Auch für den erfahrensten Politologen bergen Abstimmungen immer wieder Überraschungen. Dass es beim CO2-Gesetz so knapp wird, hat auch Claude Longchamp (64) nicht kommen sehen.
Noch ist das Ergebnis aber offen: «Das Rätselraten bleibt», sagt der Politologe. Den Hochrechnungen zufolge stimmt 51 Prozent der Stimmbevölkerung gegen die Vorlage. «Der Fehlerbereich ist aber so hoch, dass es noch auf beide Seiten kippen kann», so Longchamp. «Es ist alles möglich und es ist eng!»
Die Befürworter waren siegessicher
Anfangs sah es für das CO2-Gesetz noch rosig aus. Die Zustimmung nach den ersten Umfragen vor einigen Monaten lag bei über 60 Prozent.
Für Longchamp ist die Sache klar: «Die Ja-Seite hat die Kostenfrage unterschätzt.» Hauseigentümer, Autofahrerinnen und Vielflieger würden künftig mehr zahlen müssen für Umweltsünden. «Die Vorlage wurde zu einer Konsumentenfrage.»
Und die Konsumentinnen und Konsumenten seien nach anderthalb Jahren Corona nicht in der Stimmung, sich auf Experimente einzulassen.
«Es herrscht Skepsis gegenüber der Zukunft»
In schlechten Zeiten schaut man zuerst auf eigene Portemonnaie: «Es herrscht Skepsis gegenüber der Zukunft», so Longchamp. Dann sage die Stimmbevölkerung erfahrungsgemäss eher Nein, wenn es darum geht, mehr zu zahlen. Sollte die Vorlage abgelehnt werden, liege das an den erhöhten Kosten für Konsumenten. «Es wäre kein Nein zu mehr Klimaschutz.»
Und trotzdem: Für Longchamp bedeutet ein Nein zu der Behördenvorlage nicht weniger als «ein Donnerschlag für die Bundespolitik». Würde die Vorlage abgelehnt, würde das die Schweizer Politik aufwühlen. Vor allem die FDP würde sich die Frage stellen müssen, welchen Kurs sie in der Klimafrage fahre.
«Die Vorlage war ein Prestigeprojekt der Schweizer Politik»
Nach einer Befragung bei der Basis entschied sich die FDP-Parteispitze für einen liberalen, aber ökologischen Kurs. Intern werde die Parteispitze dafür kritisiert, so Longchamp. Der Kurs sorge für Verteuerungen, und das sei nicht liberal. «Wie geht es eigentlich weiter mit dieser Regierungspartei?», fragt sich der Politologe.
«Die Vorlage war ein Prestigeprojekt der Schweizer Politik.» Weil es nicht nur um interne Politik gehe: Die Vorlage wurde nach der Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens ausgearbeitet. Damit verpflichtete sich die Schweiz gegenüber anderen Staaten, die CO2-Emissionen radikal zu senken. Dem würde sich die Schweizer Stimmbevölkerung verwehren.
Bei den anderen Vorlagen war die Sache klar
Die Hochrechnungen zu den anderen Vorlagen sind für den Politikexperten wenig überraschend. Für die Pestizid- und Trinkwasserinitiative sah Claude Longchamp schon vorher schwarz: «Ein Nein war zu erwarten.» Die Ablehnung komme deutlich vom Land aus und sei an die Stadt gerichtet.
Auch das Ja zum Covid-Gesetz sei keine Überraschung. «Alle hatten schon vorher ihre Meinung dazu», so Longchamp. Entweder man fand, der Bundesrat habe während der Corona-Pandemie einen guten Job gemacht – oder eben nicht. «Da tut ein Wahlkampf nicht mehr viel zur Sache», so Longchamp.
Und beim Anti-Terror-Gesetz? «Schweizer sind sehr sicherheitsorientiert», so der Politologe. Die Vorlage verspricht mehr Sicherheit. Die Schweizer Stimmbevölkerung hat bei den letzten Abstimmungen für ein Verhüllungsverbot gestimmt, das gegen den radikalen Islamismus zielt. Das Anti-Terror-Gesetz habe für ein ähnliches Ziel geworben. «Da wäre ein Nein einfach komisch», so Longchamp.