Radikale Liberalisierung der Agrarpolitik
«Die Bauern tragen nicht viel zu unserem Wohlstand bei»

Schluss mit Subventionen, runter mit den Zöllen: Die Schweizer Bauern sollen sich auf dem Markt behaupten. Das fordert die liberale Denkwerkstatt Avenir Suisse. Direktor Peter Grünenfelder erklärt im BLICK-Interview, warum.
Publiziert: 08.09.2018 um 00:53 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 22:56 Uhr
So geht liberale Agrarpolitik
1:58
Peter Grünenfelder im BLICK-Interview:So geht liberale Agrarpolitik
Ruedi Studer und Sermîn Faki (Interview), Philippe Rossier (Bilder)

Die Denkfabrik Avenir Suisse sticht mit ihren Reformvorschlägen für eine liberale Agrarpolitik in ein Wespennest. BLICK trifft ihren Direktor Peter Grünenfelder (51) vor idyllischer Landschaftskulisse auf dem Hirzel ZH zum Interview. Im Grünen erklärt Bauernschreck Grünenfelder bei einer Tasse Kaffee, wie er die Bauern zu landwirtschaftlichen Unternehmern trimmen will. 

BLICK: Herr Grünenfelder, beim Bund ist das Agrar-Budget mit 3,6 Milliarden Franken angegeben. Sie schlagen den Bauern nun die 20-Milliarden-Keule um die Ohren. Sie übertreiben doch masslos!
Peter Grünenfelder: Nein, das ist sogar eine konservative Rechnung. Wir machen transparent, was der Agrarbereich uns als Steuerzahler und Konsumenten, aber auch Unternehmen und Umwelt nicht nur direkt, sondern auch indirekt kostet. 1,8 Millionen Franken pro Stunde! Das ist eine ungeheure Zahl, die selbst uns erschreckt hat.

Aber das sind uns die Bauern wert! Die Bevölkerung hat die Landwirtschaftspolitik immer wieder bestätigt.
Es geht in unserer Studie nicht nur um die Bauern, sondern um den ganzen Agrarkomplex, von den Zulieferern bis zu den Grossverteilern. Der Bevölkerung wird eine heile Bauernwelt vorgegaukelt, die es so nicht gibt. Das Ganze könnte deutlich kostengünstiger ausgestaltet werden.

Sie wollen das System umkrempeln: Direktzahlungen abbauen, Schutzzölle aufheben, den Markt öffnen. Wie sollen die Landwirte da noch überleben?
Jedes andere Unternehmen muss auch selbst dafür sorgen, dass es im Markt überlebt. Wir wollen gleich lange Spiesse. Anstatt die Bauern mit Subventionen abhängig zu machen und mit Regulierungen zu fesseln, geben wir ihnen die Freiheit zum Unternehmertum. Das ist eine riesige Chance.

Ach was, Sie wollen die schweizerische Landwirtschaft auf dem Altar des internationalen Freihandels opfern!
Im Gegenteil, wir schaffen für die Bauern endlich Perspektiven! Die jetzige Agrarpolitik hat das Bauernhofsterben keine Sekunde gestoppt! Wir können noch mehr Subventionen ausschütten – trotzdem wird das Bauernhofsterben unvermindert weitergehen.

Sie wollen es aber noch weiter beschleunigen.
Den Strukturwandel können wir doch nicht aufhalten! Mit einer Liberalisierung erhalten die Bauernbetriebe aber eine deutlich bessere Überlebenschance. Mit Qualitäts- und Nischenprodukten können sich Schweizer Bauern sehr wohl auf dem Markt behaupten – Stichwort Käse. Das ist eine Riesenchance.

Also, die Schweizer Bauern produzieren Luxus-Lebensmittel für die Reichen in aller Welt und die ärmeren Schweizer kaufen billige Pouletbrust aus Ungarn. Ist das Ihre Vision?
Wenn Herr und Frau Schweizer jährlich ins Ausland fahren, um Lebensmittel für fast drei Milliarden zu kaufen, zeigt das doch, dass wir hier ein Problem haben. Unser Modell gibt den Bauern wieder eine Perspektive und entlastet die Konsumenten. 

Kopfschütteln über Avenir Suisse

Weniger Grenzschutz, mehr Freihandel und keine Direktzahlungen: Avenir Suisse will die heutige Agrarpolitik radikal umkrempeln. Dies, weil die hiesige Landwirtschaft die Schweiz jährlich 20 Milliarden kosten soll.

Der Schweizer Bauernverband reagierte heftig. Es sei ein «peinliches Elaborat» von einer «unnötigen Denkfabrik», das vor «absurden Behauptungen und unsinnigen Vorschlägen» strotzt. «Ohne landwirtschaftliche Produktion beginnt das Sterbefasten der Menschheit».

Sie werfen Avenir Suisse vor, die Auflösung kleinstrukturierter Familienbetriebe zu forcieren und «nur noch wenige, international konkurrenzfähige, industrielle Grossbetriebe mit Massentierhaltung» zu wollen.

Auch die CVP hielt mit Kritik nicht zurück. Sie findet die Forderungen nicht praktikabel und die Kostenschätzung unrealistisch.

GLP-Chef Jürg Grossen jedoch findet es «krass», dass die Schweiz laut Avenir-Suisse-Rechnung 20 Milliarden Franken für die Landwirtschaft zahlt. Das gehe gar nicht, meint er auf Twitter.

Weniger Grenzschutz, mehr Freihandel und keine Direktzahlungen: Avenir Suisse will die heutige Agrarpolitik radikal umkrempeln. Dies, weil die hiesige Landwirtschaft die Schweiz jährlich 20 Milliarden kosten soll.

Der Schweizer Bauernverband reagierte heftig. Es sei ein «peinliches Elaborat» von einer «unnötigen Denkfabrik», das vor «absurden Behauptungen und unsinnigen Vorschlägen» strotzt. «Ohne landwirtschaftliche Produktion beginnt das Sterbefasten der Menschheit».

Sie werfen Avenir Suisse vor, die Auflösung kleinstrukturierter Familienbetriebe zu forcieren und «nur noch wenige, international konkurrenzfähige, industrielle Grossbetriebe mit Massentierhaltung» zu wollen.

Auch die CVP hielt mit Kritik nicht zurück. Sie findet die Forderungen nicht praktikabel und die Kostenschätzung unrealistisch.

GLP-Chef Jürg Grossen jedoch findet es «krass», dass die Schweiz laut Avenir-Suisse-Rechnung 20 Milliarden Franken für die Landwirtschaft zahlt. Das gehe gar nicht, meint er auf Twitter.

Vielleicht eine bessere Perspektive, aber für weniger Bauern. Wie viele Betriebe haben in Ihrem Modell überhaupt Platz?
Ich will keine Zahl nennen, aber durch den Markt wird es tatsächlich weitere Strukturbereinigungen geben. Doch auch mit der jetzigen Politik sinkt die Zahl auf rund 39'000 Betriebe im Jahr 2030.

Ihr Rezept würde das Landschaftsbild der Schweiz verändern: Verlassene Täler und vergandete Alpen wären die Folge. Denn eine rentierende Landwirtschaft wäre nur noch im Mittelland möglich. Wollen Sie das wirklich?
Nicht jedes abgelegene Tal muss bei einer Abwanderung der Bevölkerung bewirtschaftet sein. Doch auch mit weniger finanziellen Mitteln ist eine intakte Bergwelt möglich. In unserem Modell sehen wir einen Service public agricole vor, mit welchem solche gemeinschaftliche Leistungen weiterhin abgegolten werden.

Im Mittelland hingegen wäre eine intensivierte, industrielle Landwirtschaft mit entsprechenden Umweltschäden die Folge.
Wir haben schon heute eine sehr intensive Landwirtschaft, die kein einziges der vom Bund gesetzten Umweltziele gänzlich erreicht. Unser Ansatz ist ein anderer: Wir müssen doch nicht Teufel komm raus alles in der Schweiz produzieren. Rindfleisch aus Irland, wo sich die Tiere frei bewegen können, hat einen kleineren ökologischen Fussabdruck als Schweizer Rind mit teuren Auslauf-Programmen und importiertem Futter. Eine Marktöffnung und standortgerechtere Landwirtschaft führen also zu weniger Umweltbelastung.

In Ihrem Bericht wird mehrfach betont, dass die Landwirtschaft nur 0,7 Prozent der wirtschaftlichen Wertschöpfung ausmacht …
… Das ist ein Faktum.

Es tönt aber despektierlich im Sinne von: «Die Bauern bringen uns nichts.» 
Das ist nicht herabwürdigend. Die Bauern produzieren Lebensmittel und sorgen für eine intakte Landschaft. Doch gesamtwirtschaftlich tragen sie im heutigen System nicht viel zu unserem Wohlstand bei. Gleichzeitig verhindert die Agrarlobby, dass unsere Wirtschaft neue Märkte erschliessen und mehr Wohlstand generieren kann.

Sie beklagen ein Minus von 3,1 Milliarden Franken wegen fehlender Freihandelsabkommen. Wenn man sich diesbezüglich die Erfahrungen mit China anschaut, sind Ihre Erwartungen viel zu hoch gegriffen.
Nein. Nehmen wir das mögliche neue Abkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten oder jenes mit den USA. Hier geht es um erhebliche Zollsenkungen und Marktpotenziale in Milliardenhöhe. Kommt uns die EU mit einem Freihandelsabkommen zuvor, hat die Schweiz das Nachsehen. Die Blockade-Politik des Bauernverbands benachteiligt Steuerzahlende, Konsumenten und Exporteure. Und viele innovative Bauern, die an der Bürokratie ersticken und vorwärtsmachen wollen.

Bauernchef Markus Ritter ist also der oberste Bremser?
Der Präsident und die unzähligen Funktionäre im Schweizer Bauernverband und in den Branchenorganisationen sorgen im eigenen Interesse dafür, dass sich am jetzigen Agrarkomplex nichts ändert und neue Subventionen generiert werden – da hat man längst jeden finanzpolitischen Anstand verloren.

Sie fordern eine radikale Liberalisierung der Agrarpolitik: Macht Ihnen das Stimmvolk am 23. September einen Strich durch die Rechnung?
Wir lancieren eine Grundsatzdiskussion über die Zukunft der Landwirtschaft, die auch bei einem allfälligen Ja zu den Agrar-Initiativen weitergehen muss. Auch wenn die Ausgangslage dann schwieriger wird.

Peter Grünenfelder – der Bauernschreck

Peter Grünenfelder (51) steht seit zweieinhalb Jahren an der Spitze von Avenir Suisse. In dieser Zeit hat der ehemalige Staatsschreiber des Kantons Aargau seine eigene Unrast auf den liberalen Think Tank übertragen. Die Denkfabrik steht der Wirtschaft nahe, prangert zu viel Regulierung und zu wenig Markt an. Immer wieder gelingt es Avenir Suisse, auf Probleme aufmerksam zu machen und liberale Lösungswege vorzuschlagen. Auch die neue Studie zur Zukunft der Landwirtschaft 2030 birgt viel politischen Zündstoff.

Peter Grünenfelder (51) steht seit zweieinhalb Jahren an der Spitze von Avenir Suisse. In dieser Zeit hat der ehemalige Staatsschreiber des Kantons Aargau seine eigene Unrast auf den liberalen Think Tank übertragen. Die Denkfabrik steht der Wirtschaft nahe, prangert zu viel Regulierung und zu wenig Markt an. Immer wieder gelingt es Avenir Suisse, auf Probleme aufmerksam zu machen und liberale Lösungswege vorzuschlagen. Auch die neue Studie zur Zukunft der Landwirtschaft 2030 birgt viel politischen Zündstoff.

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