RTL-Gründer Helmut Thoma über das Fernsehen von heute
«Service public gehört abgeschafft!»

TV-Legende Helmut Thoma ruft zum Aufstand gegen die SRG und Service public auf. Er sagt, dass die Dominanz der SRG für Verleger tödlich sein kann.
Publiziert: 09.02.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 21:15 Uhr
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Helmut Thoma im BLICK-Newsroom.
Foto: Philippe Rossier
Interview: René Lüchinger

BLICK: Herr Thoma, die TV-Schweiz verfügt über die höchsten Gebühren, das breiteste Angebot des Service public. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie solches hören?
Helmut Thoma:
Der Staat ist nicht mehr geeignet, elektronische Medien zu regulieren. In der Frühzeit des TV war es sicher notwendig, die wenigen Frequenzen zu regulieren. Mit der Digitalisierung ist das obsolet.

Wieso?
TV-Sender zu gründen, Programme über Netz oder Satellit zu verbreiten, ist keine Hexerei mehr. Die Produktion einer Zeitung aber ist aufwendig geblieben: Druckmaschinen und Vertrieb brauchen Sie nach wie vor.

Ungleiche Spiesse gibt es überall.
Öffentlich-rechtliches TV kassiert Staatsgebühren, die durch nichts gerechtfertigt sind, während privatwirtschaftliche Ver­lage dem Wettbewerb ausgesetzt sind. Die Verleger können ihr Geschäftsmodell nicht einfach in den zukunftsträchtigen TV-Markt verbreitern, weil sich dort die Öffentlich-Rechtlichen breitgemacht haben. Die Digitalisierung macht es möglich, fast endlos viele Programme auszustrahlen. Darauf sind die alten Regelsysteme nicht eingestellt.

Wie meinen Sie das?
Was wäre, wenn es nicht genügend Papier gegeben hätte, um all die privatwirtschaftlichen Zeitungen zu drucken? Dann hätte der Staat eine öffentlich-rechtliche Zeitung gegründet. Und jeder, der des Lesens überführt worden wäre, hätte eine staatliche Lesegebühr bezahlt.

Im Umkehrschluss heisst das, der Service public gehört abgeschafft?
Genau.

Halten Sie das für realistisch?
TV-Gebühren sind im Grunde eine Steuer. Auf Dauer werden die Menschen diese Zwangs­steuer nicht mehr bezahlen wollen. In Deutschland zahlt jeder Haushalt eine TV-Gebühr, ausser er kann nachweisen, dass er zu 100 Prozent blind ist. Auch wer kein TV-Gerät hat, zahlt. Hinzu kommt: Das öffentlich-rechtliche TV ist in Deutschland nur noch bei den über 60-jährigen Zuschauern unangefochten. Bei den unter 60-Jährigen liegen ARD und ZDF gemeinsam bei rund 16 Prozent Marktanteil, bei den 14- bis 29-Jährigen bei höchstens acht Prozent – sind praktisch nicht mehr vorhanden. In der Schweiz, wo Privat-TV jünger ist, ist eine vergleichbare Entwicklung zu erwarten. Was rechtfertigt da noch einen Service public?

Ihre Antwort?
Nichts. Das Ganze wird zu teuer. 

In der Schweiz ist die SRG noch eine der letzten nationalen Klammern in unserem viersprachigen Land.
Es ist ja nicht so, dass eine solche Klammeraufgabe nicht präziser, fokussierter und damit kostengünstiger erbracht werden könnte.

Ringier-Chef Marc Walder hat angefragt, ob Sie ein Beratungsmandat des Verbandes Schweizer Presse übernehmen. Interessiert?
Ja. Ich werde annehmen. Das interessiert mich. Ich bin ja in der Schweiz schon ziemlich lange tätig. Ich war der Initiator von ausländischen Werbefenstern. Ich hätte lieber ein Programm gemacht. Aber ich durfte nicht.

Wie bitte?
Das war in den 1980ern, zusammen mit Beat Curti. Wir wollten mit Schweizer Verlegern ein nachrichtenbetontes TV-Magazin machen – auch als Gegengewicht zur SRG. Als Chef war Roger de Weck vorgesehen.

Der heutige SRG-Chef?
Genau. Wir bekamen keine Lizenz, weil Medienminister Adolf Ogi dies verhindert hat. Er wollte die SRG schützen, und ich konnte TV-Werbung ohne Gegenleistung aus dem Schweizer Markt abziehen.

Schweizer Privat-TV ist ein Trauerspiel. Tele Züri, Tele 24, TV3, 3+ sind verschwunden oder fristen ein Mauerblümchendasein.
Der Einzige, der wirklich Privat-TV macht, ist 3+ von Dominik Kaiser.

Sie sind vielleicht nicht ganz objektiv: Dort sitzen Sie ja im VR.
Das stimmt. Und dennoch bleibe ich dabei: Kaiser ist der Erste, der ein richtiges Vollprogramm macht, welches er jetzt mit 4+ und 5+ ausweitet. Langsam entsteht da eine gewisse Konkurrenz zur SRG.

Die Schawinskis und Co. waren für Sie einfach TV-Dilettanten?
Roger Schawinski ist ein anerkannter Radiomann. Vom Fernsehen versteht er meiner Meinung nach aber sehr wenig. Sein Programm war immer illustriertes Radio. Mehr nicht.

Was macht Dominik Kaiser besser?
Er hat erkannt, dass es zahlreiche universal sendbare TV-Produktionen gibt, die hierzulande nicht zu sehen sind. «Bauer, ledig, sucht ...» etwa. Oder auch «Der Bachelor». Das sind For­mate, die anderen Privaten auch offengestanden hätten. Aber keiner hat sie gemacht, weil es immer auch ein finanzielles Risiko bedeutet. Kaiser ist dieses Risiko eingegangen und der Erfolg zeigt sich daran, dass er ganze Abende mit Schweizer Eigenproduktionen bestreiten kann. Dazu kommen amerikanische TV-Serien, die in der Schweiz nicht gelaufen sind, weil die SRG nicht alles senden kann. Die waren dann billig zu kaufen.

Und nun wollen Sie die Schweizer Verleger in Sachen TV beraten. Was sagen Sie denen?
Heute versucht sich die marktbeherrschende SRG auch im Internet sehr stark zu verbreitern. Für die Verleger kann das tödlich sein. Sie haben wegen der Dominanz der SRG praktisch keine Möglichkeit, am wachsenden TV-Werbevolumen zu partizipieren. Sie erhalten jetzt zudem staatliche Konkurrenz im Bereich Internet. Ich sage: Die Verleger müssen sich mit allen juristischen Mitteln gegen diese Ausweitung wehren. Was bitte befähigt die SRG, sich grossflächig und werbefinanziert im Internet zu bewegen, wo das doch im Grunde genommen nur weitere Unterstützung ihrer gebührenfinanzierten Sendungen bedeutet?

Haben Sie darüber mit Ihrem damals verhinderten Programmchef de Weck gesprochen?
Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Das verstehe ich auch. Aber ich glaube, dass er, wenn er ganz ehrlich wäre, einiges einsehen würde. Er ist ja vernünftiger als die eindimensionalen Apparatschiks des Öffentlich-Rechtlichen. Aber das kann ein SRG-Chef natürlich nicht zugeben. Nein, ich glaube, die Verleger müssen sich selbst wehren. Sonst gehen sie unter. 

Wirklich? So dramatisch?
TV bedeutet Wachstum. Internet bedeutet Wachstum. Internet und TV wachsen zusammen. Die gedruckte Presse ist rückläufig. Das bedeutet: Schaffen es die Verleger nicht, auf die Wachstumsfelder der Werbung zu setzen, sind Zeitungen nicht überlebensfähig.

Also: Zwangsgebühren angreifen?
Ich wundere mich, warum die Verleger das hinnehmen. Dabei könnten sie richtig aufdrehen, das lesende Volk fragen: Wollt ihr ewig Zwangsgebühren zahlen? Warum? Was bekommt ihr denn Besonderes?

Was ist zwingender Service public?
Ich bestreite, dass irgendetwas zwingend Service public ist. Ich frage Sie: Was ist bei der Zeitung zwingender Service public? Nichts.

TV-Nachrichten sind kein öffentlich-rechtlicher Auftrag?
Nein. Längst nicht mehr. Zeitungen leben auch von Nachrichten.

Sprachregionale Programme?
Kann man so sehen. Aber jetzt, wo TV billig ist, können das auch Private.

Aufwendige Produktionen über Schweizer Geschichte etwa?
Auch da brauchte es neue Modelle – auch in der Finanzierung. Zum Beispiel: Eine Produktionsfirma erhält den Auftrag für eine grosse Kiste. So ist sichergestellt, dass die Gelder in das Programm investiert werden und nicht in den Beamtenapparat der öffentlich-rechtlichen TV-Anstalt. Und hier schliesst sich dann der Kreis.

Inwiefern?
Kein Mensch zahlt gerne Gebühren. Schon gar keine Zwangsgebühren. Und wenn schon, dann wollen die Zahlenden dafür eine Gegenleistung. Dass müssen sich die Verleger zunutze machen und sich den Einstieg ins überlebenswichtige TV- und Internetgeschäft erstreiten. Gute Argumente haben sie ja. Heute kommen mir aber viele Verleger vor, als würden sie sich kampflos zur Schlachtbank führen lassen, weil sie die für ihr angestammtes Geschäft so wichtigen TV- und Internetplattformen nicht aktiv und mit aller Macht erstreiten. 

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