Im Netz immer verbreiteter
Warum sind Verschwörungstheorien so gefährlich?

Die jüdische Gemeinschaft in der Schweiz ist besorgt: Antisemitische Verschwörungstheorien sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wie konnte es so weit kommen? Psychologe Dieter Sträuli gibt Antworten.
Publiziert: 24.02.2020 um 23:39 Uhr
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Aktualisiert: 25.02.2020 um 17:41 Uhr
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Zehn Menschen kamen beim Attentat in Hanau (D) ums Leben. Der Täter richtete anschliessend sich selbst.
Foto: imago images/Patrick Scheiber
Interview: Lea Hartmann

Verschwörungstheorien sind in der Schweiz immer verbreiteter. Zu diesem Schluss kommt der aktuelle Antisemitismusbericht. Wie erklären Sie sich das?
Dieter Sträuli: Verschwörungstheorien sind immer ein fester Bestandteil jeder Kultur gewesen. In Zeiten der Unsicherheit nehmen sie aber zu. Zudem hat das Internet ihre Konzentration und Verbreitung stark gefördert. Und nicht zuletzt sind Verschwörungstheorien mehr denn je ein Element politischer Propaganda. Bestes Beispiel dafür ist US-Präsident Donald Trump. Wer etwas sagt, das ihm nicht passt, den stellt er als Lügner dar.

Verschwörungstheorien, gerade antisemitische, sind uralt. Gibt es einen Unterschied zwischen jenen, die früher kursierten, und den heutigen?
Im Grunde nicht. Die Themen von Verschwörungstheorien nehmen jeweils Bezug auf Aktuelles. In der Struktur sind sie aber immer gleich.

Nämlich?
Es sind stets mächtige Verschwörer, die aus dem Dunkeln agieren und es auf unsere Freiheit, unser Geld, unsere Gesundheit abgesehen haben. Im Grunde geht es immer darum, eine Erklärung dafür zu liefern, warum man etwas nicht hat, das man aber gerne hätte. Dank der Verschwörungstheorien kann man dafür anderen die Schuld geben.

Menschen, die weniger privilegiert sind, sind also besonders empfänglich für Verschwörungstheorien?
Grundsätzlich gilt: Wenn wir nicht aufpassen, sind wir alle gefährdet. In Situationen sozialer Not wächst aber der Neid auf jene, die uns angeblich unsere Arbeitsstellen, Geld, Achtung und unser Territorium wegnehmen. Das ist ein Nährboden für Verschwörungstheorien. Es spielt aber auch unsere Erziehung eine Rolle und unsere psychische Entwicklung.

Inwiefern?
Manche Kinder hören die Eltern ständig über jene schimpfen, die am Unglück schuld sein sollen. Zudem kann die Eltern-Kind-Beziehung einen Einfluss haben. Als Kind nehmen wir unsere Eltern als autoritär und mächtig wahr. Dieses Bild ändert sich, je älter wir werden. Tut es das nicht, ist man auch empfänglicher für Verschwörungstheorien. Und sind die Eltern tatsächlich autoritär – und zwar im negativen, übertriebenen Sinn –, ist die Gefahr natürlich noch grösser.

Sind Verschwörungstheorien gefährlich?
In Filmen oder Romanen mögen sie unterhaltsam sein. In der politischen Wirklichkeit aber sind sie gefährlich, ja.

Warum?
Das Gefährliche ist, dass sie die komplexe Realität stark vereinfachen. Das allgemeine Unbehagen bündeln sie zu einem Hass auf bestimmte Bevölkerungsgruppen. So sinkt die Hemmschwelle für Gewalttaten.

Was können wir dagegen tun, dass sich Verschwörungstheorien weiter verbreiten?
Postet jemand auf Social Media beispielsweise etwas über eine angebliche Verschwörung, sollte man das nicht einfach so stehen lassen, sondern Gegenrede geben. Und grundsätzlicher: Gerade der Antisemitismus ist ein Gradmesser für den Zustand einer Bevölkerung. Wächst er an, deutet das auf eine Auflösung des Zusammenhalts zwischen den Menschen hin. Wichtig ist auch zu wissen, in welchem sozialen und politischen Milieu Verschwörungstheorien wachsen, und die Ursachen der Unzufriedenheit zu bekämpfen.

Zur Person

Der Zürcher Psychologe Dieter Sträuli (71) befasst sich seit langem intensiv mit Verschwörungstheorien und modernen Mythen. Er ist zudem Präsident von Infosekta, der Fachstelle für Sektenfragen.

Der Zürcher Psychologe Dieter Sträuli (71) befasst sich seit langem intensiv mit Verschwörungstheorien und modernen Mythen. Er ist zudem Präsident von Infosekta, der Fachstelle für Sektenfragen.

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