Frau Funiciello, Sie sind die neue Juso-Präsidentin. Hören die billigen Provokationen Ihrer Vorgänger nun auf?
Fabian Molina hat einen ausgezeichneten Job gemacht. Unsere Bewegung soll auch künftig sehr pointiert kommunizieren und Themen ansprechen, welche die Linke in Europa und der Schweiz verschlafen haben. Gerade im Bereich Migration müssen wir vermehrt hinsehen und Lösungen anbieten.
Sie sind selbst halb Italienerin. Hilft das dabei?
Ich denke schon, schliesslich bin ich ein Wirtschaftsflüchtling. Ich bin hier geboren, drei Jahre später zogen wir für sieben Jahre wieder nach Italien. Meine Familie kam dann aus wirtschaftlichen Gründen zurück in die Schweiz. Wir müssen dafür kämpfen, dass die Gesellschaft aufhört, in nationalen Grenzen zu denken. Die Schweiz ist eines der reichsten Länder und wir diskutieren über ein paar tausend Asylsuchende. Alle Menschen sollten uneingeschränkte Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit haben.
Dann kann die Schweiz unendlich viele Flüchtlinge aufnehmen?
Das ist eine völlig falsche Frage. Wir dürfen Migranten nicht in gute und schlechte Zuwanderer einteilen. Wir müssen uns in erster Linie fragen, wieso Menschen migrieren. Und müssen verhindern, dass sie gezwungen sind zu fliehen. Die Bevölkerung hier hat nicht Angst vor Zuwanderung, sondern vor einem sozialem Abstieg. Die etablierten Politiker bieten aber keine Lösungen an und denken zu wenig in einem internationalen Kontext.
Ende Jahr werden Sie von Amtes wegen Christian Levrats neue Vizepräsidentin, dann können Sie zumindest da Einfluss nehmen.
Klar, ich werde auch in der SP versuchen, unsere Positionen zu stärken. Wir müssen das drohende Abdriften der SP in die Mitte stoppen. Der von Levrat verkündete Oppositionskurs ist richtig - wenn es nicht nur Referenden ergreiffen heisst, sondern auch Alternativen aufzeigen bedeutet. Die Sozialdemokratie muss trotz rechtem Zeitgeist wieder vermehrt agieren, statt nur auf die Rechte zu reagieren.
Das will die Juso mit einer weiteren, chancenlosen Volksinitiative. Aber Sie haben noch nicht mal bestimmt, worum es gehen soll.
Das werden wir im Verlaufe der nächsten Monaten tun. Wir werden uns in einem breiten demokratischen Prozess entscheiden, was wir angehen möchten.
Sie selbst fielen bisher vor allem mit absurden Ideen wie einer 25-Stunden-Woche für alle auf...
Das ist überhaupt nicht absurd, wir sollten deutlich weniger arbeiten. Die Produktivität unserer Wirtschaft hat sich seit den 60er-Jahren verdoppelt – wir arbeiten aber immer noch gleich lange. Mit der Digitalisierung wird das noch zunehmen – und das ist gut so. Unter der Bedingung, dass der Gewinn der ganzen Gesellschaft zugute kommt. Wir sollten für die Bedürfnisse aller Menschen arbeiten statt für den Profit weniger. Zudem wäre es ein Schritt in Richtung Gleichstellung, denn heute wird der Löwenanteil der unbezahlten Arbeit von Frauen geleistet.
A propos Gleichberechtigung: Für die Juso war klar, dass eine Frau an die Spitze muss. Wurden Sie nur wegen Ihres Geschlechts gewählt und sind deshalb eine Quotenfrau?
Nein, natürlich nicht, schliesslich hätten die Männer auch kandidieren dürfen. Der Wahlkampf gegen meine Konkurrentin Samira Marti war im Übrigen hochpolitisch und professionell. Es freut mich sehr, die erste Frau in dieser Position zu sein.
Ihr Vorgänger hat dazu aufgerufen, selbst am 1. August keine Schweizer Fahnen mehr zu schwenken. Sind Sie wenigstens eine Patriotin, wenn es um die Schweizer Nati an der EM geht?
Ich bin keine Patriotin und fühle mich einer afghanischen Menschenrechtsaktivistin näher als Christoph Blocher. Deshalb würde ich wennschon eine Peace-Fahne aufhängen. Beim Fussball bin ich absolut neutral, es soll die beste Mannschaft gewinnen.