Der Gang zum Bankomaten in Pristina lieferte Bahri Sheholli (65) vergangene Woche die freudige Gewissheit: Seine erste AHV-Rente ist endlich da. 895 Euro – umgerechnet 981 Franken – hat die Schweizerische Ausgleichskasse dem Rentner überwiesen. «Ich bin sehr erleichtert», sagt er. «Endlich kann ich meine Schulden zurückzahlen!»
Sheholli ist nicht der Einzige, der sich dieser Tage beim Blick auf den Kontostand freut. Seit die Schweiz 2010 das Sozialversicherungsabkommen mit dem Kosovo gekündigt hat, waren keine AHV- und IV-Renten mehr in den jungen Balkanstaat geflossen. Kosovaren, die wie Sheholli jahrzehntelang in der Schweiz gearbeitet und AHV-Beiträge gezahlt haben, erhielten keinen Rappen. Nur wer in der Schweiz blieb, hatte weiterhin Anspruch auf die Rente.
Das änderte sich nun. Im Sommer gab das Parlament grünes Licht für eine Neuauflage des Abkommens (BLICK berichtete). Seit Anfang Monat ist es in Kraft, und es werden die ersten Renten bezahlt.
«Es war eine Strapaze»
«Ich war sehr glücklich, als ich davon erfuhr», sagt Bahrije Ramiqi (48), deren Ehemann fast fünf Jahrzehnte in der Schweiz gearbeitet hatte. Auch Rentner Ali Aliu (66) freut sich. Ihn und weitere Rentner hatte BLICK schon vor dem Parlamentsentscheid in ihrer Heimat besucht.
Seither sei er für die Antragstellung schon dreimal von seinem Wohnort Blaq im Süden Kosovos nach Pristina gereist, erzählt der gesundheitlich angeschlagene Aliu drei Monate später. Eine Strecke von jeweils über 100 Kilometern pro Weg.
Denn automatisch werden die Renten nicht ausbezahlt. «Es war eine Strapaze, von uns so viele Dokumente einzufordern», sagt Rentnerin Mina Hasani (68). Die Rentner, mit denen BLICK in Kontakt stand, beklagen sich ausserdem über die Informationspolitik der Behörden beider Staaten.
Nach dem Einreichen der benötigten Dokumente habe sie wochenlang nichts gehört, erzählt Witwe Djuzide Gavazaj (83). Ihr Gatte Faik war 1981 alleine in die Schweiz gekommen, wo er als Maurer sein Geld verdiente. Als er 2011 starb, blieb seiner Frau wegen des gekündigten Abkommens nicht einmal die Witwenrente von 579 Franken. Das mag hierzulande wenig sein. Doch im Kosovo entspricht der Betrag einem durchschnittlichen Monatslohn.
Erst wenige Hundert Anträge
Viele der betroffenen Rentner haben erst von der Gewerkschaft Unia oder von Landsleuten erfahren, dass sie nun plötzlich Anrecht auf eine Rente haben. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) beschränkte sich darauf, die Medienmitteilung zum Entscheid und ein Infoblatt auf Albanisch und Serbisch auf seine Homepage zu stellen.
Dabei sind viele der Betroffenen hochbetagt und haben höchstens über ihre Verwandten Zugang zum Internet. Das BSV meint dazu lediglich: «Die Neuigkeiten bezüglich des Abkommens sprechen sich erfahrungsgemäss unter den kosovarischen Staatsangehörigen sowohl in der Schweiz als auch in Kosovo rasch herum.»
Ein Blick auf die Zahlen lässt daran Zweifel aufkommen. Gerade einmal rund 60 Kosovaren haben bislang einen Antrag auf AHV-Rente gestellt. Hinzu kommen 135 Personen, die bisher eine IV-Rente bezogen hatten, die nun durch eine teilweise deutlich höhere AHV-Rente ersetzt wird. Rund 200 Anträge werden laut BSV zudem derzeit noch geprüft. Zwar sind die Zahlen schwer einzuordnen, da unbekannt ist, wie viele Kosovaren insgesamt vom Renten-Entscheid betroffen sind. Es dürften aber viel mehr sein.
«Ich habe die Hoffnung nicht verloren»
«Uns macht die Informationslücke für die betroffene Begünstigten Sorgen», sagt Osman Osmani (61) von der Unia. «Die Leute sind verloren», sagt er. Seit Wochen würden sich Betroffene und ihre Angehörigen mit Fragen bei der Gewerkschaft melden. «Sie erzählen davon, dass sie nicht wissen, was sie alles machen sollen, und egal in welcher Gemeinde sie leben, müssen sie für Informationen und Anmeldung nach Pristina reisen», so Osmani. Es brauche unbedingt eine «umfassende Informationskampagne».
Die Gewerkschaft kritisiert zudem nach wie vor den Entscheid des Bundes heftig, die Renten nur zukünftig, nicht aber auch rückwirkend zurückzuzahlen. Es geht um Millionen. Allein Witwe Gavazaj hätte in den vergangenen acht Jahren Anspruch auf über 50'000 Franken gehabt. Bei Bahri Sheholli, der 1990 in die Schweiz geflohen war, sind es rund 10'000 Franken. Er glaubt fest daran, auch dieses Geld irgendwann aus dem Bankomaten in Pristina ziehen zu können. «Ich habe die Hoffnung noch nicht verloren, dass die Staaten eine Lösung finden werden.»