Eigentlich braucht Guy Parmelin (61) nicht nervös zu sein. Denn während das Parlament früher nur besonders populäre und einflussreiche Bundesräte ins Bundespräsidium hievte, kommt heute praktisch jeder Magistrat einmal zum Zug. Die sieben Bundesräte reichen das Zepter jährlich und in der Reihenfolge ihres Amtsalters weiter.
Dennoch ist die Wahl zum Bundespräsidenten am Mittwoch ein Stresstest für den Wirtschaftsminister. Denn die Stimmen, die er erhält, gelten quasi als Preisschild für seine Beliebtheit und seinen Rückhalt im Parlament. Und hier muss sich Parmelin eher auf einen Denkzettel als auf ein Glanzresultat gefasst machen.
Nachteil Romand
«Ich erwarte eher ein mittelmässiges Resultat für Guy Parmelin, das unter dem Durchschnitt der letzten Wahlen liegt», sagt der Berner Politologe Adrian Vatter (55) von der Universität Bern. Er hat in seinem kürzlich erschienenen Buch «Der Bundesrat» sämtliche Bundespräsidiumswahlen seit der Gründung des Bundesstaates 1848 unter die Lupe genommen und nach Erfolgsfaktoren aufgeschlüsselt.
SVP-Vertreter und vor allem Romands erhalten erfahrungsgemäss weniger Stimmen als ihre Deutschschweizer Kollegen aus der FDP, der CVP oder der SP, erklärt Vatter. «Zudem gilt Bundesrat Parmelin nicht als charismatische und kommunikativ starke Führungsfigur, wie sie in Krisenzeiten besonders gefragt wäre.» Ein sehr gutes Resultat würde den Politologen deshalb erstaunen.
Das «richtige» Geschlecht
Einziger Lichtblick für Parmelin: Er ist keine Frau! Denn diese schneiden bei den Wahlen ins Bundespräsidium in der Regel besonders schlecht ab. Eine regelrechte Klatsche musste 2011 SP-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey (75) hinnehmen. Die Genferin erhielt bloss 106 von 246 möglichen Stimmen (43,1 Prozent) und fuhr damit das schlechteste Resultat der letzten 100 Jahre ein.
Grund dafür dürften nicht nur ihr Geschlecht und ihre Herkunft gewesen sein, sondern auch ihre Rolle in der Libyen-Affäre sowie interne Rivalitäten mit CVP-Bundesrätin Doris Leuthard (57). Der damalige FDP-Präsident Fulvio Pelli (69) meinte nach der Wahl nur trocken: «Calmy-Rey ist gewählt, sie muss zufrieden sein. Mehr zu tun war die Bundesversammlung eben nicht bereit.»
Frauen schauen öfter ein
Nicht bereit für mächtige Frauen war das Parlament bei mehreren Wahlen. Die fünf bisherigen Bundespräsidentinnen – Ruth Dreifuss (80, SP), Micheline Calmy-Rey (75, SP), Doris Leuthard (57, CVP), Eveline Widmer-Schlumpf (64, BDP) und Simonetta Sommaruga (60, SP) – schnitten bei ihrer Erstwahl ins Bundespräsidium im Schnitt knapp neun Prozentpunkte schlechter ab als ihre männlichen Kollegen.
Politologe Vatter weist darauf hin, dass besonders die ersten weiblichen Kandidatinnen einen schweren Stand hatten. «Am Anfang traute wohl die männliche Mehrheit der National- und Ständeräte einer Frau dieses Amt weniger zu», sagt er. Zudem habe es sich bei den ersten beiden Bundespräsidentinnen Dreifuss (1999) und Calmy-Rey (2007) um linke Frauen gehandelt, die selbst nie Bundesparlamentarierinnen gewesen seien und deshalb im bürgerlich dominierten Parlament auf weniger Unterstützung und Wohlwollen trafen.
Warten auf ein Spitzenresultat
Das gelte für die letzten beiden Frauenwahlen nicht mehr. So wählten die Parlamentarier sowohl Doris Leuthard (2017) als auch Simonetta Sommaruga (2020) bei ihrer Zweitwahl mit über 75 Prozent der Stimmen ins Amt, was Vatter als «gutes Wahlresultat» einstuft. Bis heute fehle allerdings ein wirkliches Spitzenresultat für ein Frau. «Dafür braucht es wohl noch mehr Frauen im Parlament.»