Hier wird das AKW Mühleberg abgeschaltet
12:00
Historischer Moment:Hier wird das AKW Mühleberg abgeschaltet

AKW Mühleberg abgeschaltet
Jetzt wird seine «Diva» abgewrackt

Heute Mittag geht mit Mühleberg das erste Schweizer Atomkraftwerk vom Netz. Schichtleiter Daniel Noth arbeitet seit fast 30 Jahren im Berner Kernkraftwerk. Sein Job ist ab nächstem Jahr ein anderer. BLICK zeigt live, wie das AKW abgeschaltet wird.
Publiziert: 19.12.2019 um 23:26 Uhr
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Aktualisiert: 20.12.2019 um 15:55 Uhr
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Daniel Noth, Schichtleiter im Kommandoraum des AKW Mühleberg, muss mithelfen, das Atomkraftwerk zurückzubauen.
Foto: Karl-Heinz Hug
Pascal Tischhauser

Sicherheitsleute patrouillieren auf dem Areal des Berner Atomkraftwerks Mühleberg. Auch im Eingangsbereich des Werks an der Aare stehen Männer in Uniform. Hinter einer Glasscheibe sitzt ein weiterer Uniformierter. Kommt jemand, grüssen sie freundlich, bleiben aber reserviert.

Sie werden noch einige Jahre bleiben. Vieles andere ist ab heute Mittag nicht mehr so, wie es in den letzten Jahrzehnten war. Auch für Daniel Noth (56) nicht.

Die beiden roten Knöpfe, die um 12.30 Uhr vom diensthabenden Reaktoroperateur gedrückt werden, sind schon viele Male für die Revision des Kraftwerks betätigt worden. Doch diesmal überwacht ein Expertenteam den Wasserhaushalt des ruhenden Reaktors nicht nur für einige Wochen, sondern noch für Jahre. Bis Mühleberg sein Leben endgültig ausgehaucht hat.

Kernkraftwerk Mühleberg wird heute abgeschaltet
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Interview mit Daniel Noth (56):Kernkraftwerk Mühleberg wird heute abgeschaltet

«Wir kochen nur mit Wasser»

Schichtleiter Noth kennt das Prozedere – und er weiss vor allem auch, wie man das Kernkraftwerk am Leben hält: «Wir kochen nur mit Wasser, aber mit sehr viel halt.» Mühleberg sei ein grosser Kochtopf, in dem «wunderbare Sachen» passierten. Das Wasser verdampft und treibt Turbinen an. Wenn das Wasser verbraucht ist, wird es gekühlt und wieder zurück in den Reaktor geleitet. Wie in einem Blutkreislauf. «Ganz so banal ist es natürlich nicht, immer exakt so viel Wasser nachfliessen zu lassen, wie rausgeht.»

Noth hat Mühleberg spürbar liebgewonnen. Seit fast 30 Jahren kümmert er sich um die «Diva», wie er das Kernkraftwerk nennt. «Sie möchte, dass man sich extrem um sie kümmert.» Er und die weiteren Mitarbeiter sind in sechs Teams im Kommandoraum 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche für die alte Dame da.

Wenn die «Diva» ab heute Mittag friedlich zu entschlummern beginnt, sinkt die Temperatur des Reaktorwassers innerhalb von sieben Stunden um 180 Grad. Noch bis zum 22. Dezember wird das AKW weiter heruntergefahren.

Am 6. Januar beginnt der Rückbau

Ab dem 6. Januar 2020 startet dann der erste Rückbau eines Atomkraftwerks in der Schweiz. Doch auch während das Atomkraftwerk langsam zerlegt wird, achten Noth und seine Mannen darauf, dass die «Diva» kein Fieber bekommt, also die Wassertemperatur nicht plötzlich ansteigt.

Im kommenden Jahr wird die Arbeit des Familienvaters, der ganz in der Nähe des AKW wohnt, eine andere sein. Nach den Festtagen ist er kein Schichtleiter mehr, der dafür sorgt, dass seine Leute prüfen, wo es die «Diva» grad wieder zwickt. Vorbei sind auch die Zeiten, an denen er um 7 Uhr morgens, um 15 Uhr oder erst um 23 Uhr das Haus verlässt, um eine halbe Stunde später die Schicht zu beginnen. Und auch an den Wochenenden ist er nun für gewöhnlich zu Hause. Da kommt auch auf seine Frau und die drei Töchter eine grosse Umstellung zu.

Neu koordiniert Noth, wie sein Arbeitsplatz Stück für Stück zerlegt wird. Er hat dem heutigen Tag mit Wehmut entgegengesehen. «Das Ding für immer herunterzufahren, davor hab ich schon Respekt», räumt er ein. Aber es erfülle ihn auch mit Stolz. Denn wenn man etwas macht, dann macht man es in den Augen Noths auch richtig und räumt am Schluss wieder auf: «Wenn ich in Norditalien die alten Industrie-Ruinen der Chemischen sehe, dann weiss ich, was ich nicht will.» Die einstigen Industrieanlagen würden zerfallen. Sie seien hochgiftig. «Es gehört sich, das Ding fortzuputzen!»

«Jedes Ding hat seine Zeit»

«Natürlich war ich damals, nach dem Entscheid der BKW, das Kernkraftwerk aufzugeben, erst mal enttäuscht.» Betriebswirtschaftlich kann er den Entscheid seiner Arbeitgeberin verstehen. «Jedes Ding hat seine Zeit.» Erfreulicherweise hat die Betreiberin des Kernkraftwerks, die BKW, beschlossen, das Werk grösstenteils mit eigenen Leuten zurückzubauen.

Technisch gesehen hätte die Dame trotz ihrer Zipperlein 60 Jahre lang laufen können, ist er überzeugt. Für ihn ist Mühleberg wie ein lebender Organismus, der umsorgt werden will. Das hätte er gern noch einige Jahre weitergemacht, merkt man Noth an. Doch eben, heute Mittag ist Schluss. Dann ist Mühleberg keine «Diva» mehr. Gehts ums Abstellen, spricht er nicht mehr von der «Diva», sondern vom «Ding».

Noth blickt auf fast 30 Jahre Mühleberg zurück: 1990 hatte er im «Bieler Tagblatt» eine Stellenanzeige der BKW für einen Anlageoperateur im Kernkraftwerk Mühleberg gesehen. «Das hat mich interessiert», erzählt er. Er rief an, wusste gar nicht genau, was man da macht. Doch er bekam den Job. Ausbildungsjahre folgten.

Gleich am Anfang sagte ihm sein Chef, er müsse sich an die ständige Opposition gegen das Atomkraftwerk gewöhnen. Und der abtretende AKW-Schichtleiter verurteilt die Demos gegen Mühleberg denn auch nicht. Sie würden den Experten ihre Verantwortung in Erinnerung rufen. «In meiner Jugend war ich selbst atomkritisch. Und ja, auch ich habe Anti-Atom-Lieder gesungen.» Militant sei er aber nie gewesen.

Von unschönen Bildern leiten lassen

Während er Verständnis für die Demonstranten zeigt, verurteilt Noth den Entscheid des Bundesrats, der Ende Juni 2013 wegen des Fukushima-Unglücks den schrittweisen Atomausstieg beschloss. «Dieser Entscheid schockiert mich noch immer!», ereifert er sich. Er ärgert sich nicht über den Ausstiegsbeschluss an sich, «sondern darüber, dass er ohne Faktenbasis gefällt wurde». Auf der anderen Seite des Globus passiere ein schlimmes Unglück, «und noch bevor die Fachleute Bescheid wissen, fällt die Regierung Entscheide». Statt von Fakten habe sich der Bundesrat von unschönen Bildern in den Medien leiten lassen.

Das Ersatzatomkraftwerk, das neben dem AKW Mühleberg hätte gebaut werden sollen, war Geschichte. Derweil waren aber schon Kollegen frisch von der Uni verpflichtet worden, um später ihr Wissen im neuen Kernkraftwerk anzuwenden. «Nach dem Aus fürs neue Kraftwerk verliessen uns mehrere dieser Leute wieder. Einige aber blieben. Diese Blutauffrischung tat uns gut», erklärt er.

Noth blickt auf viele schöne Erinnerungen in Mühleberg zurück. Was ihn in all den Jahren betrübt habe, seien nicht berufliche Sachen, sondern die menschlichen Schicksale gewesen. So sei es bei mehreren Kollegen wegen der Schichtarbeit zu Scheidungen gekommen. Noths Blick schweift in die Ferne: «Wenn eine Familie zerbricht, ist das immer sehr schmerzlich.»

Noth ist davon verschont geblieben. Seine Familie muss sich nun daran gewöhnen, dass er künftig abends und an den Wochenenden zu Hause ist. Sie konnte aber schon üben: «Wer auf der Schicht arbeitet, hat auch immer wieder eine Freiwoche.» Er freut sich darauf, abends stets zu Hause zu sein und mit seinen Töchtern auch darüber zu diskutieren, was mit dem Atommüll passieren soll.

Noth hat frei

Noth wird heute die beiden Aus-Knöpfe nicht drücken. «Hätte ich Dienst gehabt, hätte ich das schon befohlen.» Aber Noth hat frei. Oft aber war er über die Festtage im Atomkraftwerk.

Gerade an Weihnachten hat er gute Erinnerungen. «Als noch Doktor Georg Markoczy Kraftwerksleiter war, war der Ablauf immer der selbe: Am 25. Dezember, nach der Predigt in der St. Ursenkathedrale in Solothurn, kam er stets mit seiner Gattin zu uns in den Kommandoraum und hat jedem schöne Weihnachten gewünscht. Wenn die Chefs einen auch an Feiertagen nicht vergessen, zeigt das ihre Wertschätzung.»

Doch diese Zeiten sind vorbei. Schon 2024 sollen 98 Prozent der Radioaktivität Mühleberg verlassen haben. Und laut Plan ist 2030 der nukleare Teil des Werks abgebaut. Ab 2034 könnte sich dort, wo am Aare-Ufer 47 Jahre lang ein AKW Strom produzierte, eine grüne Wiese befinden.

Vielleicht deutet dann noch eine Gedenktafel daraufhin, dass hier einst eine «Diva» das Zeitliche segnete.

Alles zur Abschaltung des AKW Mühleberg finden Sie hier.

Fünf Prozent Strom fallen weg

Am Freitag ist es so weit: Nach 47 Jahren geht das AKW Mühleberg vom Netz. Für die Stromversorgung des Landes ist das verkraftbar. Mühleberg produzierte zuletzt noch fünf Prozent des gesamten Schweizer Stroms. Dieser wird nun wohl importiert werden müssen. In den nächsten Jahren wird sich zeigen, ob es auch dreckigen Kohlestrom braucht oder nicht.

Obwohl Mühleberg nicht das älteste AKW der Schweiz ist, hat die Betreiberin BKW beschlossen, es zuerst vom Netz zu nehmen. Aus wirtschaftlichen Gründen. Wie lange die anderen vier Schweizer AKW noch laufen, ist noch nicht klar. Selbst beim Oldtimer Beznau I, dem ältesten AKW der Welt, gibt es noch kein Abschaltdatum. Denn der Bund hat beschlossen, keine Laufzeitbeschränkung einzuführen. Das heisst, dass die Atommeiler so lange am Netz bleiben dürfen, wie sie das Eidgenössische Nuklearinspektorat für sicher erklärt.

Am Freitag ist es so weit: Nach 47 Jahren geht das AKW Mühleberg vom Netz. Für die Stromversorgung des Landes ist das verkraftbar. Mühleberg produzierte zuletzt noch fünf Prozent des gesamten Schweizer Stroms. Dieser wird nun wohl importiert werden müssen. In den nächsten Jahren wird sich zeigen, ob es auch dreckigen Kohlestrom braucht oder nicht.

Obwohl Mühleberg nicht das älteste AKW der Schweiz ist, hat die Betreiberin BKW beschlossen, es zuerst vom Netz zu nehmen. Aus wirtschaftlichen Gründen. Wie lange die anderen vier Schweizer AKW noch laufen, ist noch nicht klar. Selbst beim Oldtimer Beznau I, dem ältesten AKW der Welt, gibt es noch kein Abschaltdatum. Denn der Bund hat beschlossen, keine Laufzeitbeschränkung einzuführen. Das heisst, dass die Atommeiler so lange am Netz bleiben dürfen, wie sie das Eidgenössische Nuklearinspektorat für sicher erklärt.

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