Ein paar Flaschen Prosecco hätten sie schon locker machen können. Doch auf den mit Herbstlaub gedeckten Tischen an der Delegiertenversammlung der Schweizer Grünen am Samstag stand – Hahnenwasser. Und das, obwohl ihnen vor zwei Wochen Historisches gelungen war: Sie haben am 20. Oktober mehr Sitze im Nationalrat dazugewonnen als je eine andere Partei zuvor in 100 Jahren.
Entsprechend aufgeräumt war die Stimmung im Berner Hotel «National», wo sich die grünen Wahlsieger aus der ganzen Schweiz erstmals nach dem 20. Oktober trafen. Und das musste raus. Als Regula Rytz (57) zu ihrer Präsidialrede anhob, musste sie lange warten – minutenlange Standing Ovations hinderten die Bernerin daran, das Wahlergebnis zu würdigen.
Rytz greift an
Und das tat sie auch. Nach wochenlangem Zögern nämlich erhob Rytz in Bern klar Anspruch auf einen Sitz in der Landesregierung: «Wir gehören in den Bundesrat!», rief sie den Delegierten zu, was diese erneut mit grossem Applaus bedachten.
Im Moment, so fuhr Rytz fort, führe die Parteispitze «intensive Gespräche» mit allen anderen Parteien, um die Chancen für den 11. Dezember auszuloten, wenn die Gesamterneuerungswahl des Bundesrats ansteht.
«In der gleichen Liga wie FDP und CVP»
Rytz unterstrich den grünen Anspruch mehrmals in ihrer Rede: «Wir spielen in der gleichen Liga wie FDP und CVP», sagte sie etwa. Es sei ein tiefgreifender Wandel in der Gesellschaft im Gange, «viel grösser, als sich viele im Bundeshaus vorstellen können». Der Druck der Klimajugend und Frauenbewegung sei endlich in der nationalen Politik angekommen. «Diese Chance müssen wir nutzen.»
Selbst wenn die Eroberung des Bundesrats nicht klappen sollte – und das ist anzunehmen – wollen die Grünen nicht aufgeben. Rytz unterstrich noch einmal, was sie im BLICK-Interview bereits gesagt hatte: Es brauche eine neue Zauberformel für die Zusammensetzung des Bundesrates, die die gesellschaftlichen und politischen Verschiebungen respektiere.
Keine Rücktritte mehr zwischen den Wahlen
Doch das ist noch nicht alles. Rytz forderte auch eine Art «Verbot, dass Bundesräte innerhalb der Legislatur zurücktreten». Der Grund liegt auf der Hand: Die Grünen hätten am 11. Dezember viel bessere Chancen auf den Einzug in die Landesregierung, wenn Doris Leuthard (56) und Johann Schneider-Ammann (67) nicht schon vor einem Jahr, sondern erst jetzt nach den Wahlen zurückgetreten wären.
Denn da würde sich zumindest die Frage einer Abwahl eines amtierenden Bundesrats nicht stellen. Nun aber stehen die Grünen vor der schwierigen Aufgabe, Alliierte für ein solches Manöver zu finden.
Da wartet viel Arbeit. Am Samstag in Bern aber wurde erstmal gefeiert. Prosecco gab es dann doch noch. Bio natürlich.