Schweiz straft jetzt schon härter als Deutschland
Durchsetzungs-Initiative bringt nichts gegen Sex-Mob-Attacken

Gerne verweisen SVP-Befürworter der Durchsetzungsintiative auf die EU: Dort gäbe es in gewissen Staaten ähnliche Regelungen. Wenn es um die Delikte geht, die zur roten Karte führen, mag das stimmen. Doch in jedem einzelnen Fall prüft ein Gericht, ob die Ausschaffung verhältnismässig ist.
Publiziert: 14.01.2016 um 11:15 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 23:35 Uhr

Nach den widerwärtigen Ereignissen in der Silvesternacht in Köln hat die deutsche Bundesregierung reagiert. Innenminister Heiko Maas stellte Anfang Woche weitere Gesetzesverschärfungen in der Abschiebepraxis vor, welche die Regierung in Berlin beschlossen hatte. Hierzuland jubelten die Befürworter der Durchsetzungsinitiative: Die Deutschen würden nun nachziehen. Es sei genau das, was auch das Volksbegehren fordere.

Doch was die Deutsche Bundesregierung jetzt umsetzen will, ist viel weniger hart, als das was das Parlament als Kompromiss zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative beschlossen hat, schreibt heute die «NZZ». Sowohl das nach der Ausschaffunginitiative revidierte Strafrecht, als auch die Durchsetzungintiative fordern für sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, Raub und andere schwere Straftaten eine obligatorische Ausweisung. Was im nördlichen Nachbarland diskutiert wird, ist durch geltendes Schweizer Recht als auch durch beide Vorlagen längst abgedeckt, zum Beispiel Ausschaffungen auch bei Strafen auf Bewährung oder bei Strafen unter einem Jahr. 

Dazu bringt die Durchsetzungsinitiative bei Vorfällen wie in Köln laut «NZZ» keinen Zusatznutzen: «Die Hürden für eine Verurteilung wegen sexueller Nötigung sind hoch. Einfaches Grapschen über den Kleidern fällt nicht darunter. Wegen eines einfachen Diebstahls würde auch mit der Durchsetzungsinitiative kein Ausländer ausgewiesen, abgesehen vom qualifizierten Diebstahl, den aber auch das Parlament als Ausschaffungsgrund definiert hat.» Dazu kommt laut «NZZ», dass es schwierig sein werde, einem übergriffigen Mob bandenmässigen Diebstahl nachzuweisen. Ob Deutschland einen zusätzlichen Grapsch-Tatbestand («tätliche sexuelle Belästigung») einführe, werde sich weisen. Die SVP-Initiative mache keinen Unterschied.

Was die Durchsetzungsinitiative vom geltenden Recht in der Schweiz und Deutschland laut «NZZ» unterscheide, sei der rigide Automatismus. Für bestimmte Delikte muss laut Initiative ohne Einzelfallprüfung, unabhängig von der Strafhöhe und ungeachtet dessen, ob der Täter im Land aufgewachsen ist, obligatorisch die Ausschaffung angeordnet werden. 

Einen solchen rechtsstaatlich fragwürdigen Automatismus gibt es in unserem nördlichen Nachbarland und generell in der EU nicht. Daran ändert auch nichts, wenn einzelne SVP-Exponenten immer wieder und wohl wider besseres Wissen behaupten, England verfüge über die Möglichkeiten, welche die Durchsetzungsinitiative einführen wolle.

Selbst nach den Ereignissen in Köln wird eine automatischer Mechanismus nicht diskutiert – in Deutschland wäre eine Abschaffung der Einzelfallprüfung auch gar nicht denkbar. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe würde es nicht zulassen, weil die Durchsetzungsinitiative gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstösst, schreibt die «NZZ». Das Bundesgericht in Lausanne hätte nach Annahme der Durchsetzungsinitiative eine schwierigere Ausgangslage, da es zwischen den EMRK-Bestimmungen, den allgemeinen Verfassungsgrundsätzen und dem Initiativtext abwägen müsste.

Das sehen auch wohl auch 120 Rechtsprofessoren so. In einem beispiellosen Manifest warnen sie die Bevölkerung vor einer Annahme der Durchsetzungsinitiative, wie die «NZZ» heute schreibt. Mit der Durchsetzungsinitiative der SVP würde das richterliche Ermessen bei der Beurteilung der ausländerrechtlichen Konsequenzen von Straftaten vollständig ausgeschaltet. Die Initiative verbiete den Richtern, ihre ureigene Funktion auszuüben. Sie hebe von der Bundesverfassung gewährleistete Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns aus den Angeln: die Gewaltenteilung, das Verhältnismässigkeitsprinzip und die Geltung der Grundrechte in der ganzen Rechtsordnung.

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