Mit 98 zu 85 Stimmen fällte der Nationalrat am Donnerstag einen historischen Entscheid: Er unterstützt die Einführung des Stimmrechts für alle, die 16 Jahre und älter sind.
Der Vorschlag ist eigentlich nichts Neues: Seit 2007 dürfen 16-Jährige an den Landsgemeinden im Kanton Glarus politisch mitentscheiden. Bemühungen, das Stimmrecht auf weitere Teile des Landes auszuweiten, blieben allerdings erfolglos: Im Bundesparlament wie in den Kantonen blitzten Initianten immer wieder damit ab, zuletzt im Kanton Neuenburg.
Die Zustimmung des Nationalrats kommt deshalb überraschend. Umso mehr freut sich Sibel Arslan (40, Grüne), Initiantin des Vorstosses, über den Entscheid. Das klare Ergebnis mache deutlich: «Stimmrechtsalter 16 ist nicht nur ein grün-linkes Thema. Es wird von verschiedenen Parteien breit abgestützt.»
Linke und Mitte dafür
Mit Ja stimmten am Donnerstag neben Grünen und SP auch die Grünliberalen sowie Mitglieder der FDP- und der Mitte-Fraktion.
«Jugendliche werden oft unterschätzt», so Arslan. «Politische Themen betreffen besonders die Zukunft der Jungen. Deshalb sollen sie auch mitbestimmen dürfen.»
Mit 16 Jahren ist man reif genug, einen Abstimmungsbogen auszufüllen, meinen Befürworter. Doch was könnten Wähler in diesem Alter tatsächlich bewirken? Wären die Wahlen 2019 mit ihrer Beteiligung anders ausgefallen? Lukas Golder, Politologe und Co-Leiter des Forschungsinstituts GFS Bern, bezweifelt das. Die Gesinnung der Jungen sei linker und grüner geworden.
Stimmen wären nicht ausschlaggebend
2015 war die SVP bei den 18- bis 25-Jährigen noch am beliebtesten. Die Klima- und Frauenbewegung jedoch hätten das verändert: «Ausschlaggebend wären die Stimmen der 16- und 17-Jährigen bei einer Abstimmung nicht», meint Golder. «Der Anteil dieser Altersgruppe ist in der Bevölkerung zu klein. Das politische Gefüge würde sich dadurch kaum verändern.»
Parallel zur demografischen Entwicklung beobachte sein Forschungsinstitut die Tendenz, dass sich Menschen unter 50 Jahren immer weniger fürs politische Geschehen interessieren. «Fühlt man sich als Wähler überfordert, geht man nicht an die Urne», so Golder.
Das bleibe nicht ohne Folgen: Der entscheidende Stimmkörper liege aktuell bei den über 50-Jährigen. «Er wird aber schon bald bei 60 sein.» Immerhin könnte das Stimmrechtsalter 16 einer allmählichen Vergreisung der Schweizer Politik entgegenwirken.
Politische Bildung sei nötig
Hinzu kommt: Laut einer Studie von GFS Bern sei mehr politische Bildung vonnöten, um das demokratische System zu stärken. Durch Stimmrechtsalter 16 würde sie zusätzlich an Relevanz gewinnen. Golder: «Bei den Schulen steigt der Druck, das Thema schon früher und intensiver zu behandeln.»
Ob die Jugendlichen tatsächlich demnächst die Chance bekommen, an der Urne mitzubestimmen, muss sich noch zeigen. Arslans Vorstoss kommt nun in den Ständerat. Dort dürfte es die von ihr angestrebte Reform allerdings schwer haben: Im «Stöckli» liegt das Durchschnittsalter bei 54 Jahren, also noch fünf Jahre höher als in der grossen Kammer.