Nach der Gewalttat gegen fünf Frauen in Genf äussert sich erstmals der zuständige Sicherheitsdirektor Pierre Maudet. Im Interview mit dem SonntagsBlick kündigt der Präsident der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) Massnahmen an. Ziel sei es, den Kampf gegen Gewalt an Frauen zu verstärken und national zu koordinieren.
Die Nachricht erreichte Sie in den Ferien im Ausland: Eine junge Frau wurde in Genf ins Koma geprügelt. Was ging Ihnen als Erstes durch den Kopf?
Pierre Maudet: Ich war schockiert. Und dann wütend.
Wütend auf wen?
Auf die Täter. Auf Menschen, die so etwas tun. Meine Eltern haben mir schon als Kind vermittelt: Frauen schlägt man nicht. Leider ist das noch immer nicht für alle selbstverständlich.
Auch an der Street Parade in Zürich wurden Frauen begrapscht und geschlagen. Mehren sich solche Fälle?
Die Zahl der Attacken ist nicht gestiegen, die Angriffe aber werden brutaler. Oft kommen sie aus dem Nichts, ohne ersichtlichen Grund. Dieses Phänomen macht mir Sorgen.
Die Hemmschwelle sinkt. Wie erklären Sie sich das?
Dafür gibt es wohl keine einfache Erklärung. Oft sind Alkohol und Drogen im Spiel. Es hat aber auch mit dem Hintergrund der Täter zu tun. Männer aus patriarchalen Kulturen, die schlecht integriert sind, betrachten Frauen als etwas Minderwertiges. Die Folge: Sie schlagen schneller zu.
Ist es nicht zu einfach, das Problem auf Ausländer abzuschieben? Die grösste Gefahr für Frauen sind noch immer die eigenen vier Wände. Häusliche Gewalt kommt vor allem in Schweizer Haushalten vor.
Selbstverständlich gibt es genauso gewalttätige Schweizer, da dürfen wir uns nichts vormachen. Doch auch im häuslichen Bereich höre ich von Polizisten immer wieder, dass Frauen nicht respektiert werden. Dabei ist die Gleichwertigkeit zwischen den Geschlechtern ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft.
Geben Sie ein Beispiel.
Exemplarisch sind Fälle von ausländischen Männern, die sich beim Anrücken der Polizei keiner Schuld bewusst sind. Sie finden es nicht verwerflich, ihre Ehefrau mit einer Ohrfeige zu bestrafen.
Klar ist: Gewalt an Frauen ist weitverbreitet. Braucht es jetzt nicht endlich griffige Massnahmen, um das Problem in den Griff zu kriegen?
Es ist immer einfach, Massnahmen zu fordern – so wie es Politiker jetzt wieder tun. Natürlich kann immer mehr getan werden. So müssen wir etwa die Prävention verstärken, die Integration von Migranten vorantreiben, Polizisten im Umgang mit Übergriffen noch besser schulen und den Austausch zwischen den Kantonen verbessern.
Die Kantone müssen also enger zusammenarbeiten?
Ja. Und nicht nur sie. Alle Akteure, die mit dem Thema zu tun haben, müssen miteinander kooperieren. Polizei, Justiz, Opferhilfestellen, Spitäler, Schulen.
Wie kann man einen solchen Austausch sicherstellen?
Eine Möglichkeit wäre, eine nationale Plattform zu schaffen – ähnlich wie die Taskforce gegen islamistische Radikalisierung. Ich werde das auf Ebene der KKJPD anstossen. Das Ziel muss sein, Erfahrungen im Kampf gegen die Gewalt auszutauschen und den Informationsfluss zu garantieren.
Braucht es nicht auch schärfere Gesetze?
Nein. Die Gesetze für die Bestrafung der Täter sind vorhanden. Sie müssen von den Gerichten aber auch durchgesetzt werden. Die Justiz sollte nicht vor harten Strafen zurückschrecken.
Oft werden die Taten gar nicht erst erfasst. Die Frauen verzichten auf eine Anzeige. Sie denken, dass eine Meldung nichts bringt.
Die meisten Fälle von häuslicher Gewalt müssen von Amtes wegen verfolgt werden. Das Anzeigeverhalten können wir jedoch in der Tat verbessern. Dabei sind wir alle gefordert. Es braucht ein Umdenken in der Gesellschaft. Auch die Polizei muss einen Sondereffort leisten und Vertrauen schaffen.