Pro-Service-public-Initiant René Schuhmacher teilt aus
«Bei einem Nein werden die Züge dreckiger und teurer»

«K-Tipp»-Verleger René Schuhmacher äussert sich im BLICK-Interview erstmals zu seiner «Pro Service Public»-Initiative. Er sagt: «Die Gegner versuchen mit allen Mitteln, vom Thema abzulenken.»
Publiziert: 01.06.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 13:58 Uhr
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«Wir sind weder links noch rechts»: K-Tipp-Verleger René Schuhmacher spricht über seine Initiative.
Foto: Mirko Ries
Interview: Christof Vuille, Peter Röthlisberger, Fotos: Mirko Ries

BLICK: Herr Schuhmacher, Sie wollen mit Ihrer Initiative die unternehmerische Freiheit von Swisscom und Co. einschränken und die Firmen in die Steinzeit zurückführen.

René Schuhmacher: Das ist Unsinn. Wir stärken den Handlungsspielraum und die Finanzen der staatsnahen Unternehmen. Sie sollen alles, was sie in der Grundversorgung erwirtschaften, im Betrieb wieder investieren. Schauen Sie sich Coop oder Migros an, die genossenschaftlich organisiert sind und somit nicht nach Gewinn streben. Denen geht es hervorragend – weil eben kein hart erarbeitetes Geld an Ak­tionäre abfliesst.

Wenn wir uns mit deutschen Kollegen unterhalten, sind die voll des Lobes über unseren Service public. Die Züge seien zum Beispiel sauberer und pünktlicher.

Die Schweiz hat im Vergleich zu einigen anderen Staaten tatsächlich einen guten Service public. Es geht am Sonntag darum, dass dieser nicht weiter abgebaut wird. Mit einem Ja gibt es eine Trendwende: Service vor Profit. Bei einem Nein werden weiter Poststellen geschlossen, die Züge werden dreckiger und teurer, die Swisscom verlangt weiterhin überrissene Preise.

Wir haltens mal mit Roger Schawinski: Wer sind Sie eigentlich?

Ich bin Anwalt, spezialisiert auf Konsumenten-, Arbeits- und Versicherungsrecht. Daneben verlege ich Konsumentenzeitschriften wie den «K-Tipp». Bei diesen Jobs gibt es natürlich Überschneidungen. Deshalb sind mir die Probleme unserer rund zwei Millionen Leser bekannt. In einigen Fällen haben wir stellvertretend für sie einen politischen Vorstoss gewagt. Auch beim Service public hat der Druck aus der Leserschaft zur Initiative geführt.

Trotzdem geben Sie erst heute, wenige Tage vor der Abstimmung, Ihr erstes Interview. Warum haben Sie das Schlachtfeld Ihrem Kollegen Peter Salvisberg überlassen?

Ich selber bin nicht wichtig, es geht mir und meinem Team um die Sache. Wir führen keine Kampagne, haben aber Peter Salvisberg während zweier Monate von seinen üblichen Aufgaben für die Beantwortung von Medienanfragen freigestellt. Er macht einen tollen Job.

Sie argumentieren stets mit Ihren Lesern. Doch wo erleben Sie persönlich einen Abbau des Service public?

Schauen Sie aus dem Fenster! Die Poststelle Zürich 8024 hatte früher vier Schalter, man konnte Einzahlungen machen. Nun hat sie noch zwei Schalter, wo auch Tickets verkauft werden. Einzahlungen sind nicht mehr möglich. Wenn Sie da einen Brief abholen wollen, warten Sie ewig. Die nächstgelegene Fraumünsterpost wird dieses Jahr ebenfalls schliessen. Das Gewerbe rund um die Bahnhofstrasse protestierte umsonst. Auf dem Land passiert das Gleiche. Was mich ärgert: Es gibt keinen Grund für diesen Abbau, die Post macht riesige Gewinne!

Wie haben Sie die Debatte rund um Ihre Initiative in den letzten Wochen verfolgt?

Die Gegner versuchen mit allen Mitteln, vom Thema abzulenken. Es geht nur um zwei Anliegen. Erstens verlangen wir, dass der Service am Kunden wichtiger sein soll als die Maximierung des Gewinns. Zweitens sollen Kadermitarbeiter von Post, Swisscom und Co. nicht mehr verdienen dürfen als ein Bundesrat. Die meisten Politiker aber argumentieren nicht inhaltlich, sondern attackieren unseren Text. Dabei urteilt selbst der Berner Verwaltungsrechtsprofessor Markus Müller, der Text sei «mustergültig». Dazu kommt: Die betroffenen Bundesbetriebe mischen im Abstimmungskampf kräftig mit. Eine freie Meinungsbildung der Bevöl­kerung ist so kaum mehr möglich.

Ihr stärkstes Argument ist jenes der zu hohen CEO-Löhne. Es ist von Neid getrieben.

Das hat nichts mit Neid zu tun. Es geht um eine Korrektur von als obszön empfundenen Löhnen von ein paar Dutzend Kadermitarbeitern – um etwas mehr Lohngerechtigkeit also. Wenn etwa die SBB dieses Geld in Mitarbeiter für die Pflege der Züge investieren, steigt der Komfort der Kunden. Politiker und die Bundesbetriebe behaupten, dass die Löhne von Bähnlern und Pöstlern sinken könnten. Das stimmt einfach nicht, lesen Sie doch den Initia­tivtext. Es geht nur um die Löhne, welche das Maximum der Bundesverwaltung übersteigen – also den Bundesratslohn.

Kein Parlamentarier unterstützte Ihre Initiative. Wenn der Text so gut wäre, sähe das anders aus.

Parlamentarier sind nicht mehr wert als andere Bürger. 125 000 von ihnen haben die Initiative unterschrieben – das ist entscheidend. Die Volksinitiative ist dann das richtige Mittel, wenn das Parlament einen Missstand verursacht oder nichts dagegen tut. Das war hier der Fall. Wir haben bewusst keine Parteien und Verbände angefragt. Wir sind weder links noch rechts, der Service public ist für alle da. Es gibt aber selbstverständlich Gründe, dass Politiker uns nicht unterstützen ...

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... nicht nur. Parlamentarier geniessen auch bei der Swisscom eine Vorzugsbehandlung. Und viele profitieren direkt oder indirekt von den Bundesbetrieben, indem sie etwa nach ihrer Politikkarriere in Verwaltungsräte wechseln. Die Politiker sind privilegiert – darum haben sie auch kein Problem mit dem Service public.

Die Initiative ist ein super Werbegag für Ihre Zeitschriften. Eigentlich hofften Sie aber auf einen Gegenvorschlag. Sie sagten gemäss BLICK-Infos in der Ständeratskommission selbst, dass Ihr Text vielleicht nicht die beste Idee ist.

Sie zitierten zwei von über 100 Zeilen des Protokolls. Diese bezogen sich auf die Frage, ob wir allenfalls die Initiative zurückziehen, wenn das Parlament einen besseren Verfassungstext beschliesse. Da antwortete ich, wie wohl alle geantwortet hätten: Wir sind offen für jede Verbesserung. Es geht uns ja um den Inhalt. Ich arbeite seit 33 Jahren als Anwalt und weiss deshalb: Jedes Gesetz, jedes Urteil, jede Rechtsschrift könnte besser formuliert sein. Alle Texte haben Verbesserungspotenzial. Fakt ist: Es gab dann keinen Gegenvorschlag. Offenbar passt dem Parlament das Anliegen nicht. Bern denkt nur an die Bundeskasse, aber nicht an den Service für die Bevölkerung.

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