive von Kim Jong-Un wird immer extremer. Davon profitiert auch sein Volk. Doch für den Diktator geht es nur um eines: Die Absicherung seiner Macht.
Publiziert: 05.05.2018 um 13:06 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 17:05 Uhr
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Am Nachmittag ziehen sich Kim und Moon zum privaten Gespräch zurück.
Foto: Reuters
Fabian Vogt

Seoul, Südkorea, 3. Mai 2018: Am Donnerstag betont Kim Jong-un erneut seine Bereitschaft zur atomaren Abrüstung Nordkoreas. Diese sei «die entschlossene Haltung seines Landes», zitierte ihn der chinesische Aussenminister Wang Yi. Wenige Tage zuvor klang es ähnlich: Nordkorea werde sein Atomtestgelände in Punggye-ri im Mai definitiv schliessen, gab der Sprecher des südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in bekannt. China begrüsst den Entscheid. Allerdings hat Kim an seine Worte Bedingungen geknüpft. Allen voran an eine Garantie der USA, sein Land nicht anzugreifen. 

Halmstad, Schweden, 3. Mai 2018: An den Tischtennis-Weltmeisterschaften kommt es im Viertelfinal des Team-Bewerbs der Frauen zum Aufeinandertreffen von Nord- und Südkorea. Ein Spiel, dessen Bedeutung weit über den Sport hinausgeht. Die Stimmung ist entsprechend angespannt, als die beiden Mannschaften in die Halle einlaufen. Doch statt sich einzuspielen und den Gegner mit Blicken zu vernichten, gibt es Gruppenfotos und Umarmungen der Konkurrentinnen. Anschliessend winken die Spielerinnen in die Menge. Der Hallensprecher verkündet: Nord- und Südkorea werden bei dieser Weltmeisterschaft nicht gegeneinander spielen, sondern ab sofort ein gemeinsames Team bilden, das im Halbfinale gegen Japan antreten wird.

Pjöngjang, Nordkorea, 5. Mai 2018: Die nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA meldet, dass Nordkorea soeben die Uhren um eine halbe Stunde vorgestellt hat. Seit 2015 lag man 30 Minuten hinter der Zeit Südkoreas. Offiziell begründet wurde der Schritt damals mit einer Rückkehr zu der Uhrzeit, die in Korea vor der Besetzung durch Japan 1910 gegolten habe. Die jetzige Angleichung der Zeitzonen solle «den Prozess beschleunigen, den Norden und den Süden wieder eins werden zu lassen», schreibt KCNA. Die südkoreanische Regierung begrüsste die Entscheidung des Nordens als «symbolischen Schritt».

Von Macho-Gehabe nichts mehr zu sehen

Es sind mittlerweile viele symbolische Schritte, die Nordkorea unternommen hat, seit ihr Diktator Kim Jong-un Anfang Jahr eine Charme-Offensive startete. Der bisher grösste war sicherlich die tatsächliche Überschreitung der koreanischen Grenze, um Ende April zu einem Gipfeltreffen mit dem südkoreanischen Staatspräsidenten Moon Jae-in zu gelangen. Ein Schritt, der nicht mehr gewagt wurde, seit Kims Grossvater Kim Il-sung 1950 den Korea-Krieg begann.

Kim Jong-un (links) hält die Hand des südkoreanischen Präsidenten Moon Jae.
Foto: AP

Neutrale Beobachter fragen sich ob solcher Episoden: Was ist bloss mit Kim los? Wo ist der Verrückte geblieben, der seit seinem Amtsantritt im Jahr 2010 als einer der grössten Risikofaktoren der Weltpolitik gilt und regelmässig hanebüchene Aktionen an den Tag legt? Der noch vergangenen Herbst mit seinem Waffenarsenal prahlte und sich mit US-Präsident Donald Trump einen in aller Öffentlichkeit ausgetragenen verbalen Schlagabtausch lieferte, der in keinem Kindergarten geduldet worden wäre. Und der die Welt viel zu sehr an den kalten Krieg erinnerte, als die Menschheit nur Momente davon entfernt war, in einen Atomkrieg verwickelt zu werden.

Warum nun die Kehrtwende? Hat Kim festgestellt, dass sein Atombunker mittlerweile in die Jahre gekommen ist? Oder hat er sich von Trumps Macho-Gehabe einschüchtern lassen? Oder ist es ein Trick, um Freund und Feind einzulullen? Man weiss es nicht. Es ist auch herzhaft egal, solange seine Ankündigungen ernst gemeint sind. Und dass dem so ist, scheint wahrscheinlich.

Kim gibt sich volksnah

Denn nicht nur aussenpolitisch ist Kim Jong-un scheinbar erwachsen geworden, auch in Nordkorea deutet vieles darauf hin, dass er sich von seinen Ahnen distanzieren will. Natürlich, alle Tassen im Schrank hat er nicht. Wie der nordkoreanische Diktator sein Volk plagt, ist barbarisch. Doch im Gegensatz zu seinem Vater und Grossvater präsentiert er sich in seinem Land nicht als Halbgott, sondern besucht mit seiner Frau Konzerte oder fährt Achterbahn. Propaganda wie bei seinem Vater, bei dessen Geburt am heiligen Berg Paektu angeblich ein neuer Stern am Himmel aufgetaucht sei, gibt es bei Kim nicht. 

Auch programmtechnisch hat sich Kim von seinem Vater Kim Jong-il entfernt. Letzterer setzte auf «Songun», das in etwa «Die Armee zuerst» bedeutet. Kim dagegen hatte den Leitsatz in «Byungjin» abgeändert, das gemeinsames Wachstum für Wirtschaft und Waffen vorsieht. Im November erklärte Kim Byungjin zudem für beendet. Das Atomprogramm sei abgeschlossen, nun werde er sich auf die Wirtschaft konzentrieren.

Die Mittelschicht kommt zu Geld

Hinweise darauf gibt es bereits. Kim hat die Landwirtschaft liberalisiert, Geld wird wichtiger. Die Wirtschaft wächst, es entsteht eine Mittelschicht. Die Menschen können sich besser als auch schon über das Ausland informieren, der Nachwuchs der Elite darf an ausländischen Schulen studieren. Das weckt Begehrlichkeiten nach mehr. 

Es wirkt, als ob Kim erkannt hat, dass er nur durch Repression sein Volk nicht mehr kontrollieren kann. Natürlich werden die Menschen in Nordkorea auch weiterhin sehr viel zu leiden haben. Doch mit Hilfe des Auslands und dadurch möglicherweise wegfallenden Sanktionen, wird der Wohlstand im Land weiter anwachsen. Wer davon profitieren wird, ist noch nicht absehbar. Kim dürfte aber dafür Sorgen tragen wollen, dass nicht zu viele Unruhen aufkeimen. Denn – da unterscheidet er sich überhaupt nicht von seinem Vorgängern – Kim hat vor allem ein Ziel: An der Macht zu bleiben. Dass er zur Erkenntnis gekommen ist, dass dabei die Unterstützung des Auslands hilfreich sein dürfte, ist für den Rest der Welt eine grosse Erleichterung.

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