Als 2008 die damalige Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey (heute 73) mit einem Kopftuch den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad (61) besuchte, heulte die Schweiz auf. «Peinlicher Kniefall» und völlig «unnötig»: So beurteilten bürgerliche Politiker damals das Entgegenkommen der Bundesrätin, die mit der Verhüllung auf die Sittenregeln der Gastgeber Rücksicht nehmen wollte.
Vergangene Woche waren die Rollen umgekehrt verteilt. Der iranische Staatspräsident Hassan Rohani (69) war in Bern zu Gast und besuchte drei Bundesräte sowie eine Bundesrätin. Er sprach mit Bundespräsident Alain Berset (46), Aussenminister Ignazio Cassis (57), Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (66) und Justizministerin Simonetta Sommaruga (58).
Händeschütteln gab es nur mit Berset
Doch Rohani wollte nicht von den Sitten des konservativen Islam abweichen und sich nicht an die Regeln seines Gastlandes anpassen. Vielmehr musste ein alternatives diplomatisches Protokoll her, wie die Freiburger Zeitung «La Liberté» berichtete und wie vom Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten bestätigt wurde.
Dieses sah unter anderem vor, «dass niemand jemandem die Hand schüttelte». Die einzige Ausnahme bildete die Ankunft der iranischen Delegation am Flughafen Zürich und die Verabschiedung in Bern zum Schluss – wo Bundesrätin Sommaruga nicht anwesend war. Rohani gab nur Berset die Hand.
Im Hotel musste alles Nackte verschwinden
Das Treffen von Sommaruga mit Rohani fand im Berner Luxushotel Bellevue Palace statt. Dort musste man ebenfalls auf den prominenten Gast Rücksicht nehmen. Nicht nur in den privaten Räumen! Vielmehr mussten diverse Bilder und Skulpturen im Hotel verdeckt oder weggestellt werden, weil sie nackte oder nur teilweise gekleidete Menschen darstellen.
Aussenpolitiker kritisieren das Entgegenkommen
Die Rücksichtnahme des Protokolls rief – wie schon das Kopftuch von Calmy-Rey – umgehend Kritik hervor. Auch wenn Sommaruga nicht anders behandelt wurde wie ihre männlichen Kollegen, wie Diplomaten konterten.
Didier Berberat (61), Neuenburger SP-Ständerat und Mitglied der Aussenpolitischen Kommission (APK), ärgert die protokollarische Anpassung trotzdem. Ebenso Elisabeth Schneider-Schneiter (54), Präsidentin der nationalrätlichen APK. «Es ist inakzeptabel! Hassan Rohani muss unsere Gewohnheiten respektieren, wenn er uns besucht», sagte die Baselbieter CVP-Nationalrätin laut «La Liberté». (awi)