Damit hatte Ueli Maurer (69) nicht gerechnet. Als er im März 2019 vor den Nationalrat trat, präsentierte der Finanzminister eine relativ unumstrittene Minivorlage: Familien mit hohen Kita-Kosten sollten ihre Ausgaben vom steuerbaren Einkommen abziehen können.
Zwar werde dies zu Einnahmeausfällen von zehn Millionen Franken führen, erklärte Maurer. Aber auch zur Rückkehr von 2500 Frauen in den Arbeitsmarkt.
So weit die Zahlen, so simpel der Plan.
Doch dann schaffte es Philipp Kutter (44, ZH), eine Debatte über die Familienpolitik vom Zaun zu reissen – und machte Maurer einen dicken Strich durch die Rechnung. Der CVP-Politiker brachte einen Vorschlag ein, der zwar nur wenig mit dem vorliegenden Geschäft zu tun hatte, dafür aber gut verdienenden Familien mit traditioneller Rollenverteilung zugutekommen sollte.
Steuerausfälle von 350 Millionen
Durch eine Erhöhung der Kinderabzüge sollten künftig auch Paare, die ihre Kinder selbst betreuen, dem Staat weniger Steuern abliefern. Eine Familie mit 160'000 Franken Einkommen würde zum Beispiel 910 Franken weniger zahlen. Die Folge: geschätzte Steuerausfälle von 350 Millionen Franken.
Während die CVP, die sich gern Familienpartei nennt, den Vorschlag ihres Mitglieds Kutter unterstützte, lehnte die FDP das Vorhaben geschlossen ab – es trage zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie nichts bei. Kurz vor den Wahlen 2019 folgte allerdings die Kehrtwende – böse Zungen sagen, das Zückerchen für die Gutverdiener sei in erster Linie wahltaktischem Kalkül geschuldet. Als Konsequenz davon setzt sich im bürgerlichen Lager ausser den Grünliberalen keine Partei mehr gegen die Kinderabzüge ein, die am 27. September zur Abstimmung kommen.
Dies aber stürzt bürgerliche Verbände jetzt in ein Dilemma.
So hatte der Arbeitgeberverband noch während der parlamentarischen Debatte den CVP-Vorschlag abgelehnt, da die Kinderabzüge «kaum zu einer stärkeren Arbeitstätigkeit der Eltern beitragen». Auch der Hinweis auf hohe Steuerausfälle fehlte nicht. Trotz dieser klaren Worte hat der Verband nun aber Stimmfreigabe beschlossen, wie Chefökonom Simon Wey auf Anfrage bestätigt.
Kosten und Nutzen nicht ausgeglichen
Doch nicht nur die Arbeitgeber, auch der zweite grosse Wirtschaftsdachverband Economiesuisse tut sich schwer mit der Vorlage. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Vorlage sei «aus Sicht der Wirtschaft zu wenig ausgewogen», heisst es in einem Communiqué. Und doch beschloss am Ende auch Economiesuisse Stimmfreigabe.
Was ist der Grund für diesen Schwenk zweier Akteure, die sich sonst dezidiert gegen Steuererleichterungen mit der Giesskanne aussprechen?
Die offizielle Antwort der Verbände: Man unterstütze weiterhin die ursprüngliche Vorlage mit voraussichtlichen Steuerausfällen von zehn Millionen Franken. Und entlaste damit für einmal Gutverdienende, die einen Grossteil der Steuereinnahmen aufbrächten.
Vorstand mit Einfluss
Im Fall des Arbeitgeberverbands dürfte eine Rolle spielen, dass in dessen Vorstand neben Unternehmern auch Politiker von CVP, FDP und SVP vertreten sind, die entsprechend Einfluss auf die Parolenfassung nehmen.
Zudem ist das Referendum in erster Linie mithilfe der SP zustande gekommen, die sich grundsätzlich an der Entlastung der hohen Einkommen stört. Mit anderen Worten: Das Referendum kommt aus dem falschen politischen Lager. Allerdings setzen sich auch die Grünliberalen gegen die Vorlage ein.
Die Freisinnigen stehen denn auch nicht geschlossen hinter dem Ja ihrer Partei. FDP-Ständerat Andrea Caroni (40, AR) betont, er befürworte tiefere Steuern und habe schon mehrfach entsprechende Vorstösse eingereicht. «Aber ich bin gegen partikuläre Steuersenkungen ohne Erwerbsanreiz.»
Auch in den Reihen der FDP-Frauen regt sich Widerstand. Zwar hatten sie im März ebenfalls Stimmfreigabe beschlossen. Angesichts der drohenden Steuerausfälle aufgrund der Corona-Krise will die neu gewählte Präsidentin Susanne Vincenz-Stauffacher (53, SG) den Entscheid allerdings nochmals zur Diskussion stellen.
Gleich fünf Vorlagen kommen am 27. September zur Abstimmung. Damit das Referendum gegen die Kinderabzüge da nicht glatt untergeht, geht man bei der SP neue Wege. «Wir haben uns überlegt, wie wir eine Kampagne führen können, die sich von normalen Abstimmungskämpfen abhebt», sagt Co-Kampagnenleiter Flavien Gousset (23).
Die Wunderwaffe: sieben kurze Animationsfilme, welche die Kritik der Sozialdemokraten am «Kinderabzug-Bschiss» auf spielerische Art präsentieren. Dazu gibts ein Comic-Bändchen, das die Filme auf Papier bringt. Das Heft soll zusätzlich zu Flyern verteilt werden.
«Wir wollten unsere Botschaft mit einem Augenzwinkern rüberbringen und gleichzeitig Inhalte erstellen, mit denen wir den Bschiss in aller Kürze in den sozialen Medien erklären können», sagt Gousset.
Wie gut die Filme bei den Wählern ankommen, dürfte sich bald zeigen – die Kampagne wird heute lanciert.
Gleich fünf Vorlagen kommen am 27. September zur Abstimmung. Damit das Referendum gegen die Kinderabzüge da nicht glatt untergeht, geht man bei der SP neue Wege. «Wir haben uns überlegt, wie wir eine Kampagne führen können, die sich von normalen Abstimmungskämpfen abhebt», sagt Co-Kampagnenleiter Flavien Gousset (23).
Die Wunderwaffe: sieben kurze Animationsfilme, welche die Kritik der Sozialdemokraten am «Kinderabzug-Bschiss» auf spielerische Art präsentieren. Dazu gibts ein Comic-Bändchen, das die Filme auf Papier bringt. Das Heft soll zusätzlich zu Flyern verteilt werden.
«Wir wollten unsere Botschaft mit einem Augenzwinkern rüberbringen und gleichzeitig Inhalte erstellen, mit denen wir den Bschiss in aller Kürze in den sozialen Medien erklären können», sagt Gousset.
Wie gut die Filme bei den Wählern ankommen, dürfte sich bald zeigen – die Kampagne wird heute lanciert.
Individualbesteuerung hinauszögern
Dabei geht es auch um die politischen Folgen der Vorlage. Ein Ja zu den Kinderabzügen könne nämlich bedeuten, dass die Individualbesteuerung auf die lange Bank geschoben werde, befürchtet Vincenz-Stauffacher: «Die geplanten Steuerausfälle werden es noch schwieriger machen, diesen Systemwechsel durchzubringen.»
Dabei wäre die Individualbesteuerung der stärkere Hebel, um Frauen zurück in den Job zu bringen. Dies bestätigt auch eine Studie der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse, die am Donnerstag publiziert wurde.
Aus denselben Überlegungen beschloss am Donnerstag auch die Berner FDP-Kantonalsektion ein Nein zur Vorlage. Und stellte sich damit gegen die Mutterpartei.
Gut möglich also, dass im bürgerlichen Lager das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.
Die Schweiz stimmt wieder ab: Erklärungen zu allen Initiativen, aktuelle News und prominente Stimmen zum Thema finden Sie hier.
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