Die grösste Schweizer Unfallversicherung Suva hat erreicht, dass das Bundesparlament ein Gesetz über Sozialdetektive gezimmert hat, das ihre bisherige Praxis legalisiert. Roger Bolt (43), Teamleiter Missbrauchsbekämpfung der Suva, verteidigt diese Einmischung im Gespräch mit BLICK. Das Gesetz würde «eine möglichst einfache Missbrauchsbekämpfung» erlauben – und mehr Tempo.
BLICK: Herr Bolt, was wären die finanziellen Folgen für die Suva bei einem Nein zu den Sozialdetektiven am 25. November?
Roger Bolt: 2016 – das war das letzte Jahr, in dem die Suva Observationen machen durfte – sparte sie mit dem Stopp missbräuchlicher Renten 18 Millionen Franken. Davon 5,5 Millionen mit Observationen. Diese Summe ist so hoch, weil wir Privatermittler nur in kostenintensiven Fällen einsetzen.
Wie gross war die Ersparnispro Fall?
Die Einsparung aus einem Observationsfall beträgt im Schnitt zwischen 300'000 und 500'000 Franken.
BLICK liegt eine Detektiv-Abrechnung für 10'000 Franken vor. Entspricht das dem Durchschnitt?
Ja, das ist möglich. Es kommt immer darauf an, wie viel Material nötig ist, um einen Eindruck über eine versicherte Person zu erhalten. Braucht es einen lang andauernden Einsatz, um Unklarheiten und Widersprüche in einem Fall zu klären, rechnen wir zwischen 20'000 und 30'000 Franken.
Das neue Gesetz wurde für die Suva und IV massgeschneidert. Die Arbeit des Parlaments wird als «schludrig» kritisiert. Finden Sie das auch?
Die Gesetzesarbeit ist Aufgabe des Parlaments. Ich kommentiere sie nicht.
Die Suva soll aber mit Schreiben an Parlamentarier stark interveniert haben bei der Gesetzesarbeit.
Es ist wichtig, dass sich die Suva für die Interessen ihrer ehrlichen Versicherten einsetzen kann – das sind 98 bis 99 Prozent. Wir haben in den zwei Schreiben lediglich unsere bisherige Praxis mit den Observationen geschildert.
Sie sollen sich gegen Richtergenehmigungen gewehrt haben. Warum?
Unser Anliegen ist eine pragmatische und möglichst einfache Missbrauchsbekämpfung. Wichtig ist dabei, auch rasch reagieren zu können. Müssten wir vor jeder Observation eine Genehmigung einholen, wäre dies bei 26 Kantonen und vielen verschiedenen Richtern sicher schwierig. Jeder, der observiert wird, kann die Überwachung unter dem neuen Gesetz von einem Richter überprüfen lassen.
Wenn Sie schneller vorgehen können: Bedeutet dies, dass es in Zukunft mehr Observationen gibt?
Ich halte eine Zunahme für möglich, wenn die Zahl der Fälle insgesamt steigt. Dies beobachten wir jetzt schon. So waren es 2014 noch 343 Verdachtsfälle, 2017 waren es schon 1271 Fälle, die wir auf möglichen Leistungsmissbrauch untersuchten.
Die Zahl der psychisch Erkrankten nimmt zu. Viele von ihnen leiden darunter, dass man ihnen ihr Leiden nicht ansieht – im Gegensatz zu einem Beinbruch. Ist auch dies ein Grund für die höheren Fallzahlen?
Bei einem psychisch Erkrankten, der sich sozial zurückzieht, ist eine Observation nicht unbedingt das richtige Mittel. Observationen setzen wir in der Regel als letztes Mittel dort ein, wo Extremitäten die körperlichen Beschwerden verursachen. Also zum Beispiel, wenn ein Versicherter angeblich nicht mehr arbeiten kann, weil sein Arm unbeweglich ist – sein Hausarzt aber feststellt, dass die Muskulatur an beiden Armen gleich ausgebildet ist.
Kritiker der Sozialdetektive würden einwenden, dass ein IV-Rentner ja vielleicht seinen Arm therapeutisch bewegen muss, um zu gesunden.
Richtig, deshalb sind die Gespräche im normalen Schadenmanagement mit den Behandlern auch so wichtig. Wir machen nicht einfach Observationen, um Leistungen zu kürzen. Sie sind für uns ein Beweismittel zur Klärung des Sachverhalts. Es ist im Interesse der Unfallversicherer, die Leute wieder in den Arbeitsmarkt zurückzubringen.
Wer bei der Suva hat die Einsätze bisher beschlossen?
Es war ein Vieraugen-Prinzip. Spezialisten aus unserer Abteilung für Missbrauchsbekämpfung und Juristen. Eine Denunziation per Telefon würde nie reichen, wie die Gegner des neuen Gesetzes immer behaupten. Zudem gibt es vor einer Observation eine ganze Reihe von Abklärungen und verantwortungsvolle Bewertungen. Diese sind sehr unterschiedlich aufwendig: Es gibt ja auch talentierte Betrüger und weniger talentierte.
Aber mit den Betroffenen sprechen Sie vorher nicht?
Doch, selbstverständlich machen wir das. Es stimmt nicht, wenn die Gegner etwas anderes behaupten.
Die Suva hat 2015 ihre Stelle für die Missbrauchsbekämpfung personell auf 13 Mitarbeitende ausgebaut. In Zukunft will sie Betrügern auch dank digitaler Datenanalysen auf die Schliche kommen. Wie genau?
Software könnte die Adressen unserer Taggeldbezüger analysieren. Sie würde dann vielleicht herausfinden, dass in einem Wohnblock eine auffällig hohe Anzahl Rentner wohnt. Darauf würde die Suva nie stossen, wenn sie einfach nur Post-Zustellungen macht. Uns geben solche Details aber die Möglichkeit, bei Auffälligkeiten genauer hinzuschauen – ohne einen Generalverdacht aufzustellen. Es ist aber noch ein längerer Prozess, bis die digitalen Instrumente gut und nutzbringend eingesetzt werden können.
Erwischen Sie jeden Betrüger irgendwann?
Nein. Wir sehen diese Leute nicht 24 Stunden am Tag, viele Kontakte verlaufen heute digital. Dementsprechend sind leider immer Lügengebilde möglich, die niemand durchschaut.
...ist Leiter Missbrauchsbekämpfung bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva), der grössten Unfallversicherung des Landes. Er ist ledig und wohnt im Kanton Zug.
...ist Leiter Missbrauchsbekämpfung bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva), der grössten Unfallversicherung des Landes. Er ist ledig und wohnt im Kanton Zug.