Rechtsextreme Gewalt hat sich verdreifacht – Amherd besorgt
«Ich finde die Entwicklung bedenklich»

Die rechtsexteme Szene in der Schweiz ist «im Aufbruch», stellt der Nachrichtendienst des Bundes in seinem Jahresbericht fest. Jetzt prüft Bundesrätin Viola Amherd Massnahmen zur Überwachung.
Publiziert: 24.05.2019 um 11:45 Uhr
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Aktualisiert: 17.07.2019 um 19:32 Uhr
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Bundesrätin Viola Amherd (56, CVP) ...
Foto: Keystone
Cinzia Venafro und Ruedi Studer

Die Recherche von «SonntagsBlick» schockierte: Eine Schweizer Neonazi-Gruppe plant Gewalt gegen Ausländer. Sie tauschen sich über Gewaltfantasien aus, schreiben unter anderem «Mir rotten alles us.»

Jetzt zeigt der Jahresbericht des Schweizer Nachrichtendienstes (NDB): Die Basler Neonazis sind nur die Spitze des Eisbergs. «Die rechtsextreme Szene ist im Aufbruch.»

Rechtsextreme Gewalt verdreifacht

Auffallend: Im vergangenen Jahr haben sich «rechtsextreme Ereignisse» verdreifacht!

Mittlerweile verfügten mehrere rechtsextreme Gruppierungen über eigene Webseiten. «Eine dieser Gruppierungen hat in der Waadt sogar ein eigenes Vereinslokal eröffnet», so der NBD. Hier fänden regelmässig Veranstaltungen statt, zu denen auch ein allgemeines Publikum Zutritt habe.

Trotzdem: Die Szene verhalte sich konspirativ. Dazu bestehe auch Grund. So musste ein Veranstalter im Wallis das Konzert einer als rechtsextrem geltenden Band wegen öffentlicher Reaktionen absagen.

NDB fürchtet rechtsextreme Gewalt, wenn Migration zunimmt

Der NBD hatte im untersuchten Jahr keine Kenntnis von einem rechtsextremen Konzert in der Schweiz. «Rechtsextreme besuchen aber überall in Europa Veranstaltungen wie zum Beispiel Konzerte», so der NDB.

Auffallend: Für die rechtsextreme Szene gelte insgesamt, «dass ihre Angehörigen über grössere Mengen funktionstüchtiger Waffen verfügten. Zudem wird der Umgang mit Schusswaffen geübt, und es werden Kampfsportarten trainiert».

Trotzdem: Tagesaktuelle Themen hätten die Rechtsextremen derzeit nicht, «geschweige denn eine Strategie», so der NDB. Das Gewaltpotenzial sei aber weiterhin vorhanden und könnte sich in dem Moment realisieren, «in dem die Szene einen Anknüpfungspunkt in der Tagesaktualität und damit in der Gesellschaft sieht».

Konkret: Eine deutliche Erhöhung der Migrationsbewegungen in die Schweiz oder ein dschihadistisch motivierter Anschlag hierzulande «könnten solche Auslöser sein», so der Nachrichtendienst.

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In einem geheimen Chat auf Facebook planten die verhafteten Neonazis eine rechtsextreme Terrorzelle. Sie sahen sich als neuen NSU, die Abkürzung für den Nationalsozialistischen Untergrund, das Terrortrio, das in Deutschland neun Migranten und eine Polizistin ermordet hat.
Foto: Facebook

Amherd will Überwachungsmassnahmen prüfen

Eine Entwicklung, die Bundesrätin Viola Amherd (56) Sorgen bereitet: Sie verurteile jegliche Art von Extremismus, «egal ob sie von rechts oder von links kommt, egal ob sie religiös oder sonst wie motiviert ist», so die CVP-Magistratin. Sie betont mit Verweis auf die angestiegenen Zahlen der rechtsextremen Gewalt aber: «Ich finde die Entwicklung bedenklich.»

2020 will Amherd eine Revision des Nachrichtendienstgesetzes vorlegen. «Wir werden dabei prüfen, ob Handlungsbedarf besteht und ob die Überwachungsmassnahmen auf den gewalttätigen Extremismus ausgeweitet werden müssen.»

Auch Geheimdienstchef Jean-Philippe Gaudin (56), seit Juli 2018 im Amt, sagt klar: «Der Rechtsextremismus ist in den letzten Jahren wieder stärker in den Fokus gerückt.» Aber auch der gewaltbereite Linksextremismus habe sich erhöht.

Gaudin: «Christchurch kann auch bei uns passieren»

«Als ich beim NDB angefangen habe, war der Gewaltextremismus definitiv nicht meine Priorität», räumt Jean-Philippe Gaudin ein. Aufgrund verschiedener Attacken – wie zum Beispiel im neuseeländischen Christchurch – habe sich dies geändert.

«Es wäre eine Katastrophe, wenn bei uns jemand mit einer Waffe in eine Moschee gehen und Menschen erschiessen würde. Ein Fall wie in Christchurch kann auch bei uns passieren», sagt Gaudin im Gespräch mit BLICK. «Deshalb müssen wir das Thema sehr ernst nehmen und darauf vorbereitet sein, um eine solche Katastrophe zu verhindern.»

Überwachungsmassnahmen ausweiten

Gaudin betont, dass der NDB von Gesetzes wegen nur den gewalttätigen Extremismus bearbeiten dürfe, aber keine blossen Ideologien. Zudem seien auch bei gewalttätigem Extremismus die Überwachungsmassnahmen beschränkt – so dürften etwa keine Telefonate abgehört oder Privaträume überwacht werden. 

«Ich bin der Meinung, dass wir das korrigieren müssen», so Gaudin mit Blick auf die Gesetzesrevision. «Aber das ist ein politischer Entscheid.» Worauf Amherd ergänzte: «Wir müssen das genau abwägen, es ist ein schmaler Grat.» Es dürfe nicht Richtung Gesinnungsüberwachung gehen.

Linksextreme Szene vernetzt und bewaffnet

Auch die linksextreme Szene beschäftigt den Nachrichtendienst seit Jahren zahlenmässig stark. «Diese Szene ist international vernetzt, was mit ein Grund für die seit 2017 feststellbare teilweise Intensivierung der Gewaltausübung sein dürfte», so der NBD.

Die Linksextremen würden ihre Aktionen zu Kampagnen bündeln. Ihre Hauptthemen: Die Verhinderung der Erweiterung des Gefängnisses Bässlergut in Basel und die Solidarität mit der PKK zugunsten der kurdischen Selbstverwaltungsgebiete in Nordsyrien.

Der NBD warnt: «Die Rückkehr von an Waffen ausgebildeten Linksextremen aus diesen Gebieten beschäftigt die europäischen Sicherheitsbehörden.»

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