Pirmin Moser (67), Gemeindepräsident von Sattel, war an Weihnachten zum Heulen zumute. Grund für die miserable Stimmung war das warme Wetter und der fehlende Schnee. An Skifahren war im Gebiet Sattel-Hochstuckli nicht zu denken. Die Piste in seiner Gemeinde war grün, die Bügellifte standen still. Die Temperaturen waren so hoch, dass auch die Schneekanonen nichts retten konnten.
Also öffnete man im Schwyzer Skigebiet stattdessen die Sommerrodelbahn. Wer schon im Besitz einer Skisaisonkarte war, durfte gratis rodeln. Die Mitarbeiter, die sonst den Bügel am Skilift reichen, kamen kurzerhand dort zum Einsatz.
Schneemangel bedroht Wintersport
Tief gelegene Skigebiete wie Sattel-Hochstuckli, das auf 800 bis 1600 Metern über Meer liegt, fragen sich: Lohnt sich die Anschaffung weiterer Beschneiungsanlagen überhaupt noch?
Wurden vor zehn Jahren noch an 111 Tagen Schnee in der Ortschaft Sattel gemessen, waren es vergangenes Jahr gemäss Meteo Schweiz noch 58. Die Anzahl Tage, an denen der Schnee reicht, um die Piste zu präparieren, wird immer kleiner. Und damit stellt sich letztlich eine wirtschaftliche Frage: Wie lange soll man hier noch auf Skitourismus setzen, der je länger je unrentabler wird? Und was könnte man in schneearmen Wintern anbieten, um Touristen in die Region zu locken?
Um auf diese Fragen Antworten zu erhalten, macht die Schwyzer Gemeinde beim Projekt «Beyond Snow» mit – so wie acht weitere Wintertourismusregionen in Frankreich, Italien, Deutschland, Österreich und Slowenien. Alle kämpfen mit Schneemangel und erhoffen sich neue Ideen für ihren künftigen Wintertourismus.
Sommer finanziert den Winter
Seit Mitte Januar hat sich die Schneesituation am Schwyzer Berg inzwischen verbessert und damit auch Mosers Stimmung. Schliesslich sind die ersehnten Flocken doch noch gefallen, und die Pisten konnten öffnen. Damit stehen den Sportferien, die in mehreren Kantonen dieses Wochenende beginnen, nichts im Weg.
Dem Gemeindepräsidenten, zugleich Verwaltungsrats-Vize der Sattel-Hochstuckli AG, bereitet der Klimawandel dennoch Kopfzerbrechen. «Die Entwicklung, die Klimaforscher voraussagen, beobachten wir hier von Jahr zu Jahr», so Moser.
Schon heute wird in Sattel-Hochstuckli der Winter- durch den Sommerbetrieb querfinanziert. Ab Dezember wirds nämlich teuer: Pistenfahrzeuge, Skilifte, tägliche Pistenpräparation und die Schneekanonen fressen viel Energie. Damit ist der Winter viel aufwendiger als das Bewirtschaften der Wanderwege im Sommer.
Dennoch fühlt man sich hier immer noch stark als Skiregion. So verweist man im Dorf mit grossem Stolz auf die beiden inzwischen zurückgetretenen Skirennfahrerinnen Fabienne Suter (38) und Nadia Styger (44). Beide fuhren hier im lokalen Skiverein.
Nullgradgrenze klettert
In drei Jahren sollen erste Auswertungen vom Projekt «Beyond Snow» vorliegen. «Wir erhoffen uns, dass wir speziell aus anderen Ländern Inspiration erhalten, wie wir einen rentablen Winterbetrieb aufrechterhalten können», so Moser. Als Pilotregion muss Sattel vorerst vor allem Daten liefern, etwa zu Geografie, Klima und Wirtschaft. Und man sei auch keineswegs gezwungen, die Vorschläge dann in Sattel auch umzusetzen.
Für den Direktor der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB) ist jedoch schon heute klar: Gebiete unter 1600 Metern müssen wegkommen von einer einseitigen Abhängigkeit vom Skitourismus, so Thomas Egger (55) im Blick-Interview. Diese Lagen seien einfach nicht mehr schneesicher.
Rentner statt Sportler
Das unterstreicht auch das Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie. In einem Bericht prognostiziert es, dass die Nullgradgrenze bis Mitte dieses Jahrhunderts auf bis zu knapp 1500 Meter über Meer klettern könnte. «Unterhalb von 1000 Metern wird die Schneebedeckung bis Mitte Jahrhundert um etwa die Hälfte, bis Ende Jahrhundert wahrscheinlich sogar um über 80 Prozent schwinden», heisst es darin.
Doch welche Angebote könnten künftig Leute in die Bergregionen locken, wenn die Pisten angesichts grüner Berghänge nicht mehr öffnen? Chancen sieht Egger etwa im Gesundheitstourismus. Die ältere Bevölkerung werde immer gesundheitsbewusster und aktiv. Auch asiatische Gäste wollten nicht unbedingt Ski oder Snowboard fahren, dafür Schnee und Berge sehen, so Egger. Diese beiden Zielgruppen bräuchten keinen Skilift, würden aber gern mit dem Bähnli in die Höhe fahren. Die Gebiete müssten aber selbst herausfinden, was ihnen zusage.
Die Hoffnung bleibt
Was, wenn das Forschungsprojekt denn zum Schluss kommt, dass künftig nur noch Sommerrodeln und nicht mehr Skifahren angesagt ist in Sattel-Hochstuckli? So schnell will sich Gemeindeammann Moser nicht mit dieser Idee abfinden. «Uns sagen Experten schon lange, dass Skigebiete unter 1500 Metern dem Untergang geweiht sind. Das glauben wir nicht ganz», so der leidenschaftliche Skifahrer. Man versuche, sich mit Beschneiung und Technik gegen die höheren Temperaturen «zu wehren und ein minimales Angebot aufrechtzuerhalten». Und Neues anzubieten, wie einen Winterwanderweg, der abends mit Fackeln beleuchtet wird.
So schnell will man sich hier trotz Klimawandel nicht vom Skitourismus verabschieden. Selbst Egger sagt: «‹Beyond Snow› muss die lokale Bevölkerung mit neuen Ideen für touristische Angebote überzeugen.»