Gestern besuchte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (62) für einige Stunden die Schweiz. Als der Luxemburger gegen 16 Uhr seine Rückreise antrat, tat er dies mit der Zusicherung im Gepäck, dass die Schweiz einen zweiten Kohäsionsbeitrag in der Höhe von 1,3 Milliarden Franken an die EU-Oststaaten leisten werde (BLICK berichtete).
Dafür will der Bundesrat dem Parlament zwei Rahmenkredite vorlegen. 200 Millionen Franken sollen allen EU-Ländern und -Fonds für Migration zukommen. Die verbleibenden 1,1 Milliarden dürften wie bislang in den Abbau wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheiten in den osteuropäischen Staaten fliessen. Einen besonderen Fokus will der Bundesrat dabei auf die Berufsbildung und die Jugendarbeitslosigkeit legen.
So kam es zur Ost-Milliarde
Für die einen ist die Kohäsionszahlung ein Tribut für den Zugang zum billiardenschweren EU-Binnenmarkt, für andere eine reine Geldverschwendung. Doch wie kam es dazu, dass die Schweiz der EU einen solchen Beitrag entrichtet? BLICK erklärt den Ablauf:
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Im Mai 2004 traten Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern der Europäischen Union bei (Osterweiterung). Die EU bat die Schweiz in diesem Kontext um einen Beitrag zur Verringerung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten.
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Der Bundesrat erklärte sich wenige Tage nach der Osterweiterung bereit, diese Länder finanziell zu unterstützen. Er knüpfte die Gelder allerdings an den Abschluss der Bilateralen II, welche fünf Monate später unterzeichnet wurden.
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März 2006: Das Schweizer Parlament segnete das Osthilfegesetz ab, das die Grundlage für die erste Kohäsionszahlung bildete. Das Volk bestätigte das Gesetz, als die SVP das Referendum ergriff.
Juni 2007: Das Parlament sprach eine Milliarde zugunsten der 2004 zur EU gestossenen zehn osteuropäischen Staaten. Die Verteilung und Umsetzung der Kohäsionszahlung begann 2008.
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Dezember 2009: Auch die im Jahr 2007 der Union beigetretenen Länder Rumänien und Bulgarien erhielten einen Kohäsionsbeitrag in der Höhe von 260 Millionen Franken. Fünf Jahre später, im Dezember 2014 flossen weitere 45 Millionen an Kroatien, das ein Jahr zuvor EU-Mitglied geworden war.
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September 2016: Das Parlament verabschiedete eine weitere gesetzliche Grundlage für einen zweiten Kohäsionsbeitrag, die im Juni 2017 in Kraft trat. Die zehnjährige Umsetzungsfrist der ersten Kohäsionszahlung endete damals.
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23. November 2017: Der Bundesrat sicherte der EU beim Besuch von Kommissionspräsident Juncker eine weitere Kohäsionsmilliarde zu.
Wohin floss das Geld der ersten Milliarde?
Die Höhe der Beträge richten sich nach der Bevölkerungsgrösse und dem Pro-Kopf-Einkommen der jeweiligen Länder. Gemäss Angaben der «Rundschau» floss die erste Kohäsionszahlung – verteilt über knapp zehn Jahre zwischen 2008 und 2017 – wie folgt an die osteuropäischen Staaten:
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Bulgarien: 76 Millionen
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Rumänien: 181 Millionen
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Ungarn: 131 Millionen
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Tschechien: 110 Millionen
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Polen: 489 Millionen
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Slowakei: 67 Millionen
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Litauen, Estland und Lettland (baltische Staaten): 171 Millionen
Ausserdem wurden Millionenbeträge für Projekte in Kroatien (45), Slowenien (22), Zypern (6) und Malta (5) ausgegeben.
In welche Projekte wurde investiert?
Mit dem Geld hat die Schweiz beispielsweise Spitalheizungen in Polen und Litauen finanziert, polnische Dächer von Asbest befreit und mit Solarzellen für saubere Energie ausgestattet. Dank der Schweiz gibt es in slowakischen Dörfer nun Kanalisationssysteme. In Lettland wurden ein Jugendtreff für Kinder aus schwierigen Verhältnissen aufgebaut und Schulbusse zur Verfügung gestellt.
Die Beiträge der Schweiz flossen nicht in den EU-Kohäsionsfonds. Stattdessen entscheidet die Schweiz selber über Art und Umfang der geförderten Projekte sowie deren Kontrolle. Federführend dabei sind das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) und die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza). Zusammen mit den lokalen Behörden suchten sie die mehr als 100 Projekte aus.
Eine Erfolgsgeschichte ...
Auswertungen haben gezeigt, dass der Grossteil aller Projekte erfolgreich verlaufen ist. Bei rund einem Fünftel jedoch sind Probleme aufgetaucht. Meistens verzögerte sich die Umsetzung der Hilfeleistung. Laut eigenen Angaben haben Seco und Deza bereits damit begonnen, die Auswertung der alten Projekte für die kommenden zu berücksichtigen und so aus den Fehlern zu lernen.
Die Schweiz profitiert auch von diesen Projekten. Etwa zehn Prozent der Kohäsionszahlung kamen Schweizer Akteuren – Unternehmen, Verbänden, Universitäten und weiteren – zugute.
... und trotzdem politisch stark umstritten
Schon die erste Kohäsionszahlung sorgte für hitzige Debatten. Die SVP ergriff damals das Referendum gegen die erste Kohäsionszahlung – erfolglos. Auch die zweite Ostmilliarde dürfte im Parlament nicht einfach so durchgewunken werden.
Dass die SVP dagegen votieren wird, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. SP und Grüne werden der Ostmilliarde grösstenteils vorbehaltlos zustimmen. Also spielen einmal mehr die Mitte-Parteien FDP und CVP das Zünglein an der Waage. Kritische Stimmen gibt es in beiden Parteien.
FDP-Ständerat Damian Müller (33) sagte zu BLICK, dass für ihn das Gesamtpaket passen müsse, sonst könne er der Kohäsionszahlung nicht zustimmen. Konkret will der Luzerner Fortschritte bei sämtlichen Dossiers mit der EU sehen. Ähnlich tönt es aus der CVP. Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (53, BL) macht die Zustimmung zur Ostmilliarde von dem Ausgang des Rahmenabkommens abhängig.
Die Kohäsionsmilliarde war das letzte Pfand der Schweiz im bilateralen Poker mit Brüssel. So jedenfalls sah es der Bundesrat noch im Sommer und bremste den damaligen Aussenminister Didier Burkhalter (57), der die Summe ohne Gegenleistung zahlen wollte.
Nun spielt der Bund seinen Trumpf doch aus. Diese Woche soll das Geld vom Bundesrat gesprochen werden, berichtet der SonntagsBlick. Und damit just bevor EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (62) der Schweiz am 23. November einen Besuch abstattet.
Wie genau die rund 1,3 Milliarden Franken verteilt werden würden, steht noch nicht fest. Offenbar sollen etwa 200 Millionen in Berufsbildungsprojekte gehen. Weitere 200 Millionen könnten in den Migrationsbereich fliessen, um Ländern wie Polen und Ungarn das Flüchtlings-Resettlementprogramm der EU schmackhaft zu machen.
Von einer Verknüpfung mit besserem Marktzugang für Schweizer Banken oder einem Entgegenkommen der EU in Sachen Rahmenabkommen ist nicht mehr die Rede.
Die Kohäsionsmilliarde war das letzte Pfand der Schweiz im bilateralen Poker mit Brüssel. So jedenfalls sah es der Bundesrat noch im Sommer und bremste den damaligen Aussenminister Didier Burkhalter (57), der die Summe ohne Gegenleistung zahlen wollte.
Nun spielt der Bund seinen Trumpf doch aus. Diese Woche soll das Geld vom Bundesrat gesprochen werden, berichtet der SonntagsBlick. Und damit just bevor EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (62) der Schweiz am 23. November einen Besuch abstattet.
Wie genau die rund 1,3 Milliarden Franken verteilt werden würden, steht noch nicht fest. Offenbar sollen etwa 200 Millionen in Berufsbildungsprojekte gehen. Weitere 200 Millionen könnten in den Migrationsbereich fliessen, um Ländern wie Polen und Ungarn das Flüchtlings-Resettlementprogramm der EU schmackhaft zu machen.
Von einer Verknüpfung mit besserem Marktzugang für Schweizer Banken oder einem Entgegenkommen der EU in Sachen Rahmenabkommen ist nicht mehr die Rede.