Erstmals haben Bund und Kantone eine gemeinsame Strategie zur Verhütung und Bekämpfung von häuslicher Gewalt beschlossen. Mit einem besseren Bedrohungsmanagement, dem Einsatz neuer technischer Hilfsmittel und einer schweizweiten 24-Stunden-Notrufnummer soll der Schutz der Opfer ausgebaut werden.
«Die Bekämpfung der häuslichen Gewalt ist ein Anliegen, das mir persönlich sehr wichtig ist», sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter am Freitag vor den Medien in Bern.
28 Tote nach häuslicher Gewalt
Als 2003 St. Gallen als erster Kanton in der Schweiz einen Wegweisungsartikel in das Polizeigesetz aufnahm, war Keller-Sutter als Regierungsrätin und Vorsteherin des Justiz- und Sicherheitsdepartements massgeblich an dieser Neuerung beteiligt. Mit diesem Schritt konnten erstmals Opfer geschützt werden, ohne dass sie ihren Wohnort verlassen mussten.
In den vergangenen 20 Jahren seien viele Fortschritte erzielt worden, sagte Keller-Sutter. «Die Sensibilisierung hat zugenommen, die gesetzlichen Regelungen wurden ausgebaut, aber die Gewalt ist geblieben», bilanzierte sie. So hat die Polizei im vergangenen Jahr rund 20'000 Straftaten im Bereich der häuslichen Gewalt registriert, 28 Personen wurden getötet. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein.
Corona-Krise zeigte Bedarf auf
Für die Prävention und den Schutz vor häuslicher Gewalt sind in erster Linie die Kantone zuständig. Der Bund trägt die Verantwortung im Bereich Opferhilfe und für die Gesetzgebungsarbeiten im Strafrecht, im Zivilrecht und im Opferhilferecht.
Die nun verabschiedete Strategie ist ein politisches Bekenntnis zu einem gemeinsamen Vorgehen. Sie umfasst aber auch konkrete Massnahmen – so etwa die Einführung einer zentralen schweizweiten Beratungstelefonnummer, die rund um die Uhr Hilfe gewährleistet. Dieser Bedarf habe sich gerade in der Corona-Krise gezeigt. Die Kantone haben zudem ihren Willen bekräftigt, die Zahl der Plätze in den Frauenhäusern zu erhöhen.
Kantone sehen Notfallknopf kritisch
Kernstück der Strategie seien jedoch neue technische Hilfsmittel, die eingesetzt werden sollen, sagte Keller-Sutter. Die Kantone werden ein Pilotprojekt mit einem sogenannten Notknopf durchführen. «Wir kennen die elektronische Überwachung bei Straftätern», sagte Fredy Fässler, Präsident der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD). In Einzelfällen sollen nun auch Opfer mit einem Notfallknopf ausgestattet werden.
«Das Bild des Notfallknopfs mit einem sofortigen Polizeieinsatz bei einem Alarm ist nicht realistisch», gab Fässler zu bedenken. «Die personellen Ressourcen reichen auch nicht.» Mit einem GPS-System könne jedoch eine mit einem Rayonverbot belegte Person aktiv in jedem Moment überwacht werden. Neue Modelle könnten auch einen Kontakt zum Opfer herstellen, sodass direkt Hilfe geleistet werden könne.
«Die Kantone sind diesbezüglich kritisch eingestellt», gab Fässler zu. Aber nun sei beschlossen worden, dass ein Kanton ein Pilotprojekt durchführe. Der Notfallknopf sei jedoch nicht die Lösung für alle Probleme: «Gegen Überzeugungstäter können wir damit nicht vorgehen.»
Zwei Kantone haben Interesse
Der Vorstand der KKJPD wird das Projekt an seiner nächsten Sitzung weiter beraten. Zwei Kantone hätten bereits Interesse an der Durchführung eines Pilotprojekts signalisiert. Der Bund prüft derzeit eine finanzielle Beteiligung.
Seit 2004 ist häusliche Gewalt in der Schweiz ein Offizialdelikt. Das bedeutet, dass begangene Straftaten von Amtes wegen verfolgt werden, also ohne dass das Opfer eine Strafanzeige einreichen muss. (SDA)