Politexperte Michael Hermann zum Abstimmungs-Ausgang
Kommt jetzt das Rentenalter 67?

Die Schweiz hat abgestimmt: Im Interview erklärt Politexperte Michael Hermann, warum das Resultat der AHVplus-Initiative einem Patt gleichkommt, warum die Grünen auch mit 36,4 Prozent Ja keine Debatte lancieren können. Und warum es beim Nachrichtendienst so viele Abweichler zu den offziellen Parteiparolen gab.
Publiziert: 25.09.2016 um 16:55 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 16:24 Uhr
Interview: Matthias Halbeis
Politexperte Michael Hermann ist überzeugt, dass das Abstimmungsresultat zur AHVplus-Initiative keiner der beiden Seiten etwas nützt.
Foto: René Ruis

Nach der Ablehnung der AHVplus-Initiative mit 59,4 Prozent: Müssen wir uns jetzt auf Rentenalter 67 einstellen?
Nein, die Stimmberechtigten haben nur den Ausbau der AHV abgelehnt. Das heisst aber noch lange nicht, dass das Volk auch einem Abbau zustimmen würde.

Beide Seiten reklamieren jetzt einen Sieg. Gehört das zum Spiel? Und wer hat wirklich gewonnen?
Klar gehört das zum Spiel. Es ist jedoch ein Abstimmungsausgang, der für beide Seiten nicht wirklich befriedigend ist. Die Befürworter hatten sich insgeheim sicher mehr erhofft. So erzielte im Jahr 2000 eine AHV-Ausbau-Initiative 46 Prozent Ja-Stimmen. Hätten sie ein Resultat in dieser Grössenordnung erreicht, wäre der Druck hoch gewesen und es hätte die Rentendebatte von nächster Woche stark geprägt.  Jetzt ist das Resultat der Initiative an der unteren Grenze, um überhaupt Eindruck zu machen.

Inwiefern?
AHV-Initiativen haben im Vergleich zu anderen linken Vorschlägen immer massiv mehr Unterstützung erreicht. Da ist die Messlatte höher. Die Befürworter werden zwar versuchen mit diesem Resultat in die Offensive zu gehen. Aber zusätzlich verunsichern lassen sich die Gegner von diesem Resultat kaum. Eine Warnung an diejenige, welche die Rentenreform 2020 ausgestalten ist es aber sehr wohl. Wenn sich 40 Prozent einen Ausbau vorstellen können, dann wird eine Reform der AHV wie erwartet nicht einfach werden. Interessant ist aber zumindest, dass ein  Mehrheit der Stimmenden sich gegen eine Erhöhung mit der Giesskanne ausgesprochen hat. Erstmals wurde die Diskussion um die Altersvorsorge ausserdem als Verteilkampf zwischen den Generationen diskutiert. Das war um die Jahrhundertwende noch viel weniger der Fall. Aber natürlich sind die, die am meisten betroffen sind, auch jene, die regelmässig stimmen gehen.

Dann ist es eher ein Patt?
Mit 40 Prozent gegen 60 kann sich keine der beiden Seiten als Sieger fühlen.

Es fällt auf, dass die Romandie und das Tessin die AHV lieber erhöht hätten. Ein weiterer Hinweis auf die Ausgabenfreude der Lateiner?
Es gibt diesen Graben ganz klar. Aber wenn man es mit den sozialpolitischen Vorlagen Ende 90er-, Anfang der Nuller-Jahre vergleicht, so ist er deutlich kleiner geworden. Die Waadt hat nur ganz knapp zugestimmt, Freiburg und Wallis haben sogar abgelehnt. Sozialpolitik trennt die lateinische Schweiz von der Deutschschweiz, aber nicht mehr so stark wie auch schon. Interessant, dass das Tessin in diesen Fragen noch mit den Romands stimmt, wo der Kanton sonst etwa in Europafragen schon fast auf einer Linie mit der Innerschweiz liegt. Wenn man weiss, wie viel stärker das Bewusstsein der Romands für die Benachteiligten war, so ist das Resultat ein weiterer Beleg für die Verbürgerlichung der Westschweiz.

Wie muss das Resultat der Grünen mit ihrer Initiative einschätzen?
Heute lässt sich mit Resultaten unter 40 Prozent kaum noch ein Zeichen setzen. Klar, haben die Grünen im Verleich mit der ähnlich gelagerten Vorlage der Grünliberalen viel mehr als ihr eigenes Wählerreservoir ansprechen können. Trotzdem ist es wohl zu wenig, um eine Diskussion in Gang zu setzen. Es hilft wohl eher den Skeptikern, die sich gegen Eingriffe in die Wirtschaft stellen.

Beim Nachrichtendienstgesetz gab es Abweichler in fast allen Parteien zur offiziellen Parole. Also etwa Skeptiker bei den sonst geheimdienstfreundlichen Bürgerlichen oder Befürworter bei den sonst skeptischen Linken. Sonst sind die Parteien stromlinienförmiger geworden. Warum gerade bei diesem Thema?
Das hat vor allem damit zu tun, dass der Nachrichtendienst ein Thema war, über das wir nicht regelmässig abstimmen. Darum sind die Haltungen in den Parteien weniger starr, noch weniger gefestigt. Gemessen an der allgemeinen Verunsicherung nach den vielen Anschlägen ist der Nein-Anteil ganz beachtlich. Aber hier haben sich die Überwachungsskepsis-Skepis von Links mit der Staatsskepsis von Rechts getroffen, wodurch es doch zu fast einem Drittel Nein-Stimmen gekommen ist.

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