Der Parteiwechsel des Nationalrats Daniel Frei (40) von der SP zur GLP hat für die Sozialdemokraten viel weitreichendere Folgen als bislang bekannt: Die Genossen verlieren just in der Sozial- und Gesundheitspolitik massiv an Schlagkraft.
Bisher sass Frei in der Sicherheitskommission. Diesen Sitz behält er - auch mit dem Parteiwechsel. Der SP tut das nicht sonderlich weh, denn hier bestehen zwischen der Politik der Linken und den Grünliberalen kaum Differenzen. Ganz anders sieht es bei der Sozial- und Gesundheitspolitik aus. Eine spezielle Konstellation sorgt dafür, dass wegen Freis Parteiwechsel die GLP neu auf zwei Sitze im zuständigen Gremium kommt - auf Kosten der Genossen, die einen verlieren.
Erfolg der SP schadet ihr jetzt
Das Paradoxe: Zu dieser Situation hat ausgerechnet ein Erfolg der SP geführt. Ihre Nationalrätin Rebecca Ruiz (37) ist in die Waadtländer Kantonsregierung gewählt worden. Per Ende März ist Ruiz deshalb aus dem Nationalrat ausgeschieden. Ihr Sitz in der Sozial- und Gesundheitskommission (SGK) war verwaist.
Mit dem Parteiwechsel Daniel Freis haben die Sozialdemokraten nun Anspruch auf weniger Kommissionssitze. Das Büro des Nationalrats hat deshalb heute früh den leeren Sitz in der Sozial- und Gesundheitskommission offiziell den Grünliberalen zugesprochen. Das Büro besteht aus Nationalratspräsidium, den Fraktionschefs und den Stimmenzählern.
SP-Fraktionspräsident Roger Nordmann (46) bestätigt auf Anfrage den Sitzverlust: «Dieser schmerzt. Mit dem zusätzlichen SGK-Sitz der GLP haben die Bürgerlichen jetzt definitiv die Mehrheit bei sozial- und gesundheitspolitischen Themen.»
«Stärkung der Grünasozialen»
Man müsse sich das einmal vor Augen führen, so Nordmann: «98 Prozent von Freis Wählern sind Anhänger der Sozialdemokraten. Sie haben einen der ihren in den Nationalrat wählen wollen. Von mir aus noch einen sozialliberalen SPler. Erhalten haben sie nun die Stärkung der Grünasozialen», ereifert er sich. In Sozialfragen stünde die GLP ja sogar weit rechts der Freisinnigen.
Tatsächlich hat die GLP bei Gesundheits- und Sozialfragen in vielen Punkten eine dezidiert andere Haltung als die Genossen: Die Grünliberalen wollen beispielsweise die Mindestfranchise bei der Krankenkasse von 300 auf 500 Franken erhöhen. Die GLP will zudem die Versicherten für jeweils drei Jahre an eine Krankenkassen binden - für die SP sind das «Knebelverträge». Laut den Grünliberalen soll sich der Bund auch weniger stark an der Prämienverbilligung beteiligen und es soll, geht es nach ihnen, eine Praxisgebühr von 50 Franken für die Spitalnotfallaufnahme eingeführt werden.
Wähler sollen selbst über Betrug entscheiden
Die GLP will zudem nicht nur das Frauenrentenalter auf 65 Jahre erhöhen, sondern peilt auch das Rentenalter 67 an, was die Linken mit der Wahl Freis ebenfalls kaum befördern wollten. Zudem möchten die Grünliberalen die AHV-Kinderrenten abschaffen, also die Zahlungen für Rentner, die unterhaltspflichtige Kinder haben. Und auch bei den Witwenrenten will die Partei den Rotstift ansetzen.
Auf die Frage, ob Frei angesichts solcher Haltungen seine Wähler in Zürich betrogen habe, weicht Fraktionschef Nordmann aus: «Seine Wählerinnen und Wähler können selbst entscheiden, ob sie Freis 180-Grad-Wende goutieren oder nicht.»
Neo-GLPlerinnen sehen bei neuer Partei Karrierechancen
Bei vielen Genossen ist die Enttäuschung über Freis Parteiwechsel gross. Schliesslich war er nicht nur langjähriges Parteimitglied, sondern präsidierte einst auch die SP des Kantons Zürich. Erst vergangenen Dezember war er für Chantal Galladé (46) in den Nationalrat nachgerückt. Und Ende Mai kehrte er zusammen mit seiner Lebenspartnerin, Kantonsrätin Claudia Wyssen, der SP den Rücken - wie das zuvor schon Galladé getan hat.
Galladé wie Wyssen wird nachgesagt, sie erhofften sich bei der GLP grössere Karrierechancen als bei der SP. Frei hingegen wird im Herbst nicht für die GLP kandidieren, sondern scheidet aus dem Parlament aus.