Gerhard Pfister (56) ist alarmiert. «Die Schweiz ist naiv!», sagt der CVP-Präsident. Die Übernahme von Syngenta durch den halbstaatlichen Konzern Chem China habe «massiven Schaden» angerichtet. «Chinas Interessen laufen denen Europas und der Schweiz zuwider.»
Auch SP-Nationalrätin Jacqueline Badran (56) warnt: «China führt einen Wirtschaftskrieg um Schlüsseltechnologien. Die Schweiz muss sich dagegen verteidigen und darf dem Ausverkauf nicht tatenlos zusehen.»
Fehlendes Gegenrecht
Und selbst der ehemalige UBS-CEO Oswald Grübel (74) zeigte sich unlängst in der «Schweiz am Wochenende» besorgt. «China will alle von sich abhängig machen», sagt er. Seine Liberalität höre auf, wenn ein Staat komme und die Industrie eines anderen Staates aufkaufe – dieser aber seinerseits keine Firmen übernehmen dürfe. «Da müsste auch die Schweiz ihre eigenen Interessen über liberale Prinzipien stellen», so Grübel.
Grund für die Sorgen von Wirtschaftsführern von Christ- bis Sozialdemokraten: China kauft quer über den Globus Firmen zusammen, um sich Zugang zu wichtigen Technologien zu sichern – auch in der Schweiz. Der grösste Deal: Der Staatsbetrieb Chem China riss sich 2016 die Basler Syngenta für 43 Milliarden Dollar unter den Nagel.
«Nirgends auf der Welt einfacher als in der Schweiz»
Es dürfte nicht die letzte Übernahme gewesen sein. «Westliche Firmen mit hochwertigen Marken- und Technologieprodukten, an die über Joint Ventures nicht heranzukommen ist, kauft China nach Möglichkeit auf», sagt der Schweizer Sinologie-Professor Harro von Senger (siehe Interview).
Diverse europäische Staaten und auch die USA schützen sich bereits gegen den Ausverkauf ihrer Heimat. So hat Deutschland im letzten Jahr ein Vetorecht für die Regierung eingeführt, um den Verkauf «kritischer Infrastrukturen» an Ausländer zu verhindern. Nicht so die Schweiz. Hier gibt es bis heute keine Schutzmassnahmen. «Nirgends auf der Welt ist es so einfach wie in der Schweiz, ein Unternehmen mit viel Know-how zu erwerben», kritisiert Beat Rieder (55).
Der Walliser CVP-Ständerat verlangt via Vorstoss staatliche Investitionskontrollen. Denn neben dem Verlust von Know-how und Arbeitsplätzen könnten chinesische Übernahmen auch «die öffentliche Sicherheit oder Ordnung der Schweiz gefährden».
Alpiq-Verkaufsgelüste schreckten Politik auf
Einen Schritt weiter ist die Energiekommission des Ständerats. Im Frühling hat sie einstimmig entschieden, Energiefirmen besser vor Verkäufen zu schützen. Wie genau, darüber tüfteln nun die Energiepolitiker. Auch ob andere «strategisch bedeutsame Bereiche» einbezogen werden sollen.
Der Vorstoss stammt aus der Feder von SP-Frau Badran. Sie reagierte damit auf den Stromkonzern Alpiq, der vor zwei Jahren ankündigte, einen Teil seiner defizitären Wasserkraftwerke verkaufen zu wollen. Der Plan wurde mittlerweile auf Eis gelegt.
Noch-Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (66) wird die chinesischen Kaufgelüste in einem Bericht analysieren; er hält aber wenig vom regulatorischen Eifer. Kritische Basisdienstleistungen etwa im Gesundheits- und Bildungswesen sowie Infrastrukturen – zum Beispiel Telekom, Verkehr, Energie, also Staumauern, Elektrizitätsnetze, SBB – seien bereits heute durch die zumeist öffentliche Eigentümerschaft oder spezialgesetzliche Regelungen vor unerwünschten Übernahmen geschützt, schreibt sein Departement auf BLICK-Anfrage.
Schützenhilfe bekam er just letzten Freitag von Avenir Suisse. Erfahrungen aus dem Ausland würden zeigen, dass der Erfolg von Investitionskontrollen «eher ernüchternd» seien, heisst es in einer Studie der Denkfabrik. «Kontrollgremien sind selten unabhängig und stellen ein potenzielles Einfallstor für Aktivitäten von Interessenvertretern dar.»
Schneider-Ammann verteidigt offene Wirtschaft
Und bei allen anderen Firmen mit bedeutenderen Technologien? Hier vertraut der FDP-Bundesrat auf die Vorteile einer offenen Wirtschaft: «Langfristige Investitionen in Schweizer Unternehmen leisten einen wichtigen Beitrag zur Wirtschaftstätigkeit im Inland und damit zur Sicherung der Beschäftigung.» Dies sei heute der Fall: Bei den 30 grössten Schweizer Konzernen seien 80 Prozent der Anteile in ausländischem Besitz, rund 470'000 Beschäftigte in unserem Land würden in ausländischen multinationalen Unternehmen arbeiten.
In der Regierung gehen die Meinungen jedoch auseinander. Die abtretende Bundesrätin fordert im Umgang mit China mehr Vorsicht. Sie habe «Vorbehalte» bei Übernahmen von strategisch sensiblen Unternehmen durch chinesische Konzerne, «mit denen unsere Wettbewerbskommission relativ locker umgeht», sagte Doris Leuthard (54, CVP) kürzlich der «Aargauer Zeitung».
Und giftelte damit gegen den Chef der Wettbewerbskommission, Andreas Heinemann (56). Dieser hat kurz nach Amtsantritt zu Beginn dieses Jahres erklärt, die Schweiz tue gut daran, keine restriktive staatliche Übernahmekontrolle einzuführen.
Weko soll öfter einschreiten
Dennoch dürfte Heinemann schon bald gezwungen sein, bei Übernahmen öfter einzuschreiten. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) arbeitet an einer Änderung der Fusionskontrolle, was auch einen Einfluss auf chinesische Übernahmen hat. Momentan kann die Weko nur dann ihr Veto einlegen, wenn eine Fusion den Wettbewerb komplett beseitigt. Künftig soll dies bereits möglich sein, wenn er stark beeinträchtigt wird.
Mehr Macht für die Weko, Heimatschutz für Energiefirmen und ein staatliches Veto bei Verkäufen von Unternehmen mit bedeutendem Know-how: Die Politik hat begonnen, eine chinesische Mauer gegen den gelben Übernahmehunger hochzuziehen. Ob es eine grosse Mauer wird, werden die kommenden Jahre zeigen.