Er raubte in Tunesien, legte Feuer in Italien und konnte dennoch ohne Probleme später nach Deutschland und möglicherweise auch in die Schweiz reisen: Bei Anis Amri (24), der höchstwahrscheinlich für den Truck-Anschlag in Berlin verantwortlich ist, haben alle Kontrollinstanzen versagt.
Wie war das möglich? Laut Medienberichten war Amri nämlich in seiner Heimat Tunesien zu fünf und in Italien zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden. Sein Name stand offenbar auch auf der Flugverbotsliste der USA, war also mehreren Geheimdiensten bekannt.
Die deutschen Behörden hätten informiert und alarmiert sein müssen!
War er auch in der Schweiz?
Der mutmassliche Terrorist hat sich offenbar sogar in der Schweiz aufgehalten. Das sagte seine Mutter Nur al-Huda Hassani gegenüber der Nachrichtenagentur AP. Das Bundesamt für Polizei gestern Abend zu BLICK: «Wir können das nicht bestätigen, sind aber am Abklären.»
Amri ist kein Einzelfall. Ein anderer Flüchtling, Hussein K., hat im Oktober in Freiburg (D) eine Studentin vergewaltigt und getötet. Zuvor hatte er in Griechenland zehn Jahre Gefängnis kassiert, weil er dort eine Frau ausgeraubt und schwer verletzt hatte.
Warum konnte auch er ungehindert nach Deutschland gelangen, um zu morden?
Nicht begriffen, wie Terror heute läuft
Der deutsche Terrorismus-Experte Rolf Tophoven sieht in der Sicherheitspolitik ein grosses Defizit. Tophoven: «Die europäische Sicherheitsszene hat immer noch nicht bis ins letzte Detail begriffen, wie heute Kriminalität und Terrorismus funktionieren.»
Terrororganisationen wie der IS verfügten über eine strenge Struktur und trotzdem Innovation und Flexibilität. Sie arbeiteten mit dem Überraschungsmoment. «Damit erschüttern sie immer wieder auch die besten Sicherheitssysteme», sagt der Fachmann.
Trotz Datenbanken sei es für Kriminelle einfach, sich innerhalb der EU zu bewegen. Tophoven: «Das liegt daran, dass die Staaten unterschiedlich mit diesen Datenbanken umgehen. Deutschland zum Beispiel kooperiert gerne und pflichtbewusst, andere Länder eher weniger.» Zudem sei es in Europa generell schwierig, den weitläufigen Raum mit gesetzesmässigen Abwehrmechanismen auszustatten.
«Die Terroristen lachen uns aus!», sagt er.
Für Tophoven ist daher klar: «Im Wissen, dass uns auch die besten Massnahmen nicht vor Anschlägen schützen können, müssen wir die heutigen Gesetze konsequent durchsetzen und auch anpassen.»
Polizei erkennt gefälschte Pässe nicht
Aber auch an der Front hapert es in der europäischen Sicherheitspolitik. Die Polizei erkennt oft nicht einmal gefälschte Pässe, die man sich heute für wenig Geld beschaffen kann. Michael Böhl, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Landesverband Berlin, sagte auf N24: «Wir sind leider immer noch nicht in der Lage, die Papiere einwandfrei zu überprüfen, da wir zu wenige Mittel zur Verfügung haben.» Bei den Aufnahmestellen bleibe oft nichts anderes übrig, als den Migranten zu glauben.
Bei der Abschiebung seien die Behörden oft machtlos. Böhl spricht sogar von einer «Handlungsunfähigkeit», die sich in der täglichen Arbeit zeige. Wenn ein Staat eine Person nicht zurücknehmen wolle, könne man diese nicht einfach «über die Grenze werfen». Besonders mühsam sei die Zusammenarbeit mit den nordafrikanischen Staaten. Böhl: «Die wissen ganz genau, wer kommen soll, und verweigern dann die Diskussion.»
Weniger Kompetenzen für Transportpolizei
Die Schweizer Nationalrätin und Sicherheitspolitikerin Ida Glanzmann (CVP) staunt über das Vorgehen der deutschen Behörden. «Sie geben an, dass sie den Verdächtigen des Berlin-Attentats monatelang im Visier hatten», sagt sie. «Warum haben sie nicht vorher zugegriffen? Das ist für mich nicht nachvollziehbar!»
Ida Glanzmann sieht auch in der Schweiz Defizite bei der Sicherheit. Noch kann zum Beispiel die Transportpolizei nicht auf die zentrale Fahndungs-Datenbank zugreifen. Wenn die Polizisten in einem Zug einen Verdächtigen sehen, müssen sie ihn hinausbegleiten und mit der örtlichen Kantonspolizei Kontakt aufnehmen. Ida Glanzmann: «Es ist nachvollziehbar, dass wegen dieses Aufwandes Verdächtige nicht immer kontrolliert werden.»
Klar: Wer so davonkommt, lacht sich ins Fäustchen.
Notrecht anwenden
Ida Glanzmann fordert, dass Anti-Terror-Massnahmen in der Schweiz möglichst schnell umgesetzt werden. Sie pocht daher auf die sofortige Anwendung des neuen Nachrichtendienst-Gesetzes, dem das Schweizer Volk am 25. September mit einer Zweidrittelsmehrheit zugestimmt hat und dessen Einführung auf den 1. September 2017 vorgesehen ist.
Glanzmann: «Damit wir die beschlossenen Massnahmen sofort einführen und neue Mitarbeiter anstellen können, muss der Bundesrat das Notrecht anwenden. Wir dürfen bei der Bekämpfung des Terrorismus keine Zeit verlieren.»