Psycho-Krach!
Gesundheitsminister Berset legt BAG-Chef Strupler auf die Couch

Pascal Strupler, Chef des Bundesamts für Gesundheit, krebst zurück: In der Schweiz werde nicht zu wenig therapiert!
Publiziert: 26.02.2012 um 00:15 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 21:50 Uhr
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Foto: Illustration: Igor Kravarik
Von Marcel Odermatt, Philippe Pfister und Nico Menzato

Vor einer Woche lancierte der Vizedirektor des Bundesamts für Gesundheit, Stefan Spycher, ­einen provokanten Plan. Der sieht vor, den Zugang zu Psychotherapien zu erleichtern. «Es finden zu wenig Therapien statt angesichts dessen, was therapiert werden müsste», sagte Spycher der «NZZ am Sonntag». Deshalb prüfe das BAG unter anderem, ob Patienten künftig direkt bei Psychotherapeuten anklopfen können – und diese direkt bei der Krankenkasse abrechnen. Heute sind bezahlte Psychotherapien nur unter ärztlicher Aufsicht möglich.

SonntagsBlick weiss: Die Aus­sagen sorgten im Departement von SP-Gesundheitsminister Alain Berset für helle Aufregung. Die FDP giftelte, dass aus dem De­partement Berset «schon wenige Wochen nach seinem Amtsantritt Absichtserklärungen für Mehrausgaben in Milliardenhöhe» kämen.

Im SonntagsBlick krebst BAG-­Direktor Pascal Strupler jetzt zurück. Geplant sei einzig der Wechsel vom sogenannten Aufsichts- zum Anordnungsmodell, wie er im Interview erklärt. Das will er demnächst dem Bundesrat vorschlagen.

Die CVP am Kippen

Der BAG-Direktor glaubt nicht, dass mit dem Anordnungsmodell die Zahl der Psychotherapien massiv zunimmt: «Es kommt vielleicht zu ­einer geringen Mengenausweitung, aber nicht im befürchteten Ausmass.» Die Aussage seines Vize nimmt er integral zurück: «Wir sind nicht der Meinung, dass zu wenig therapiert wird.»

Das schnelle Einknicken Struplers ist wohl auch ein Versuch, die Bürgerlichen zu besänftigen. Denn bald wird erneut über das Präventionsgesetz abgestimmt, Struplers wichtigstes Projekt. Das Gesetz soll die heute verzettelte Prävention in der Schweiz bündeln – und auf eine gesetzliche Grundlage stellen.

Gegner, vor allem Bürgerliche, befürchten eine neue Vorschriftenmaschine. Der Ständerat hat das ­Gesetz gebodigt. Im Nationalrat ist es am 6. März erneut traktandiert. Die CVP ist am Kippen. Der Gewerbeverband betreibe «massives Lobbying», sagt BAG-Chef Strupler.

Der Chef des Bundesamts für Gesundheit, gab Sonntagsblick exklusiv ein Interview:

Herr Strupler, Sie sehen schlank und sportlich aus. Dürfen wir Sie fragen, wie viel Sie wiegen?
Pascal Strupler:
92 Kilogramm.

Das ergibt bei Ihrer Grösse einen Body-Mass-Index* von rund 25.
Leicht drüber. Ich bin nach meinen Berechnungen für mein Gewicht zwei Zentimeter zu klein …

Und wie viel Bauchumfang haben Sie? Oder ist das zu indiskret?
Das dürfen Sie fragen. Aber ich weiss es nicht.

Beschäftigt Sie die Tatsache, dass Sie laut Ihrem BMI leicht übergewichtig sind?
Nein. Ich bin konstant 92 Kilo und fühle mich wohl. Selbstverständlich wäre ich froh, wenn ich zwei, drei Kilo weniger auf die Waage bringen würde.

Rauchen Sie?
Nicht mehr. Ich war eine Zeit lang starker Raucher.

Und Alkohol?
Mit Mass. Tagsüber nie, abends nehme ich gerne ein Glas.

Wie halten Sie es mit Sport?­
Ich gehe auf den Hometrainer, mache täglich meine Rückenübungen – seit einem Bandscheibenvorfall vor zehn Jahren. Ausserdem versuche ich einmal pro Woche zu schwimmen. Im Winter spaziere ich am Wochenende, im Sommer und Herbst gibt es regelmässig auch mal eine kleine Kampfwanderung.

Wir fragen, weil Ihr Amt vehement maximale BMI-Werte und Bauchumfänge predigt. Sie reden die Leute krank. Sind wirklich 53 Prozent der Schweizer zu dick?
Da ist immer die Suche nach der Schlagzeile. Mein Anliegen ist eine Präventionspolitik ohne gestreckten Zeigefinger. Wir erreichen dieses Ziel nur, wenn eine Mehrheit der Bevölkerung unsere Anliegen versteht und unterstützt. Wer hätte sich vor 15 Jahren vorstellen können, dass heute ein gesellschaftlicher Konsens besteht, dass Leute vor den Folgen des Passivrauchens geschützt werden müssen? Über diese Trendwende wurde ­sogar demokratisch abgestimmt. Das BAG will die Menschen auf die Gefahren aufmerksam machen.

Schieben Sie die Schuld nicht auf die Medien ab? Dass 53 Prozent der Schweizer zu dick seien, stellte doch Ihr Amt fest.
Es gibt international anerkannte Massstäbe. Wir haben nicht gesagt, 53 Prozent sind zu dick. Wir haben einfach die Studie publiziert. Die Diskussion darüber findet mal sachlich, mal polemisch statt – je nach präventionspolitischer Ausrichtung der Kontrahenten.

Ihr Vergleich mit dem Passivrauchen hinkt. Raucher gefährden andere. Leichtes Übergewicht wie bei Ihnen ist doch überhaupt kein Problem. Die Leute fühlen sich gesund und munter. Sie machen ihnen ein schlechtes Gewissen.
Sie versuchen mir etwas in den Mund zu legen, das ich nie gesagt habe. Tendenziell kann man sagen: Übergewicht führt zu gewissen Krankheiten. Die chronischen Gebrechen nehmen sehr stark zu. Sie verursachen rund 70 Prozent der Gesundheitskosten. Die Hälfte dieser Krankheiten ist mit einem gesunden Lebenswandel vermeidbar. Wir haben diese Woche klar aufgezeigt: Der Anteil der Gesundheitskosten am Bruttoinlandprodukt wird je nach Szenario von 60 Milliarden im Jahr 2009 auf 73 bis gar 91 Milliarden im Jahr 2060 steigen, wenn im Bereich Prävention nichts unternommen wird. Wenn die Menschen immer ­älter werden, ist es wichtig, dass sie möglichst lange gesund bleiben. Für sich selber – und um die Gesundheitskosten tief zu halten.

Da sind wir mit Ihnen einig. Kritiker monieren aber, Ihr Amt betreibe Gesundheitspolitik wie eine Art Religion. Wer sich den Vorschriften nicht füge, mache sich verdächtig.
Das ist ein gängiges, stark durch ­Medien kolportiertes Vorurteil. Wo machen wir gesetzliche Einschränkungen?

In Ihren Studien taucht der Ruf nach mehr Vorschriften immer wieder auf.
Unsere Aufgabe ist, mit Studien Trends aufzuzeigen und welche Konsequenzen ein individueller Lebensstil haben kann. Jeder soll möglichst viel Freiheit haben – aber sich so viel Wissen aneignen können, dass er diese Freiheit möglichst lange gesund leben kann.

Ihre Kampagnen haben bisher kaum etwas bewirkt. Das zeigt die neuste Grippe-Impfkam­pagne deutlich. Trotz Millionenausgaben sank die Impfrate massiv.
Die Impfrate ist in der Tat ungenügend. Wir prüfen jetzt, was wir im nächsten Jahr besser machen und wie wir eine breitere Wirkung erzielen können. Aber sehen Sie: Wir wollen keinen Impfzwang, sondern wir versuchen zu sensibilisieren.

Es stimmt doch: Die millionenteure Kampagne nützte nichts.
Es waren 300000 Franken für die jährliche Grippe-Impfkampagne.

Haben Sie sich impfen lassen?
Ja. Die ganze Familie geht zu ­einem befreundeten Arzt.

Was halten Sie von einer Fettsteuer?
Das ist keine gute Idee. Ich möchte keine Eidgenössische Fettsteuerverwaltung.

Zuckersteuer?
Auch das nicht.

Ampelsystem auf Lebensmitteln: sinnvoll oder nicht?
Zentral ist, dass die Leute allfällige Angaben verstehen und damit wirklich etwas anfangen können. Zu verhindern ist, dass Lebensmittelverpackungen unlesbar werden. Wir suchen im Moment nach intelligenten Lösungen.

Wann kommt das?
Finden wir eine gute Lösung, schlagen wir sie vor. Reif ist es nicht. Zeitlich lege ich mich nicht fest.

Lesen Sie das ganze Interview heute im Sonntagsblick.

*Der Body-Mass-Index (BMI) berechnet sich wie folgt: Körpergewicht geteilt durch Körpergrösse in Metern im Quadrat. Beispiel: Bei einem Gewicht von 92 Kilo und einer Grösse von 1,90 Metern beträgt der BMI 25,5 (92 geteilt durch 1,9 mal 1,9).

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