Probleme in der Praxis
Nationalrat heisst revidierte Strafprozessordnung gut

Der Nationalrat hat die revidierte Strafprozessordnung gutgeheissen. Im Gegensatz zum Bundesrat schränkt er aber das Teilnahmerecht von Beschuldigten an Beweiserhebungen nicht ein, und er will das Konzept der restaurativen Gerechtigkeit in die Vorlage aufnehmen.
Publiziert: 18.03.2021 um 19:38 Uhr

Angepasst werden sollen einzelne Punkte in der erst zehnjährigen Strafprozessordnung. Schon kurz nach deren Inkrafttreten wies die Praxis auf Probleme hin, es folgten parlamentarische Vorstösse. Der Bundesrat hat die Anliegen nun in einer Vorlage zusammengefasst.

Diese hat der Nationalrat am Donnerstag mit 139 zu 54 Stimmen gutgeheissen. Die Nein-Stimmen kamen von der SVP. Sie kritisierte, dass die Balance zwischen Opferschutz und dem Anliegen, Täter so schnell wie möglich dingfest zu machen, nicht erreicht werde, wie Pirmin Schwander (SZ) sagte.

In einem zentralen Punkt widerspricht der Nationalrat dem Bundesrat. Er will das Teilnahmerecht der Beschuldigten an Einvernahmen nicht einschränken. Nach geltendem Recht dürfen alle Parteien im Verfahren an allen Beweiserhebungen teilnehmen. Dabei will der Nationalrat bleiben, um faire Verfahren zu garantieren.

Der Bundesrat beantragte, dass Beschuldigte bei Beweiserhebungen nicht dabei sein dürften, bevor sie sich selbst einlässlich geäussert haben. Gemeint sind zum Beispiel Einvernahmen von Zeugen oder Personen, die im gleichen Verfahren beschuldigt sind.

Sich einlässlich zu äussern, sei für Unschuldige schwierig, da sie nicht mehr sagen könnten, als dass sie unschuldig seien, gab Philipp Matthias Bregy (CVP/VS) zu bedenken. Die Einschränkung bedeute für Beschuldigte, dass auf sie ihr Recht, die Aussage zu verweigern, verzichten müssten, um ihr Recht auf Teilnahme am Verfahren wahrnehmen zu können, sagte Elisabeth Schneider Schüttel (SP/FR).

SVP, GLP sowie Mitglieder von FDP- und Mitte-Fraktion hätten dem Bundesrat folgen wollen. Das Aussageverweigerungsrecht respektive das Nichtmitwirkungsrecht schütze Beschuldigte genügend, sagte Lukas Reimann (SVP/SG). Barbara Steinemann (SVP/ZH) sprach von Problemen mit Einschüchterung, «etwa wenn der Boss der Bande anwesend ist».

Justizministerin Karin Keller-Sutter sagte dazu, der Bundesrat wolle eine massvolle und zurückhaltende Einschränkung und gehe nicht bis zum «Minimum des Zulässigen», das Strafverfolger gewünscht hätten.

Gegen den Willen des Bundesrats nahm der Nationalrat das Konzept der «justice restaurative» oder restaurativen Gerechtigkeit auf. Es sieht vor, dass sich beide Parteien im Verfahren auf eine Mediation einigen können. Deren Ergebnis kann die Strafverfolgungsbehörde berücksichtigen. Eine Pflicht zur «justice restaurative» soll es aber nicht geben.

Die SVP und ein Teil der Mitte-Fraktion sowie der Bundesrat hätten auf diese Bestimmung verzichten wollen. Eine solche Mediation widerspreche dem Beschleunigungsgebot, sagte Schwander (SVP/SZ). Den Bundesrat überzeuge das Konzept nicht, sagte Justizministerin Keller-Sutter. Der Anwendungsbereich sei zu offen formuliert. Auch zu den Auswirkungen gebe es keine klare Bestimmung.

Beim Umgang mit DNA-Profilen will der Bundesrat die Praxis des Bundesgerichts ins Gesetz schreiben. Profile sollen nicht nur zur Aufklärung jener Delikte erstellt und gespeichert werden dürfen, um derentwillen das Verfahren geführt wird. Sie sollen auch für die Aufklärung früherer oder künftiger Taten verwendet werden können.

Bei früheren Taten müssten gemäss Antrag des Bundesrats «konkrete Anhaltspunkte» bestehen, damit ein Profil erstellt wird. Die RK-N wollte, dass eine «gewisse Wahrscheinlichkeit» für frühere Straftaten genügen solle, und drang damit durch.

Geht es dagegen um mögliche künftige Straftaten, will der Rat beim geltenden Recht bleiben. DNA-Profile sind heute bei Verurteilungen möglich, wenn ein gewisses Mindeststrafmass erreicht wurde, beziehungsweise bei bestimmten Delikte oder bei der Anordnung einer therapeutischen Massnahme oder Verwahrung.

Nicht durchgedrungen ist der Bundesrat auch mit dem Beschwerderecht für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte gegen Nichtanordnung, Nichtverlängerung und Aufhebung einer Untersuchungs- oder Sicherheitshaft. Die Mehrheit der RK-N wollte dieses Recht allein für Beschuldigte und setzte sich durch.

Der Bundesrat habe den Passus trotz Bedenken und Unsicherheiten in den Entwurf aufgenommen, sagte Keller-Sutter. In der Vernehmlassung habe eine Mehrheit die Beschwerdeberechtigung befürwortet.

Die Tarife für die amtliche Verteidigung will der Nationalrat nicht neu regeln. Bezahlt werden soll nach Tarif des Bundes oder des Kantons, in dem der Prozess stattfindet. Die RK-N hätte den gleichen Ansatz wie für Wahlverteidiger gewollt.

Andrea Geissbühler (SVP/BE) setzte das Nein gegen diese «von der Anwaltslobby vorgeschlagene Lohnerhöhung» mit einem Einzelantrag durch. Ergänzt hat der Rat auf Antrag von Jean-Luc Addor (SVP/VS) zudem, dass in langen Verfahren der amtlichen Verteidigung Vorschüsse ausgerichtet werden können.

Die Vorlage geht an den Ständerat.

(SDA)

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