Sicherheitsdirektor Reto Nause zur Gewalt in Bern
«Es ist möglich, dass jemand stirbt»

Vor einer Woche brannte die Bundesstadt. Der Sicherheitsdirektor sagt, was Polizisten durchmachen. Und warum die Täter nicht härter angefasst werden.
Publiziert: 05.03.2017 um 11:08 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 19:49 Uhr
«Die gewaltextremistische linke Szene dürfte versuchen, im ganzen Land zu mobilisieren», sagt Reto Nause im Hinblick auf die MEI-Demo vom 18. März.
Foto: Keystone
Peter Hossli

Herr Nause, wie viele Polizisten bieten Sie für den 18. März auf, damit Bern während der SVP-Demo sicher ist?
Reto Nause: Bei einer ähnlichen Veranstaltung 2007 war das Aufgebot knapp. Es artete aus. 2011 passierte nichts. Das Aufgebot war massiv.

Dann werden in 14 Tagen wohl viele Polizisten Dienst haben?
Davon kann man ausgehen. Gewaltextremistische linke Kreise rufen bereits zu Gegenkundgebungen auf. Ihr Aufruf «Welcome to Hell» ist eine Anlehnung an die Eskalation von 2007.

Was erwarten Sie am 18. März?
Die gewaltextremistische linke Szene dürfte versuchen, im ganzen Land zu mobilisieren. Sie haben weder Gutes noch Friedliches im Sinn.

Letztes Wochenende kam es rund um die Berner Reitschule zu Krawallen. Warum konnte die Polizei sie nicht verhindern?
Ihre komische Fragestellung macht mich perplex. Sogar die politische Rechte sagt, die Polizei habe einen guten Job gemacht. Trotz stundenlanger Attacken und unter Einsatz von Leib und Leben verhinderten wir einen Umzug durch die Stadt.

Lastwagen standen in Flammen. Warum sind Brandstifter und Gewalttäter nicht im Gefängnis?
Fragen Sie das die Staatsanwaltschaft. Die 19 Typen, die man bei der Räumung an der Effingerstrasse verhaftet hat, sind mehrheitlich polizeibekannt. Sie haben Delikte wie Körperverletzung, Raub, Bedrohung von Beamten und Landfriedensbruch verübt. Diese Mitglieder der gewaltextremistischen linken Szene haben Feuerwerkskörper im Treppenhaus der Effingerstrasse gelegt. Gezielt auf Augenhöhe der Polizei.

Das hört sich nach versuchtem Mord an.
Dem sage ich auch so. Beurteilen muss das aber der Staatsanwalt.

Es scheint, als würden Gewalttäter in Bern am Samstag verhaftet und am Montag gehen sie bereits wieder zur Arbeit.
Ihr Eindruck ist nicht ganz falsch. Das liegt nicht an der Polizei, sondern an der Gesetzgebung, der Anklageerhebung und der Strafzumessung.

Die Berner Justiz ist zu milde?
Es ist im Einzelfall schwierig, dem Steinewerfer X nachzuweisen, dass sein Stein einen Polizisten getroffen hat. Angesichts immer gravierenderer Gewalt würde ich nicht mehr so differenziert vorgehen. Mittlerweile fühle ich mich im Stich gelassen.

Wer lässt Sie im Stich?
Die nationale Gesetzgebung, die Staatsanwaltschaften und die Gerichte, die sehr milde urteilen. Für Landfriedensbruch könnte man drei Jahre Gefängnis geben. Gerichte verlangen aber Beweisketten, die manchmal schwierig zu erbringen sind.

Wir leben in einem Rechtsstaat.
Der Rechtsstaat ist zu wahren. Aber die Militanz, die Gewaltbereitschaft und der Wille, auf den Staat loszugehen, sind in den letzten fünf, sechs Jahren weit gravierender geworden.

Wer sind die gewaltbereiten Personen?
Bei «Tanz dich frei» (2013; Red.) nahmen wir Personen im Alter von 14 bis 45 fest. Die waren weder arbeitslos, noch hatten sie keine Zukunft. Es sind Frauen und Männer, viele Angestellte, selbst in hohen Chargen.

Gelangweilte, die den Kick suchen?
Andere machen Bungee-Jumping, diese Personen suchen eine Auseinandersetzung mit dem Staat. Eine zunehmende Militanz gibt es nicht nur in Bern. Basel und Zürich sehen das gleiche Phänomen: bei Ultralinken, Tierschützern, in Flüchtlingsfragen. Hinzu kommen die Sprayer-Szene und die Fussball-Hooligans. Zwischen militanten Gruppen gibt es Überlappungen. Viele ziehen Mitläufer an. Sogar Hausbesetzer finden eine Legitimation.

In Bern heisst es, die Polizei verhafte nur Mitläufer. Die eigentlichen Täter seien ihr zu gefährlich.
Polizisten nehmen gerne die Richtigen fest. Aber es geht auch um Eigenschutz. Unsere Polizisten müssen damit rechnen, sich schwer zu verletzen. Es ist sogar möglich, dass jemand stirbt.

Welche Art von Gewalt muss das Berner Corps aushalten?
Laserattacken auf Augen. Böller, die Gehörschäden verursachen. Feuerwerk, das gezielt auf den Kopf abgefeuert wird. Hochleistungssteinschleudern.

Die Reitschule soll das Waffenlager sein. Warum geht die Polizei nicht rein und hebt es aus?
Welcher Staatsanwalt würde uns einen Untersuchungsbefehl ausstellen, nur weil Politiker erzählen, es gebe dort ein Waffenlager? Hätten wir einen Verdacht, würden wir den Untersuchungsbefehl sofort beantragen. Selbst dann muss der Staatsanwalt ihn bewilligen.

In Bern heisst es, Gewalttäter würden die Betreiber der Reitschule unter Druck setzen.
Es gibt eine Omertà. Die Gewalttäter sagen: «Ich weiss, wo du wohnst, wenn du etwas sagst, finde ich dich und haue dir den Kopf ein.»

Warum geht die Polizei dagegen nicht vor?
Fehlt der Kläger, hat es keinen Richter. Vermutlich sehen Bedrohte die Polizei noch mehr als Feind denn als möglichen Freund.

Velokuriere sollen bei Krawallen als Späher und Transporteure tätig sein. Wie unterbinden Sie das?
Es sind kaum reguläre Kuriere. Aber bei jeder Kundgebung gibt es Gegenaufklärung im grossen Stil. Die Späher sind mit dem Velo unterwegs und kundschaften die Polizei aus.

Das tönt nach straffer Organisation.
Die Vorgehensweise erinnert an militärische Guerillataktik. Ausschreitungen sind nie zufällig, sondern stets geplant.

Was weiss die Polizei über die Herkunft der Gewalttäter?
Sie kommen aus der Stadt Bern, aus nobleren Berner Vororten. Aber es gibt extremistische Zürcher, die eigens anreisen.

Muss man die Reitschule schliessen, um die Gewalt zu beenden?
Die Reitschule braucht eine neue Trägerschaft, die echt demokratisch organisiert ist. Bei der jetzigen Basisdemokratie kann ein einziger Querulant alles blockieren. Zudem wäre ein Sicherheitsdienst nötig, der nicht selber belastet ist.

Wer könnten die neuen Träger sein?
Viele Personen, die bereits heute in der Reitschule Kultur machen, könnten sich besser entfalten, wenn sie nicht durch die Gewalt belastet wären.

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