Presserat warnt vor Geheimjustiz
Immer mehr Urteile hinter verschlossener Tür

Der Schweizer Presserat warnt vor Geheimjustiz. Durch abgekürzte Verfahren und die Masse von Strafbefehlen werde das Prinzip der Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren unterlaufen. Dieses sei aber ein wesentliches Element einer demokratisch kontrollierten Justiz.
Publiziert: 23.06.2015 um 11:34 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 03:55 Uhr

Der Presserat sieht das Recht der Öffentlichkeit auf Information in Gefahr, wie er in einer Mitteilung vom Dienstag schreibt. Er lancierte einen Aufruf in Sachen freier Gerichtsberichterstattung.

Dabei wendet sich der Presserat erstmals an die obersten Verantwortlichen der Schweizer Justiz. Laut Mitteilung ging seine Stellungnahme an Justizministerin Simonetta Sommaruga sowie an den Bundesgerichtspräsidenten, den Bundesanwalt, die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren und an die Schweizerische Staatsanwälte-Konferenz.

Für den Presserat gehört das Prinzip, wonach Verfahren vor Gerichten öffentlich sind, zu den wichtigsten Errungenschaften des liberalen Rechtsstaats. Justizreformen mit dem Ziel, die Effizienz zu steigern, führten jedoch dazu, dass die strafrechtliche Erledigung von Fällen den Gerichten - und damit der Öffentlichkeit - mehr und mehr entzogen werde.

«Wenn Richter kaum noch Zeugen befragen und Staatsanwälte Beschuldigte in Strafbefehlsverfahren nicht einvernehmen, sind solche Fälle und Urteile schwer nachvollziehbar», schreibt der Presserat. Der Anspruch auf Öffentlichkeit sei nicht auf Gerichtsverhandlungen und Urteilsverkündungen beschränkt.

Seit der Revision der Strafprozessordnung 2011 behandle die Justiz immer mehr Straffälle nach dem abgekürzten Verfahren abschliessend. Weil sich dadurch Gerichtsberichterstatter zunehmend bei ihrer Arbeit eingeschränkt fühlten, beschloss der Presserat, das Thema aufzugreifen und ein Hearing mit Experten durchzuführen.

Die Einschränkungen beträfen aber nicht nur die abgekürzten Verfahren, sondern auch die Strafbefehle und die Einstellungen von Verfahren. Kern eines abgekürzten Verfahrens ist die Absprache zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Beschuldigten. Dabei legt der Beschuldigte ein Geständnis ab und die Anklage kommt ihm dafür entgegen.

Das Gericht prüft in der Hauptverhandlung dann bloss noch, ob das Verfahren korrekt durchgeführt wurde und die beantragte Sanktion angemessen ist.

Wie beschwerlich die Informationsbeschaffung für Journalisten sein kann, hat gemäss dem Presserat der Fall Zuppiger gezeigt. Der ehemalige SVP-Nationalrat Bruno Zuppiger wurde von der Zürcher Justiz in einem abgekürzten Verfahren wegen Veruntreuung schuldig gesprochen.

Einem Journalisten, der den Tatbeitrag Zuppigers klären wollte, wurde vom Bezirks- und vom Obergericht Akteneinsicht verweigert. Die Gerichte begründeten dies mit dem Persönlichkeitsschutz des Betroffenen. Dem Öffentlichkeitsprinzip sei mit der öffentlichen Urteilsverkündung Genüge getan, wurde argumentiert.

Ähnlich problematisch gestaltete sich laut Presserat der Zugang zu Informationen im Fall Nef. Das Verfahren gegen den früheren Armeechef Roland Nef wegen Nötigung seiner Ex-Freundin wurde eingestellt. Erst das Bundesgericht entschied, dass die interessierten Medien Anrecht auf Einblick in die Einstellungsverfügung haben.

Damit Medienschaffende ihren Auftrag als «Wachhunde der Demokratie» erfüllen können, sind sie laut Presserat angewiesen auf einfachen Zugang zu Anklageschriften, Urteilen, Einstellungsentscheiden und Strafbefehlen. In begründeten Fällen müsse ihnen auch Akteneinsicht gewährt werden.

In Anbetracht der grossen Zahl von Urteilen und Strafbefehlen brauche es praktikable Regelungen wie längere und vereinheitlichte Fristen für den Zugang zu Urteilen und Strafbefehlen. Zentral sei zudem, dass Journalisten für Einsichtsgesuche nicht unverhältnismässig zur Kasse gebeten würden.

«Prohibitiv wirkende Kostenauflagen» müssten abgeschafft werden. Gerichte und Staatsanwaltschaften sollten durch den einfachen Zugriff auf die Informationen im Internet möglichst grosse Transparenz herstellen. Vorbildlich seien das Bundesgericht und einzelne kantonale Justizbehörden.

Der Presserat kritisiert auch, dass manche Gerichte die Anforderungen für die Zulassung als Gerichtsberichterstatter beliebig erhöhen. Die Akkreditierung dürfe nicht missbraucht werden, um Reporter unter Druck zu setzen.

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