BLICK: Brüssel schlägt harte Töne an: Die Börsenäquivalenz wird wohl nicht verlängert. Wie soll die Schweiz Ihrer Meinung nach dagegenhalten?Pierre-Yves Maillard: Die Gewerkschaften kämpfen für einen guten autonomen Lohnschutz, weil wir die höchsten Lebenshaltungskosten Europas haben. Und wir kämpfen für den Service public. Aber wie es beim Rahmenabkommen weitergeht, müssen am Ende der Bundesrat und das Parlament entscheiden.
Es ist die kompromisslose Position der Gewerkschaften, die zu dieser Blockade geführt hat.Falsch. Das Volk wird nie einen Vertrag gutheissen, der unsere vitalen Interessen infrage stellt. Das hat auch der Bundesrat verstanden. Wie stellt sich die EU-Kommission denn genau den Prozess in der Schweiz vor? Soll der Bundesrat ein Abkommen unterschreiben, das vom Volk sicher abgelehnt wird? Der einzige Weg ist, eine bessere Lösung zu finden, die die legitimen Interessen beider Seiten bedient.
Gewährt Brüssel der Schweiz diesen Aufschub?
Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Allerdings hat niemand ein Interesse an einer Eskalation. Dabei hätten gerade jene süddeutschen Regionen am meisten zu verlieren, die am lautesten Druck auf die Schweiz ausüben. Viele Kräfte in der Schweiz wären für eine Lösung offen, und wir auch. Nur sehe ich nicht, wie wir das in ein paar Wochen regeln sollten.
Und wie wollen Sie Zeit gewinnen?
Die Diskussionen in der Schweiz beginnen erst. Aber die Kohäsionsmilliarde sollte wie ursprünglich geplant bewilligt werden.
Die Schweiz soll also zahlen – egal, was Brüssel beschliesst? Das Parlament sieht das anders.
Die Schweiz profitiert vom gemeinsamen Markt. Wir haben unseren Wohlstand auch den guten Beziehungen zur EU zu verdanken. Mit einem konkreten Zeichen der Solidarität kann das Parlament der EU zeigen, dass wir in dieser Sache nur legitimen Interessen folgen.
Sie sprechen von einer Erhöhung der Kohäsionsmilliarde?
Nicht jetzt. Aber das könnte in einer neuen Verhandlung diskutiert werden. Wir sind keine Rosinenpicker und als Mitglied der Union müsste die Schweiz deutlich mehr bezahlen. Ausserdem geht es uns besser als den meisten Regionen in der EU. Ein wenig mehr Solidarität und keine ungerechtfertigte Rechtsübernahme bei unseren vitalen Interessen – vielleicht ist das der Weg.
Das scheint kaum wahrscheinlich. Brüssel kritisiert seit langem den mangelnden Fortschritt beim Rahmenabkommen.
Es wurde tatsächlich lange verhandelt. Aber wenn die EU kompromisslos auftritt, stärkt sie einzig die SVP und die Gegner des bilateralen Wegs. Mit diesen Kräften kann Brüssel kaum verhandeln wollen.
Die EU-Kommission sagt klipp und klar: Es wird nicht weiterverhandelt.
Es wurde oft gesagt, und ich kann es nur wiederholen: In der Schweiz ist der vorliegende Text nicht mehrheitsfähig. Also müssen wir warten, bis auf Seiten der EU die Bereitschaft da ist, von neuem mit uns zu verhandeln.
Nach dem Abgang von Kommissionspräsident Juncker im Oktober?
Vielleicht. Sorry, Brüssel sollte zur Kenntnis nehmen, dass sich in der Schweiz erst jene Kräfte formieren müssen, die den bilateralen Weg verteidigen. Denn darum geht es doch: um die Zukunft des bilateralen Wegs. Die SVP hat eine Initiative lanciert, welche die Personenfreizügigkeit kündigen will. Und diese Partei hat schon einmal im Alleingang eine Abstimmung zu genau diesem Thema gewonnen.
Sie meinen die Massen- einwanderungs-Initiative?
Genau. Wir alle sollten uns an das Jahr 2014 erinnern. Die SVP trat mit der Masseneinwanderungs-Initiative allein gegen alle an: gegen den Bundesrat, die anderen Parteien, Arbeitgeber und Gewerkschaften. Und sie hat gewonnen. Das kann wieder passieren.
Dazu bräuchte die SVP Stimmen aus Ihrem Lager.
Darum haben wir diesmal mit dem Bundesrat und den Sozialpartnern an Massnahmen gearbeitet, die zu konkreten Problemen der Bevölkerung eine Antwort geben. So können wir unsere Basis überzeugen und mobilisieren. Dieser Sieg wird uns nicht geschenkt. Es ist verrückt: In Bern und Brüssel führen sich einige auf, als ob der kommende Abstimmungskampf ein Spaziergang wäre.
Warum sind Sie dann nicht nach Brüssel gereist, um Ihre Position zu erklären? Wie die «NZZ am Sonntag» berichtete, haben die Gewerkschaften eine Einladung von Martin Selmayr, dem Generalsekretär der Kommission, ausgeschlagen.
Wir erfuhren am Donnerstagabend, dass wir am Montag in Brüssel erwartet würden. Und Journalisten wussten das vor uns. Das war zeitlich nicht möglich. Kommende Woche bin ich in Brüssel beim Europäischen Gewerkschaftsbund. Wir sind bereit für ein Treffen. Ob nächste Woche oder später.
Die SVP will die Diskussionen über den Rahmenvertrag beenden. In einem Vorstoss lehnt sich die Partei einmal mehr gegen den Entwurf auf.
SVP-Chef Albert Rösti (51, Bild) verlangt vom Bundesrat, die Verhandlungen über diesen Vertrag mit der EU sofort abzubrechen. «Die jüngsten Signale der Kommission sind klar, die EU will die Schweiz unter Druck setzen, ohne in irgendeinem Punkt nachzugeben», sagt der Berner Oberländer. Rösti kritisiert den Ton aus Brüssel scharf: «Die Arroganz, die in der letzten Zeit gegenüber der Schweiz an den Tag gelegt wird, ist unerträglich.» In dieser Situation sei es besser, gar nicht erst weiterzudiskutieren.
«Dieses Abkommen ist aufgrund der automatischen Übernahme von EU-Recht ohnehin nicht mehrheitsfähig», fährt er fort. «Und von der Gegenseite wird rein gar nichts unternommen, um das zu ändern.» In dieser Situation wisse er nicht, was weitere Gespräche bringen könnten. «Da riskiert die Landesregierung lieber den Eklat und verlässt den Verhandlungstisch, als sich noch länger vorführen zu lassen.»
Die SVP will die Diskussionen über den Rahmenvertrag beenden. In einem Vorstoss lehnt sich die Partei einmal mehr gegen den Entwurf auf.
SVP-Chef Albert Rösti (51, Bild) verlangt vom Bundesrat, die Verhandlungen über diesen Vertrag mit der EU sofort abzubrechen. «Die jüngsten Signale der Kommission sind klar, die EU will die Schweiz unter Druck setzen, ohne in irgendeinem Punkt nachzugeben», sagt der Berner Oberländer. Rösti kritisiert den Ton aus Brüssel scharf: «Die Arroganz, die in der letzten Zeit gegenüber der Schweiz an den Tag gelegt wird, ist unerträglich.» In dieser Situation sei es besser, gar nicht erst weiterzudiskutieren.
«Dieses Abkommen ist aufgrund der automatischen Übernahme von EU-Recht ohnehin nicht mehrheitsfähig», fährt er fort. «Und von der Gegenseite wird rein gar nichts unternommen, um das zu ändern.» In dieser Situation wisse er nicht, was weitere Gespräche bringen könnten. «Da riskiert die Landesregierung lieber den Eklat und verlässt den Verhandlungstisch, als sich noch länger vorführen zu lassen.»