Wie nahe ist eine Einigung mit der EU?
Ziemlich nahe, wenn man FDP-Bundesrat Didier Burkhalter glauben kann: «Wir müssen meiner Meinung nach nicht mehr lange verhandeln, denn wir sind mit der EU nahe an einer Lösung», sagte er der «NZZ am Sonntag». Justizministerin Simonetta Sommaruga war am Freitag weitaus zurückhaltender. Es könne sein, dass die Schweiz im Herbst «nichts hat», sagte sie. Für FDP-Präsident Philipp Müller wiederum hat die Schweiz «bis heute nichts erreicht, rein gar nichts», wie er in der «Schweiz am Sonntag» sagte. Sicher ist: Nach über zehn Konsultationen hat die Schweiz keine Lösung. Und vor der Brexit-Abstimmung im Juni gibts keine weiteren Gespräche.
Was wenn es zu keiner Einigung mit der EU kommt?
Dann will der Bundesrat mit einer einseitigen Schutzklausel die Zuwanderung steuern. Wird ein definierter Schwellenwert überschritten, beschliesst der Bundesrat Höchstzahlen und Kontingenten. Die Idee hat im Parlament einen schweren Stand.
Was schlägt das Parlament vor?
Das werden die nächsten Monate zeigen. Für den Fall, dass es keine Lösung mit der EU geben sollte, haben Parteien schon Alternativ-Ideen einer einseitigen Schutzklausel skizziert. Etwa eine lokale Schutzklausel, die das Tessin und alt Staatssekretär Michael Ambühl erarbeitet haben, wie der SonntagsBlick berichtete. Diese könnte in einzelnen Kantonen oder auch auf gewisse Branchen angewendet werden – und orientiert sich nicht an der Zuwanderung sondern am lokalen Arbeitsmarkt. FDP-Politiker schlagen vor, auf Höchstzahlen zu verzichten und stattdessen auf einen Inländervorrang für gewisse Branchen zu setzen. Etliche weitere Ideen werden folgen – der Basar ist eröffnet.
Wird das Volk nochmals abstimmen?
Ja, das letzte Wort zur Personenfreizügigkeit wird höchstwahrscheinlich das Volk haben. Entweder nach einem Referendum oder einer neuen SVP-Initiative. Oder spätestens bei der Abstimmung der Initiative «Raus aus der Sackgasse». Diese verlangt die Streichung des Masseneinwanderungs-Artikels. Verschiedene Parteien denken auch über einen Gegenvorschlag zur Initiative nach, mit dem ein Europa-Artikel in der Verfassung verankert werden soll. Sicher ist: Das Volk muss dereinst den Grundsatzentscheid fällen, ob es die Personenfreizügigkeit und damit die Bilateralen Verträge mit der EU behalten will – oder ob es die Zuwanderung eigenständig und spürbar reduzieren will.
Wie könnte die Abstimmung ausgehen?
Laut einer neuen Umfrage des Forschungsinstituts Sotomo im Auftrag der «SonntagsZeitung» plädieren derzeit 53 Prozent der Schweizer für die Beibehaltung der Bilateralen, 45 Prozent bevorzugen eine Zuwanderungsbeschränkung.
Wie stark würde eine Schutzklausel die Zuwanderung überhaupt beschränken?
Das ist die Gretchenfrage, die noch unbeantwortet ist. Im bundesrätlichen Gesetzesentwurf vom Freitag sucht man vergebens nach einer Grössenordnung, geschweige denn einer Zahl. Eine Zuwanderungskommission bestehend aus Migrations- und Arbeitsmarktbehörden des Bundes und der Kantone soll dereinst diesen Schwellenwert festlegen.
Was tut die Schweiz sonst, um die Zuwanderung zu reduzieren?
Mit der sogenannten Fachkräfteinitiative will der Bundesrat das Erwerbs-Potenzial im Inland besser ausschöpfen – etwa durch eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder Anreizen zu Weiterbildungen. Auch anerkannte Flüchtlinge sollen hierzulande einfacher beschäftigt werden können.
Wie hoch ist überhaupt die Zuwanderung?
Sie ist seit zwei Jahren rückläufig – bleibt aber im europäischen Vergleich sehr hoch. Im letzten Jahr betrug die Nettoeinwanderung (Einwanderung minus Auswanderung) 71'500 Personen. 2014 waren es 79'000, 2013 gut 81'000. Die höchste Zuwanderung erlebte die Schweiz 2008. Damals wanderten 99'000 Personen ein.