Es war ein Angriff mit Ankündigung, den die SVP diese Woche in der Gerichtskommission (GK) vortrug. Oft schon haben Parteien Urteile des Bundesgerichts kritisiert. Neu ist, dass eine Partei die Gesamterneuerungswahl der höchsten juristischen Instanz zum Anlass nimmt, einen Richter abzustrafen und zur Abwahl zu empfehlen. Einen Richter mit SVP-Parteibuch, wohlgemerkt: Yves Donzallaz (58), ein Jurist, den der ehemalige SVP-Fraktionschef Caspar Baader (66) dem Parlament einst als «hervorragenden Kandidaten mit einem tadellosen juristischen Leistungsausweis» angepriesen hatte.
Wie mehrere Quellen bestätigen, forderte die SVP in der Gerichtskommission am Mittwoch, dass Bundesrichter Donzallaz dem Parlament nicht zur Wiederwahl empfohlen werden soll. Zuvor hatte die Rechtspartei verlangt, dass Donzallaz künftig nicht mehr als SVPler gezählt werden darf. Frei nach der Logik, dass nicht als Richter der SVP gelten darf, wer seine Urteile nicht gemäss Parteilinie fällt.
Eine eigentümliche Sicht auf die Gewaltenteilung, die aber auch damit zusammenhängt, dass die Parteien gemäss ihrer Wählerstärke Anspruch auf Richterstellen haben. Und dass eben das Parlament diese Richter bestimmt. So auch in der kommenden Herbstsession, wenn sich die Bundesrichter der Wiederwahl durch National- und Ständerat stellen müssen. Die Gerichtskommission hat im Vorfeld die Aufgabe zu prüfen, ob sie für die einzelnen Richterinnen und Richtern eine Wahlempfehlung ausspricht. Meist ist dies eine Formalie und die Räte richten sich anschliessend nach dieser Empfehlung. Doch die SVP nutzt jetzt den Vorgang, um Donzallaz zu diskreditieren.
Die Partei tobt
Die Partei hadert bereits geraume Zeit mit dem Walliser und drohte ihm auch schon öffentlich. 2015 hatte der Richter einen Entscheid mitgetragen, nach dem die Personenfreizügigkeit mit der EU Vorrang vor der angenommenen Masseneinwanderungs-Initiative habe. Im Sommer 2019 gab seine Stimme den Ausschlag bei der Entscheidung, Daten von UBS-Kunden an Frankreich zu übermitteln. SVP-Nationalrat Thomas Matter (54, ZH) sprach damals von einem «Skandal». Gegenüber dem «Tages-Anzeiger» bezeichnete der Banker Donzallaz’ Verhalten als «nicht nachvollziehbar».
Parteikollege Pirmin Schwander (58, SZ), Mitglied der Gerichtskommission, brachte ein Amtsenthebungsverfahren ins Spiel und Fraktionspräsident Thomas Aeschi (41, ZG) erklärte in der «Sonntagszeitung»: «Wir müssen uns ernsthaft fragen, ob wir Bundesrichter unserer Partei wiederwählen wollen, wenn sie in keiner Weise unser Gedankengut vertreten.»
Den Einfluss der SVP am Gericht zu erhöhen, ist nun erklärtes Ziel der Partei – und dass Fraktionschef Aeschi seit einem Jahr in der Gerichtskommission sitzt, kein Zufall.
Fruchtlose Aussprache
Im Frühling trafen sich der damalige SVP-Präsident Albert Rösti (53, BE) und SVP-Nationalrat Michaël Buffat (40, VD) mit Donzallaz zu einer Aussprache. Dieser sei angehalten worden, seinen Spielraum im Sinne der SVP zu nutzen, heisst es. Doch Donzallaz machte deutlich, dass die Unabhängigkeit der Justiz für ihn nicht verhandelbar sei. Was folgte, war die Attacke der SVP in der Gerichtskommission.
Allerdings gelang es der Volkspartei diese Woche nicht, eine Mehrheit des Gremiums zu überzeugen – Donzallaz dürfte wohl eine Wahlempfehlung erhalten. Den endgültigen Entscheid fällen dann die Räte bei der Wahl am 23. September.
Vorher wird sich die SVP den Parteikollegen aber noch einmal zur Brust nehmen. Die Bundeshausfraktion hat ihn nach Bern zitiert. «Wir haben Herrn Donzallaz für den 8. September in unsere Fraktion zu einer Anhörung eingeladen», sagt Aeschi auf Anfrage. «Seine Antwort steht noch aus. Vor dieser Sitzung kommentiert die SVP die Erneuerungswahl der Bundesrichter nicht.»
Parteidoktrin über Allem
Und wie sehen andere Parteien das Verhalten der SVP? «Man kann als Politiker ein Urteil kritisieren, das verstehe ich», sagt Gerhard Pfister (57, ZG), Präsident der CVP. «Mir persönlich passen längst nicht alle Urteile, die das Bundesgericht fällt, aber die SVP geht weiter und setzt die Parteidoktrin über alles.» Damit kratze sie einmal mehr an den Institutionen dieses Landes.
Einen Richter wähle er nur dann nicht wieder, so der Zuger, wenn dieser etwa aufgrund von persönlichem Fehlverhalten nicht länger tragbar sei. «Das ist in diesem Fall nicht gegeben», macht Pfister klar.
Grünen-Präsident Balthasar Glättli (48, ZH) sieht fachliches Versagen, Übergriffe oder Arbeitsverweigerung als mögliche Gründe für eine Abwahl. «Aber sicher nicht, dass eine Richterin oder ein Richter Urteile fällt, die der ursprünglich portierenden Partei nicht gefallen.» Bei den höchsten Gerichten dürfe es keine «Polit-Prüfung» geben.
«Der Versuch, die Justiz parteipolitisch zu prägen, erinnert an Donald Trump», sagt Glättli. «Diesem Druck nachzugeben, ist nicht Aufgabe der Gerichtskommission und schon gar nicht der Vereinigten Bundesversammlung.»
Die Justiz diesem Druck überhaupt erst auszusetzen, hat sich aber die grösste Partei im Land auf die Fahnen geschrieben.