SBB droht Millionenstreit
Gotthard-Unfall: Sommaruga warnte vergeblich

Nach einem dramatischen Güterzugunfall in Daillens VD wollte der Bundesrat die zuständigen Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen, aber das Parlament blieb untätig.
Publiziert: 14.11.2023 um 17:19 Uhr
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Aktualisiert: 16.11.2023 um 14:55 Uhr
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Am 10. August 2023 verunglückte ein Güterzug im Gotthard-Tunnel.
Foto: keystone-sda.ch
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Vanessa MistricRedaktorin

Die Schweiz steht dort, wo sie bereits einmal stand: Die SBB müssen schon wieder für einen Millionenschaden geradestehen, den sie nicht verursacht haben. Der Mitte August im Gotthardtunnel entgleiste Güterzug verunmöglicht wohl bis Mitte September 2024 den regulären Zugverkehr – und kostet die Bundesbahnen voraussichtlich bis zu 130 Millionen Franken.

Die für den Defekt verantwortliche Wageneigentümerin Transwaggon AG kann sich dagegen erst mal zurücklehnen: Sollten die SBB vor Gericht versuchen, die Kosten auf das Unternehmen abzuwälzen, droht ein langwieriges Verfahren mit ungewissem Ausgang.

Schon 2015 ein Unfall

Schuld sind überalterte Haftungsregeln, von denen Transwaggon schon einmal profitierte. Im April 2015 entgleiste in Daillens VD ein Güterzug. Giftige Schwefelsäure lief aus, sechs Rettungskräfte mussten ins Spital. Verantwortlich war damals die Hamburger Firma VTG.

Das Logistikunternehmen vermietet Wagen an die Chemie- und Mineralölindustrie und verfügt mit über 94'000 Güterwagen über eine der grössten privaten Wagenflotten Europas. Der Güterwagen-Gigant ist eng mit der Transwaggon verbunden. Diese gehört der VTG zu 50 Prozent. Obwohl laut Untersuchungen gravierende Mängel beim Unterhalt den Unfall von 2015 verursachten, streiten die SBB seit Jahren vor Gericht um die Kosten.

Sommaruga warnte Ständerat

Nach Abschluss der Untersuchungen zum Unfall wollten Bundesrat und Nationalrat 2020 die für den Unterhalt verantwortlichen Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen. Die damalige Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (63) mahnte den Ständerat, eine entsprechende Motion anzunehmen, «bevor wieder etwas passiert». Es sei dringend nötig zu klären, ob die Allgemeinheit die Kosten für solche Unfälle trägt oder private Wagenhalter, welche die Unfälle verursachen.

«Wenn Sie heute die Motion ablehnen, gehe ich nicht davon aus, dass Sie damit das Problem losgeworden sind», sagte die Verkehrsministerin 2020 im Parlament. «Das Problem bleibt Ihnen erhalten, und wir werden uns auf jeden Fall nochmals damit auseinandersetzen müssen.»

Der Ständerat lehnte das Vorhaben ab. Im Namen der verkehrspolitischen Kommission des Ständerats erklärte FDP-Präsident Thierry Burkart (48), man wünsche sich eine vertiefte Prüfung, bevor man aktiv werde.

Politik sieht keinen Handlungsbedarf

Diesen Juni hat der Bundesrat den vom Parlament verlangten Bericht vorgelegt. Fazit: Wagenbesitzer haften nur selten, wenn die von ihnen unterhaltenen Wagen Unfälle verursachen. Das Haftungsrecht stammt aus einer Zeit, als die Bahnen für die Sicherheit und den Unterhalt zuständig waren.

Heute warten jedoch die Inhaber der Güterwagen diese in eigenen Werkstätten. Oft lagern sie diese Aufgabe an weitere Unternehmen aus. Die Hamburger Firma VTG beispielsweise lagerte die Wartung an die Firma Kaminski aus, die den Unfallwagen in Werkstätten in Hameln (D) wartete. Das macht die Frage der Haftung zusätzlich kompliziert.

Aktuell beraten die Verkehrskommissionen von National- und Ständerat den Bericht. Auch der Präsident der nationalrätlichen Verkehrskommission, SP-Politiker Jon Pult (39), sieht keinen politischen Handlungsbedarf, wie er gegenüber SRF sagte.

Der ehemalige SP-Ständerat Paul Rechsteiner (71), der damals zu den Wortführern der Motion gehörte, sagt dagegen, der Unfall im Gotthard zeige drastisch auf, «wie verantwortungslos die Ablehnung der Motion war». Das schade der Sicherheit im ÖV.

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