Foto: KARL-HEINZ HUG

Regula Rytz zur Kritik an ihrer Bundesratskandidatur
«Das sind billige Ausreden!»

Die Präsidentin der Grünen kontert die Kritik an ihrer Kandidatur. Und sie erklärt, was sie im Bundesrat bewegen will, sollte sie gewählt werden.
Publiziert: 24.11.2019 um 00:28 Uhr
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Aktualisiert: 24.11.2019 um 00:31 Uhr
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Am Donnerstag erklärte die Chefin der Grünen, dass sie auf Kosten eines Freisinnigen in den Bundesrat einziehen will.
Foto: Karl-Heinz Hug
Interview: Camilla Alabor und Simon Marti

SonntagsBlick: Frau Rytz, Sie haben Ihre Partei und die Öffentlichkeit lange im Dunkeln gelassen. Warum dauerte es so lange, um Ihre Ambitionen für den Bundesrat anzumelden?
Regula Rytz: Nach unserem historischen Wahlsieg mussten wir klären: Ist es der Moment, um in der Regierung Verantwortung zu übernehmen? Soll ich antreten? Ich musste mich zuerst mit meiner Familie und den Grünen absprechen. Und ich musste erste Gespräche mit den anderen Parteien führen.

Wie haben die anderen Parteien reagiert?
Sie können nicht abstreiten, dass die Grünen nun eine Bundesratspartei ohne Bundesrat sind. Sie machten aber auch deutlich: Es braucht eine ernsthafte, kompetente Kandidatur. Ich glaube, das trifft auf mich zu.

Gestern hat allerdings die CVP bekannt gegeben, dass sie da­rauf verzichtet, Sie zum Hearing einzuladen. Damit ist Ihre Kandidatur doch bereits gescheitert!
Die Frage ist nicht, wie man startet, sondern wie man ins Ziel kommt. Die CVP muss sich bis zum 11. Dezember entscheiden, ob sie im Bundesrat die Führungsrolle übernehmen will oder ob sie vor dieser Verantwortung zurückschreckt.

Haben Sie einen Plan, wie Sie die notwendigen Stimmen in der Mitte noch holen können?
Es sind die Wählerinnen und Wähler, die den Plan gemacht haben. Die Frage ist, ob das Parlament dies respektiert.

CVP-Präsident Gerhard Pfister bietet allen Parteien Verhandlungen über die Zukunft der Konkordanz an. Werden Sie daran teilnehmen?
Selbstverständlich, wir fordern seit den Wahlen die Anpassung der heutigen Zauberformel. Wenn Gerhard Pfister es ernst meint, muss er bis zur Bundesratswahl eine Antwort haben.

Für Ihren Anspruch auf einen Bundesratssitz zählen Sie die Wähleranteile von Grünen und GLP zusammen. Doch die Grünliberalen nehmen insbesondere in der Wirtschaftspolitik ganz andere Positionen ein.
Die Grünen sind aus eigener Stärke Bundesratspartei. Und ja: Die Grünliberalen haben in der Finanz- oder Sozialpolitik eine andere Haltung als wir, das ist bekannt. Aber auch sie wollen die Umweltpolitik stärken. Diesen Teil des Programmes möchten wir vertreten.

Die GLP äussert sich zurückhaltend zu Ihrer Kandidatur. Haben Sie sich denn vorher nicht abgesprochen?
Ich hatte am Donnerstag die Parteichefs darüber informiert, dass ich antrete. Natürlich müssen auch die Grünliberalen diese Diskussion zuerst in der Fraktion führen. Dafür habe ich Verständnis.

Sie forderten von den anderen Parteien in der Vergangenheit stets eine Auswahl von Bundesratskandidaten. Müssten die Grünen nicht zumindest ein Zweierticket lancieren?
Es geht hier nicht um eine Ersatzwahl, sondern darum, dem Anspruch der Wählerinnen und Wähler auf mehr Nachhaltigkeit zum Durchbruch zu verhelfen. Daher entschied die Frak­tion, mit einer Einerkandidatur anzutreten.

Wie würde sich die Landes regierung mit einer Bundesrätin Regula Rytz verändern?
Ich habe während acht Jahren in der Berner Stadtregierung gezeigt, dass ich als Exekutivpolitikerin kompromissbereit und konstruktiv politisiere. Mein Auftrag heute ist, der Umweltfrage mehr Gewicht zu verleihen. Beim CO2-Gesetz oder beim Einsatz von Pestiziden, welche die Artenvielfalt massiv bedrohen. Von mir kann man erwarten, dass ich mich für rasche Lösungen einsetze.

Demnach agiert der Bundesrat in der Umweltpolitik zu langsam?
Viel zu langsam! Beim Schutz der Biodiversität haben wir wertvolle Zeit verloren. Es reicht auch nicht, erst 2050 klimaneutral zu werden.

Wie wollen Sie den Umbau beschleunigen?
Wichtig ist, dass der Prozess sozialverträglich und wirtschaftsfreundlich abläuft. Wir wollen nicht die einzelnen Menschen belasten. Aber wir können der Autoindustrie vorschreiben, dass sie ab 2030 nur noch fossilfreie Fahrzeuge produziert. Dann muss die Schweiz beim Finanzplatz ansetzen. Dessen Investitionen sind ein enormer Treiber der globalen Erwärmung.

Was heisst das konkret?
Der Finanzplatz braucht neue Spielregeln. Die Finanzhäuser müssen beweisen, dass sie bis 2030 im Einklang mit den Pariser Klimazielen investieren und nicht länger die Ausbeutung fossiler Energien fördern.

Welche Schwerpunkte möchten Sie neben der Umweltpolitik setzen?
Das Rahmenabkommen mit der EU deblockieren. Hier habe ich durch meine Vernetzung mit den europäischen Grünen eine gute Ausgangslage. Sie wollen Brücken bauen – auch in die Schweiz.

Sie trauen sich zu, es besser zu machen als Bundesrat Ignazio Cassis?
Ich habe von Anfang an gefordert, dass wir dieses Abkommen nachverhandeln und den Lohnschutz garantieren. Es kann der Schweiz gelingen, die flankierenden Massnahmen im Vertragstext auszuklammern – so wie die Alpeninitiative.

Daran beissen sich die Schweizer Unterhändler seit Monaten die Zähne aus!
Wir müssen der EU natürlich etwas anbieten. Die Schweiz soll ihre Geldwäscherei-Gesetzgebung verschärfen und die Amtshilfe bei Steuerbetrug ausbauen.

Dieser Ansatz ist kaum mehrheitsfähig.
Wirtschaft und Forschungsplatz brauchen dieses Abkommen. Es muss nun rasch gehen.

Die Schweiz blockiert die Zahlung der Kohäsionsmilliarde, weil die EU die Schweizer Börse nicht anerkennt. Eine gute Idee?
Die Kohäsionsmilliarde ist kein Tauschmittel, sondern unser Beitrag an ein stabiles Europa. Daher sollte die Schweiz die Zahlung jetzt freigeben. Wir haben kein Interesse daran, dass in Osteuropa autoritäre Regierungen erstarken.

Sie argumentieren mit europäischer Stabilität. Brächte nicht umgekehrt Ihre Wahl die Stabilität in der Schweizer Politik in Gefahr?
Falsch! Die Integration aller wichtigen Kräfte in den Bundesrat sorgt für Stabilität.

Sie sind zu links, um mehrheitsfähig zu sein!
Das sind billige Ausreden. Ich bin Präsidentin einer grünen und sozialen Partei. Bundesrätin wäre eine andere Rolle. Diese Dynamik spielte auch bei Ueli Maurer. Als SVP-Präsident erlebte ich ihn als sehr laut und polarisierend, doch als Bundesrat tritt er ganz anders auf. In finanzpolitischen Fragen vertritt er die Haltung des Bundesrats auf eine sehr konstruktive Art und schreckt auch nicht davor zurück, sich gegen seine eigene Partei zu stellen.

Noch am Donnerstag erklärten Sie, nur gegen Bundesrat Ignazio Cassis anzutreten. Am Freitag beschloss die Fraktion, auch den Sitz von Bundesrätin Karin Keller-Sutter zu attackieren, sollte Cassis gewählt werden. Wie kam es zu dieser widersprüchlichen Strategie?
Wo ist da ein Widerspruch? Die Grünen treten an, wenn der erste FDP-Sitz zur Wahl steht. Werden wir gewählt, ist die FDP frei zu entscheiden, mit welcher Person sie den verbleibenden Bundesratssitz besetzen will. Seien wir klar: Wenn wir es im ersten Durchgang nicht schaffen, sehe ich nicht, wie es im zweiten möglich wäre.

Wäre nicht auch ein Angriff auf den Sitz der CVP denkbar?
Die CVP gehört zur Mitte-links-Mehrheit, die bei den Wahlen gestärkt wurde. Arithmetisch betrachtet, ist die CVP auf der gleichen Stufe wie die FDP und die Grünen. Mit einer neuen Zauberformel können alle drei Parteien Regierungsverantwortung übernehmen. Das ist Konkordanz.

Ihre Chancen, gewählt zu werden, stehen nicht allzu gut. Kandidieren Sie, weil die Grünen nach dem Wahlsieg einfach kandidieren müssen?
Nein, überhaupt nicht. Ich bin bereit für die Aufgabe und will sie auch übernehmen. Aber klar, es ist wie im Sport: Man weiss im Voraus nicht, ob man es schafft oder nicht. Jetzt müssen die anderen Parteien entscheiden, ob sie ihre Macht in Beton giessen wollen – oder ob sie bereit sind, die Zauberformel zu öffnen.

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