Donnerstag, kurz vor 19 Uhr: Ein Mannschaftswagen der Schweizer Armee hält auf dem Schiessplatz bei Chancy im Kanton Genf, einen Steinwurf von der schweizerisch-französischen Grenze entfernt. Eine Gruppe gut gelaunter Frauen und Männer springt von der Ladefläche. Alle tragen Zivilkleider: Ein Schwarzer kommt in weissen Turnschuhen und Jeans, ein Asiate trägt eine blaue Windjacke, eine Frau, wohl Muslimin, ein pinkfarbenes Kopftuch. Armee-Pelerinen schützen die Truppe vor dem strömenden Regen.
SonntagsBlick ist diskret vor Ort. Recherchen führten zur Vermutung, dass an diesem Donnerstag eine brisante Übung stattfinden würde.
In der Tat: SonntagsBlick entdeckt das Camp der Schande! Die rund 15 Frauen und Männer werden von einer Handvoll Schweizer Offizieren begleitet. Die Gruppe spricht englisch. Die Stimmung ist heiter. Man witzelt. Lacht. Und raucht. Dann schnappen sich alle scharfe Munition, stellen sich in eine Reihe, setzen das Magazin ein, laden durch.
Die Schweizer Offiziere geben Instruktionen und schliesslich den Befehl auf Englisch: «Ready – fire!»
Eine Person nach der anderen feuert in die wenige Meter entfernte Wand aus Sand und Kies. Zielscheiben sind nirgendwo in Sicht.
Ist das Friedenssicherung?
Die Leute, die an diesem Donnerstag in den Genfer Wäldern den Krieg üben, sind Studenten des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik (GCSP). Armee-Offiziere, Regierungsvertreter, Diplomaten und NGO-Mitarbeiter aus 135 Staaten studierten in den letzten knapp 20 Jahren hier; unter ihnen Afghanen, Inder, Pakistani, Kirgisen, Russen und Ukrainer.
Und derzeit auch zwei Offiziere aus Nordkorea. Dass am GCSP seit 2011 auch acht Personen aus dem totalitären Staat ausgebildet worden sind, machte das Westschweizer Radio RTS vor gut einem Monat publik – und löste damit Kritik am Zentrum aus. Schliesslich wird es mit Millionenbeträgen vom Schweizer Aussendepartement (EDA) mitfinanziert. Das Verteidigungsdepartement (VBS) übernimmt zudem die Stipendien der beiden Nordkoreaner: rund 150 000 Franken pro Jahr. Die Kritik ebbte jedoch rasch ab – weil das VBS erklärte, es handle sich um einen Lehrgang zur Förderung von Frieden und Sicherheit. Die Teilnehmer würden aktuelle Sicherheitsfragen analysieren, von Massenvernichtungswaffen über Terrorismus bis zu Menschenrechtsverletzungen.
Sogar VBS-Chef Ueli Maurer (63) sagte damals, die Schweiz sei als neutrales Land der ideale Gastgeber für solche Kurse. «Andere Länder beneiden uns um diese Plattform», so der SVP-Bundesrat. Und jetzt das!
Die Studenten des mit Steuergeld finanzierten GCSP drücken nicht nur die Schulbank in Vorlesungen zur Förderung des Weltfriedens. Nein, sie lernen hierzulande auch den Umgang mit tödlichen Waffen! Die Schweizer Armee zeigt den ausländischen Offizieren, Diplomaten und Regierungsvertretern, wie sie mit dem Sturmgewehr 90 und der Militärpistole 75 richtig schiessen. Auf blick.ch ist dazu heute auch ein Video zu sehen.
Besonders stossend: Die Schweizer Armee instruiert sogar nordkoreanische Offiziere im Umgang mit Schweizer Armeewaffen!
VBS: «Teamgeist fördern»
Nordkorea ist ein totalitärer Staat, in dem die Menschenrechte ausser Kraft sind. Die Volksarmee schiesst rücksichtslos auf eigene Bürger, wenn es darum geht, die Macht von Diktator Kim Jong Un (30) zu sichern. Auf SonntagsBlick-Anfrage bestätigt das VBS das Schiesscamp mit Schweizer Armeewaffen.
Sprecher Renato Kalbermatten sagt: «Das GCSP hatte mit der Organisation des Anlasses aber nichts zu tun.» Und weiter: «Es gibt keine militärische Ausbildung in den Kursen des GCSP.»
Und GCSP-Direktor Christian Dussey, ein EDA-Botschafter, beteuert: «Die Ausbildung an der Waffe ist ausdrücklich kein Bestandteil der Ausbildung.»
Wer also ist für den Ballerabend verantwortlich?
Laut VBS hat ein Schweizer GCSP-Student das Schiessen im Rahmen eines «Schweizer Abends» organisiert, um «den Teamgeist zu fördern». Das Departement von Ueli Maurer habe keine Kenntnis von diesem Anlass gehabt. Wer die Munition bezahlte, konnte Sprecher Kalbermatten nicht beantworten – interne Abklärungen seien noch im Gange.
Fakt bleibt: Es waren Instruktoren der Schweizer Armee, die das Schiessen organisierten und die Teilnehmer anleiteten. Fahrzeuge, Waffen und Munition – alles kam von der Armee. Und der Schiessplatz gehört zur Kaserne der Rettungsschule 76 in Genf.
Klar ist auch: So einfach können Private keinen Schiessplatz mieten. Margrit Schwaller von Armasuisse, der Beschaffungsorganisation für Rüstungsgüter im VBS, sagt klipp und klar: «Die Vermietung von Schiessplatzinfrastruktur dient fachspezifischen Ausbildungszwecken von Militärverbänden, Polizeikorps, Sicherheitsinstitutionen und zivilen Vereinen.»
Und sicher ist schliesslich: Die Schiessübung wird Konsequenzen haben. SP-Nationalrätin Chantal Galladé spricht von einem «Skandal, falls die Armee von der Übung gewusst hat». Sie fordert eine «lückenlose Aufklärung» (siehe oben).
Knapp am Drama vorbei
Fragen muss sich die Armee auch bezüglich der Einhaltung von Sicherheitsvorschriften gefallen lassen. Rund eineinhalb Stunden ballerten die Studenten am Donnersag ein Magazin nach dem anderen durch – einige gekonnt, andere weniger.
Eine Frau etwa hat offensichtlich keine Ahnung, wie das Sturmgewehr nachzuladen ist. Ein Mann schiesst rambomässig aus der Hüfte. Die Schweizer Instruktoren müssen dauernd eingreifen.
Und schliesslich kommt es fast zu einer Katastrophe. Eine Frau mit pinkfarbener Kapuze gibt beim Anlegen des Sturmgewehrs ungewollt einen Schuss ab, zum Glück in die Luft. Studienkollegen und Schweizer Offiziere zucken erschrocken zurück.
Rekruten, die so fahrlässig mit ihrer Waffe hantieren, werden nicht nur ordentlich zusammengestaucht. Ihnen und ihren Vorgesetzten drohen auch disziplinarische Massnahmen. Bei den ausländischen Studenten bleibt der Vorfall wohl ohne Konsequenzen.
Am nächsten Tag steht wieder trockener Theoriestoff auf dem Programm. In einem modernen Glasbau in der Genfer Innenstadt sitzen die Studenten im Schulzimmer. SonntagsBlick kann mit einem der beiden nordkoreanischen Offiziere sprechen, als dieser das Gebäude für eine Rauchpause verlässt. Die Schiessübung vom Vortag habe ihm sehr gefallen, erzählt er.
Und fügt begeistert an: «Das Schweizer Sturmgewehr ist sehr, sehr leistungsfähig.»
Nordkorea ist mit seinen 24 Millionen Einwohnern die letzte Bastion des real existierenden Kommunismus. Kim Jong Un (30), der grosse Führer, der in Bern einen Teil seiner Schulzeit verbrachte, herrscht als unbarmherziger Diktator und Nachfolger seines Vaters und Grossvaters. Von diesen hat er nicht nur den Posten, sondern auch den abstrusen Personenkult übernommen. Kims Untertanen haben weder Rechte noch Freiheit. Ein Teil des Volkes hungert, zwischen 100000 und 200000 Menschen fristen ihr Dasein in brutalen Straflagern – meist ohne Gerichtsverfahren (Bild oben). Kinder, die dort geboren werden, bleiben wie ihre Eltern inhaftiert, ohne Aussicht auf Freilassung. Willkürliche Hinrichtungen sind in Kims Reich an der Tagesordnung. Seine Armee ist eine der grössten der Welt, inklusive Reservisten zählt sie sechs Millionen Soldaten. 2013 drohte Kim den USA mit einem nuklearen Erstschlag und sorgte so für eine erneute Zuspitzung im Koreakonflikt. Die Vereinten Nationen verschärften danach die Sanktionen, die sie 2006 nach dem ersten Atombombentest der Nordkoreaner angeordnet hatten.
Matthias Halbeis
Nordkorea ist mit seinen 24 Millionen Einwohnern die letzte Bastion des real existierenden Kommunismus. Kim Jong Un (30), der grosse Führer, der in Bern einen Teil seiner Schulzeit verbrachte, herrscht als unbarmherziger Diktator und Nachfolger seines Vaters und Grossvaters. Von diesen hat er nicht nur den Posten, sondern auch den abstrusen Personenkult übernommen. Kims Untertanen haben weder Rechte noch Freiheit. Ein Teil des Volkes hungert, zwischen 100000 und 200000 Menschen fristen ihr Dasein in brutalen Straflagern – meist ohne Gerichtsverfahren (Bild oben). Kinder, die dort geboren werden, bleiben wie ihre Eltern inhaftiert, ohne Aussicht auf Freilassung. Willkürliche Hinrichtungen sind in Kims Reich an der Tagesordnung. Seine Armee ist eine der grössten der Welt, inklusive Reservisten zählt sie sechs Millionen Soldaten. 2013 drohte Kim den USA mit einem nuklearen Erstschlag und sorgte so für eine erneute Zuspitzung im Koreakonflikt. Die Vereinten Nationen verschärften danach die Sanktionen, die sie 2006 nach dem ersten Atombombentest der Nordkoreaner angeordnet hatten.
Matthias Halbeis