Tja also – ähm – da muss etwas schiefgelaufen sein im Image-Marketing: Niemand redet von der leutseligen Art, dem bedächtigen Hochdeutsch dieses Mannes; kein Mensch macht seine brave Frisur zum Thema oder den Charme seiner unübersehbaren Schüchternheit. Auch dass er sich für Homestorys in der «Schweizer Illustrierten» «nicht wichtig genug» dünkt, scheint für kaum jemanden erwähnenswert.
Da ist es natürlich kein Wunder, dass der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung in Beliebtheits-Umfragen stets auf den hinteren Rängen landet. Obwohl er nicht nur Inhaber eines der bedeutendsten politischen Ämter der Schweiz ist, sondern auch noch ein umgänglicher, ja freundlicher Zeitgenosse.
Doch das, woran wir einen Menschen erkennen, die Echtheit eines Lächelns, die Qualität eines Händedrucks, die Harmonie eines Bauchumfangs, der Klang einer Stimme, lässt sich aus der Ferne kaum erspüren. Die meisten, die sich ein Urteil über Johann Niklaus Schneider-Ammann erlauben – es sind ziemlich viele –, hatten noch nie persönlich und in 3-D mit ihm zu tun, sondern bestenfalls vor dem Flachbildschirm.
Grösstes Handicap: die Rhetorik
Unter anderem – ähm – spricht er im Fernsehen mit gesenktem Kopf und blickt selbst aus erhöhter Position irgendwie von unten in die Kameras, was intuitiv als lauernd empfunden wird. Wenn er argumentiert – was er nun mal muss, weil sich ein Schweizer Politiker der Bevölkerung schlecht per Dekret mitteilen kann –, kneift er gern die Augen zusammen, lässt sie knapp über den Brillenrand blitzen oder zieht für Sekundenbruchteile beide Brauen hoch.
Sein – ähm, nun ja – allergrösstes Handicap aber liegt auf dem Gebiet der Rhetorik. Wenn der Schneider Hannes, Sohn eines Tierarztes in Affoltern im Emmental, heute wohnhaft im Oberaargau und laut «Bilanz» einer der 300 Reichsten des Landes, bei Auftritten mehr als zwei, drei Sätze spricht, löst er kaum Jubelstürme aus.
Aber muss ein 65-Jähriger, der sein halbes Leben Konzernchef und Verwaltungsratspräsident einer international operierenden Baumaschinenfabrik gewesen ist, der sich besser auf computerisierte, GPS-gesteuerte, mit Daumen und Zeigefinger beherrschbare 20-Tonnen-Monster versteht, die beim Fahren eine 14 Meter breite Strasse verfertigen, sozusagen eine halbe Autobahn: muss der ausser mit seinen Arbeitern, Vertriebsleuten und Kunden sonst noch reden können?
Womit wir beim Ähm wären: Schneider-Ammann beherrscht es in allen Farben, Formen und Landessprachen. Vom kaum wahrnehmbaren «Mmm» über das «Hmmmmm» und ein deutliches «Em», das er mühelos zum «Eeehhmmmmm» zu steigern versteht, bis zum voll ausgeprägten «Ääääähhmmm...». Der Schaffhauser Medienrhetoriker Marcus Knill vermutet, dass seine Berater anfangs zu stark auf die kleine Schwäche fokussierten – und damit alles schlimmer machten.
Das TV-Debakel: vier Medienexperten merkten nichts
Nein, wir wollen hier nicht schon wieder («Rire, c’est bon pour la santé») seine TV-Ansprache vom März 2016 verspotten. Kein Vortrag eines Schweizer Politikers wurde häufiger im Internet angeklickt. Und wer die monotonen Kernaussagen des damaligen Bundespräsidenten im schönsten Français fédéral parodieren kann, ist noch heute Star jeder Geburtstagsparty, Betriebsfeier oder Klassenreise.
Vier Medienexperten, so heisst es, hätten an den Aufnahmen mitgewirkt. Weshalb keinem auffiel, dass vor dem mühsam plätschernden Springbrunnen im Hof des Berner Salem-Spitals jeder Redner wie ein Stand-up-Comedian wirken musste, bleibt ein Rätsel. Ebenso, warum hinterher keiner erwähnte, dass Schneider-Ammann mit seinem Referat über die heilsame Wirkung des Humors die perfekte Synthese von Form und Inhalt gelang. Immerhin brachte er mehr Menschen in aller Welt zum Lachen als jeder Schweizer Komiker.
Fast zwei Jahre danach nahm der Vielverspottete jetzt seine Öffentlichkeitsarbeit selbst in die Hand. An einem freundlichen Freitag im November war er bereit, sich vom SonntagsBlick Magazin hinausbegleiten zu lassen aus dem Berner Politbiotop, hinein ins Naturschutzgebiet Sängeliweiher unweit seines Wohnorts Langenthal BE.
Politik macht misstrauisch
Zwischen Kuhglockengebimmel, Vogelgezwitscher und Laubgeriesel stellt er gleich zu Beginn klar: Obwohl viele glauben, er sei sich des Debakels am «Tag der Kranken» nicht bewusst gewesen, brauchte er nach der Rückkehr von einer Auslandsreise nur kurz die Aufzeichnung zu sehen, um festzustellen: «Diese Chose ist misslungen!» Und er gibt zu: «Das wird mir ein Leben lang nachgereicht werden!»
Kaum sind wir zwanzig Meter gegangen, verlangsamt er erneut den Schritt: Eine Zeit lang habe er vermutet, dass jemand absichtlich die misslungenste Version der mehrfach aufgenommenen Rede in Umlauf brachte: «Wollten die mich an die Wand laufen lassen?» Sein Fazit: «Solange ich keinen Hinweis habe, dass Boshaftigkeit im Spiel war, lasse ich die Sache auf sich bewenden.»
Schneider-Ammann ist noch nicht fertig mit dem Thema. Er stemmt seine uralten hellbraunen Stiefel in den Boden und sagt: «Das Reizwort heisst für mich Misstrauen – man wird misstrauisch in der Politik!» Dann zieht er, als sei ihm plötzlich kalt geworden, den Reissverschluss seiner Jacke höher: «Ich kann und will mich nicht daran gewöhnen, dass mit Intrigen und Lügen gearbeitet wird». In der Wirtschaft zählten Qualität, konkurrenzieller Vorsprung, Verlässlichkeit: «Das ist leider in der Politik nicht immer so.»
«Johann! I know you!»
Kann es sein, dass sich der Ex- Oberst im Generalstab, Ex-Swissmem-Präsident, Ex-Vize der Economiesuisse, Ex-FDP-Nationalrat in seinem Amt nicht mehr wohlfühlt? Dass ihn die Regeln der Machtausübung, wie sie Niccolò Machiavelli vor knapp 500 Jahren definiert hat, zutiefst empören? Dass er nicht akzeptieren will, was der Spitzenbeamte am florentinischen Hof so formulierte: «Ein kluger Herrscher kann und soll daher sein Wort nicht halten, wenn ihm dies zum Schaden gereicht»?
Kann es sein, dass Schneider-Ammann stets den Kopf zwischen die Schultern zieht, sein Publikum skeptisch mustert, überhaupt nur widerwillig Reden hält, weil er ständig für etwas geprügelt wird, das er doch für ganz und gar richtig hält?
Hier draussen am Sängeliweiher ist davon nichts zu spüren. Er spricht entspannt, in einfachen Sätzen, findet nach Unterbrechungen genau zum Thema zurück, lächelt, gestikuliert, spielt mit Selbstironie: In Bezug auf seine Ansprache verweist Schneider-Ammann darauf, dass er am Ende viele der Spötter auf seiner Seite hatte.
Er stiefelt genussvoll durchs bunte Laub und berichtet, wie ihn Barack Obama kurz nach dem «Tag der Kranken» mit den Worten empfing: «Johann! I know you!» Er habe trocken zurückgegeben: «I know you, too.»
Digitaler Wandel: bedenklicher als die Finanzkrise
Dann wird er übergangslos ernst. «Aber ich lasse mit mir nicht spielen!» Er nennt auch gleich ein Beispiel: Um dem «Tsunami» des digitalen Wandels etwas entgegenzusetzen, den er auf lange Sicht für bedenklicher hält als Finanzkrise und Franken-Schock, habe
er in seinem Departement einen «Aktionsplan Digitalisierung» ausarbeiten lassen. Damit sollten unter anderem an den Technischen Hochschulen 25 neue Professuren geschaffen werden. Der Bildungsminister verlangte – für zwei Jahre – 150 Millionen Franken. Die Kollegen im Bundesrat lobten zwar sein Konzept, vertagten jedoch den Finanzierungsentscheid.
Wieder bleibt Schneider-Ammann stehen, wartet, bis freundlich grüssende Spaziergänger vorübergezogen sind, dann erklärt er blinzelnd: «Ich komme in ein paar Tagen wieder mit der Vorlage. Nur will ich diesmal 220 Millionen!»
2014 wurde bekannt, dass die Ammann Group in Luxemburg und auf der Kanalinsel Jersey Steuern «optimiert» hatte. Zwar führte damals bereits sein Sohn Hans-Christian (38) das Unternehmen, die Tochterfirmen waren seit Jahren liquidiert, und die Berner Steuerbehörden hatten auch im Nachhinein an alledem nichts auszusetzen. Dennoch forderte Margret Kiener Nellen moralisch empört seinen Rücktritt –, bis die SP-Nationalrätin selbst in die Kritik geriet... wegen Steueroptimierung.
Für Johann Schneider-Ammann steht fest, dass die Jersey-Affäre nicht zufällig 14 Tage vor der Abstimmung über die Masseneinwanderungs-Initiative losgetreten wurde. «Das war auch so eine Gemeinheit – da vermute ich nach wie vor: Das ist gewollt gewesen!» Ein Politikstil, wie er in solchen Attacken zu Tage trete, widerspreche allen Werten, für die er sich einsetze: «Ich habe nur eines zu verteidigen, und das ist meine Glaubwürdigkeit. Wenn Journalisten Geschichten erfinden, um die in Frage zu stellen, dann werde ich ranzig!» Dass «mit den Medien geschaukelt wird», komme in der Schweiz – «Le petit paradis» – gottlob seltener vor als anderswo. Aber: «Ich kann das Zeugs nicht einfach wegstecken.»
Liberales Kernanliegen: die Freihandelspolitik
In 80 bis 90 Wochenstunden schlägt sich Schneider-Ammann unbeirrbar für sein liberales Kernanliegen der Freihandelspolitik. Die Handelsbilanz, das Pro-Kopf-Einkommen und die Beschäftigungszahlen – «super gut!» – geben ihm recht. Sein «Erfolgsdreieck» von dualer Bildung, liberalem Arbeitsmarkt und intakter Sozialpartnerschaft kann er selbst dann noch unwidersprochen beschwören, wenn gerade bei der GE-Energiesparte im Aargau 1400 Arbeitsplätze gestrichen werden.
Und das grösste aussenpolitische Problem, die nach der Masseneinwanderungs-Initiative getrübte Harmonie mit der Europäischen Union, scheint weitgehend entschärft: «Wir hatten rund dreissig Dossiers mit der EU blockiert; die Diskussion wurde überall wieder aufgenommen. Für etwa ein Dutzend konnten wir Lösungen finden.»
Wann kommt der Rücktritt?
Und dann lässt er den Satz folgen: «Ich habe mir vor langen Jahren geschworen, ich gehe erst dann politisch in Pension, wenn wir das Verhältnis mit der Europäischen Union geregelt haben.» Aber in der FDP wird doch kolportiert, er wolle «mit sich reden lassen», um den Rücktritt von Doris Leuthard aus dem Bundesrat mit seinem eigenen zu verknüpfen, eventuell schon vor 2019? Er zwinkert wieder: «Es ist interessant, dass die Betroffenen davon nichts wissen!»
Er zitiert seine Frau Katharina, die er schon aus der gemeinsamen Schulzeit kennt: «Du musst spüren, wann der Zeitpunkt gekommen ist, an dem du das nicht mehr mit dir herumtragen willst!» Vor Jahren schon habe er ihr versprochen, «dass es dann noch eine Phase gibt für uns beide. Und Kathi fragt mich, je länger je öfter, wann denn diese Phase eigentlich beginnen soll».
Zudem habe er das Amt als Bundesrat 2010 nicht gesucht und lediglich seiner Partei helfen wollen: «Die FDP ist nun über diese schwierigen Zeiten hinweg. So gesehen, habe ich meinen Beitrag geleistet.» Bis heute jedoch habe niemand in der Partei signalisiert, er solle gehen.
Politische Raffinesse: hält er wenig von
Dann bricht es aus ihm heraus: «Ich lese zu oft, dass es jetzt Zeit wäre, die alten Männer nach Hause zu schicken!» Schneider-Ammann wird leise: «Ich fände es jammerschade, den Platz denjenigen zu überlassen, die sich in Szene setzen, um sich kurzfristig feiern zu lassen!»
Sein Ausscheiden vor den planmässigen Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats in der Wintersession 2019, mit dem in Bern schon viele rechnen, steht für den Amtsinhaber offenbar nicht zur Debatte: «Ich habe – wie ich schon sagte – zu Hause eine Frau, die wartet darauf, dass ich mich zurückziehe. Aber ich habe hier in Bundesbern auch eine Landwirtschafts-Community, mit der ich noch eine Lösung finden will.»
Der sogenannte Grenzschutz, saftige Importzölle für landwirtschaftliche Erzeugnisse aus dem Ausland, steht neuen Freihandels-Abkommen im Wege, etwa mit dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur. Werden diese Handelshemmnisse, wie geplant, partiell aufgehoben, drohen pro Jahr Mindereinnahmen von bis zu 1,5 Milliarden Franken. Der Schweizer Bauernverband SBV schimpfte: «Der Bundesrat will die Landwirtschaft opfern!»
Schneider-Amman möchte noch ein Weilchen im Bundeshaus bleiben
Schneider-Amman, in dessen Zuständigkeit die Agrarpolitik liegt: «Die Landwirtschaft muss zu einer Lösung beitragen. Es braucht Freihandelsabkommen, wenn wir als Land beschäftigt bleiben wollen – und Vollbeschäftigung ist ja auch im Interesse der Landwirtschaft. Nur mit einer erfolgreichen Wirtschaft können wir uns Direktzahlungen leisten. Das haben die Bauern bisher zu wenig verstanden. Das will ich wann immer möglich ändern. Und das braucht Zeit.»
Kaum hat er deutlich gemacht, dass er noch eine Weile in seinem wunderschönen Amtszimmer im Bundeshaus Ost weiterzuwirken gedenkt, kommt das Gespräch auf seine Parteikollegin Karin Keller-Sutter. Der liberalen Ständeratspräsidentin wird der Wunsch nachgesagt, möglichst bald in eben diesem Büro Platz zu nehmen. Bei der Bundesratswahl 2010 war sie Schneider-Ammann noch knapp unterlegen.
Er mag sich nicht in die Wahl seiner dereinstigen Nachfolge einmischen
Nun aber, wo ihre Chance in greifbare Nähe gerückt scheint, hält nicht nur sie, sondern die gesamte politische Schweiz den Atem an, damit möglichst kein Stäbchen des fein austarierten Macht-Mikados zu wackeln beginnt. Auch Schneider-Ammann betont, er mische sich nicht «in die dereinst anstehende Wahl meiner Nachfolge ein», ist aber so sportlich, die St. Gallerin zu loben: «Ich weiss, dass Frau Keller-Sutter den Dialog pflegt – und das ist eine der unbedingten Voraussetzungen für wichtige politische Ämter!»
So ist er nun mal, dieser Politiker, der nichts von politischer Raffinesse zu halten scheint: Sein altmodisches Gefühl für Ehrlichkeit, Fairness und bürgerlichen Anstand lässt es nicht zu, Konkurrenten im Tagesgeschäft nach etwas anderem zu beurteilen als nach ihrer Befähigung.
Aber wer weiss – wenn weiterhin allzu laut über seinen vorzeitigen Rücktritt spekuliert wird, verliert er auf seine späten Tage vielleicht doch noch einmal seine Zurückhaltung. Und hält die Rede seines Lebens.