Markus Müller (44) hat mit Epidemiologie normalerweise nichts am Hut. Der Experte für theoretische Physik forscht am Paul Scherrer Institut (PSI) in Villigen AG unter anderem an Systemen für Quantencomputer. Nun hat Müller gemeinsam mit PSI-Kollegen einen Vorschlag für ein Testregime zur zeitnahen Verfolgung der Corona-Pandemie entworfen.
Ihn beschäftigte vor allem die lange Reaktionszeit der Politik, so Müller. Denn wegen der langen Inkubationszeit des Virus wisse man im Grunde immer erst mit zweiwöchiger Verspätung, ob Massnahmen wie der Lockdown gewirkt haben. «Wir haben uns gefragt: Muss das so sein?»
Müller begann zu modellieren und zu rechnen. Eine erste Idee, regelmässig zufällige Stichproben aus der Bevölkerung zu testen, verwarf er nach Gesprächen mit Epidemiologen. Doch nun ist er bei einer Rechnung angelangt, von der er überzeugt ist, dass sie als Frühwarnsystem funktionieren könnte.
Wöchentliche Tests
Müllers Vorschlag: Einen fix definierten Teil der Bevölkerung immer wieder auf das Virus zu testen – ungeachtet dessen, ob sie Symptome haben. Müller schwebt vor, beispielsweise Personal der SBB oder der Spitäler wöchentlich zu testen. Spitäler und Pflegeheime praktizieren das teilweise schon.
Entscheidend für das Tempo der Pandemie ist letztlich die Transmissionsrate des Virus – der sogenannte R-Wert, der angibt, wie viele Personen ein Erkrankter im Durchschnitt ansteckt. Müller hofft, mit asymptomatischem Testen quasi ein Frühwarnsystem dafür zu erhalten, ob die Fälle wieder ansteigen. «Mit der beobachteten Transmissionsrate könnte man eine zuverlässige Schätzung über die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus in der Gesamtbevölkerung machen», sagt er.
Eine etwaige Steigerung der Infektionszahlen sei so vier bis fünf Tage früher erkennbar. Entsprechend könne man staatliche Eingriffe in Wirtschaft und Gesellschaft früher machen – und damit Millionen sparen.
Statistik ist überall Statistik
Christian Althaus (41), Epidemiologe an der Universität Bern und Mitglied der Expertengruppe des Bundes, ist gegenüber Müllers Vorschlag nicht abgeneigt. «Der Ansatz und die statistischen Überlegungen sind natürlich interessant», sagt er. Und breites Testen sei in jedem Fall eine sinnvolle Idee – darauf haben Epidemiologen seit Anfang der Krise hingewiesen.
Skeptischer zeigt er sich allerdings, ob die Rechnung punkto Transmissionsrate aufgeht. «Ich bin nicht ganz überzeugt, ob man aus dem Testen spezifischer Gruppen tatsächlich Rückschlüsse über den Verlauf der Epidemie in der Gesamtbevölkerung ziehen kann.» Zusätzlich wäre bei den aktuell tiefen Infektionszahlen der Testaufwand wohl gigantisch, gibt Althaus zu bedenken.
Modell zum falschen Zeitpunkt
Letzteres ist auch Müller bewusst. «Eigentlich kommen wir zum falschen Zeitpunkt», sagt er. Denn bei tiefer Infektionsrate bräuchte es an die 100'000 Tests pro Woche, um Rückschlüsse auf die Transmissionsrate zu ziehen. Doch um so wichtiger wäre es, für eine etwaige zweite Welle bereit zu sein, sagt er. «Die Logistik wäre sicher eine riesige Herausforderung», so Müller. Das sei aber etwas, das man jetzt schon vorbereiten könnte.
Er habe bereits Kontakt zur Taskforce des Bundes und Testexperten gesucht, so Müller. Bis auf die genannten Gespräche gebe es aber bislang keine Zusammenarbeit. Althaus seinerseits betont, nicht für die Taskforce sprechen zu können. Vorschläge wie die des Physikers Müller würden aber unter Wissenschaftlern mit Interesse diskutiert.
Markus Müller jedenfalls ist von seiner Idee überzeugt. Er habe bereits Kontakt zu grossen Schweizer Unternehmen aufgenommen, wo seine Idee auf Interesse stosse, sagt er. Nächste Woche wolle er weitere Gespräche führen.
Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.
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