«Die Stiftung hat eine ganz einfache Aufgabe»
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Peter Brabeck:«Die Stiftung hat eine ganz einfache Aufgabe»

Peter Brabeck über Gentechnologie, sein Verhältnis zur Schweiz – und Schokolade
«Der erste Schritt zu einer neuen Menschheit ist getan»

Der frühere Chef des Nahrungsmittelriesen Nestlé, Peter Brabeck-Letmathe (74), empfängt BLICK in seinem Büro im Nestlé-Stammhaus am Genfersee, das er noch immer nutzt. Ein grosser Schreibtisch beherrscht den Raum, zur Linken fällt ein Hodler-Bild an der Wand auf.
Publiziert: 05.07.2019 um 13:12 Uhr
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Peter Brabeck-Letmathe amtet als Präsident der Stiftung «Geneva Science and Diplomacy Anticipator» (GSDA).
Foto: Darrin Vanselow
Sermîn Faki und Pascal Tischhauser (Interview), Darrin Vanselow (Bilder)

Der Bundesrat stärkt der Schweiz als Gaststaat für internationale Organisationen – und damit Genf – den Rücken. Dazu hat die Landesregierung zusammen mit dem Kanton und der Stadt Genf die Gründung der Stiftung «Geneva Science and Diplomacy Anticipator» (GSDA) vorangetrieben. Aussenminister Ignazio Cassis (58, FDP) holte den einstigen Konzernleiter und Verwaltungsratspräsidenten des Lebensmittelmultis Nestlé, Peter Brabeck-Letmathe (74), als Stiftungspräsident. BLICK trifft den Österreicher in seinem Büro im Nestlé-Stammhaus in La-Tour-de-Peilz VD.

BLICK: Herr Brabeck, Sie sind Präsident der Stiftung GSDA. Was macht die eigentlich?
Peter Brabeck-Letmathe: Im Kern geht es darum herauszufinden, was die Forschung in 15 oder 20 Jahren beschäftigen wird.

Wieso das?
Wir sollen helfen, dass die Schweiz und das internationale Genf für multinationale Organisationen nicht an Attraktivität einbüssen. Man muss sehen: Die meisten Organisationen, die heute in Genf sind, wurden nach dem Krieg gegründet. Niemand weiss, wie wichtig sie in Zukunft noch so sind. Ausserdem hat Genf Konkurrenz bekommen: Auch andere Städte – Oslo, Wien, Singapur – buhlen um solche Organisationen. Das heisst: Wir schauen, dass Genf seine Bedeutung behält – und finden dazu heraus, was in Zukunft wichtig ist.

Sind Sie der richtige Mann dafür?
Das habe ich Aussenminister Ignazio Cassis auch gefragt. Auf den ersten Blick bin ich nicht ideal, um das Präsidium zu übernehmen: kein Schweizer, nicht in Genf wohnhaft … Aber ich kann etwas anderes: Die GSDA soll innerhalb von drei Jahren ein bis zwei Themen präsentieren, die wegweisend sind und internationale Kooperation benötigen. Um das innerhalb dieser Zeit zu leisten, braucht es Erfahrung in internationalem Management und Projektführung. Ich glaube, das habe ich in 50 Jahren Nestlé gelernt.

Was reizt Sie an der Aufgabe?
Wenn man als Fremdarbeiter, der ich ja bin, von der Regierung für eine Aufgabe angefragt wird, sagt man nicht einfach Nein. Es wäre unanständig – vor allem, weil mich die Schweiz immer gut behandelt hat. Vielleicht liegt es daran, dass ich Österreicher bin. Wir haben ja eine dienende Mentalität – wir begrüssen uns mit «Servus», was nichts anderes heisst als «dein Diener».

Engagieren Sie sich bei GSDA ehrenamtlich oder werden Sie dafür entschädigt?
Ich nehme kein Geld dafür. Und ich trage auch die Kosten selbst, die durch das Mandat anfallen. Ich will kein staatliches Geld für mich, das wollen wir lieber in die Projekte stecken.

Sie haben Nestlé angesprochen. Das Unternehmen gehört zur DNA der Schweiz. Nestlé-Produkte findet man in jeder Küche. Sie sind Österreicher – und arbeiten jetzt im Auftrag des Schweizer Staats. Geht das?
Obwohl ich Österreicher bin, habe ich die Schweizer Fahne immer stolz auf dem Nestlé-Hauptsitz wehen lassen. Und nach so vielen Jahren sind mir die Schweizer Werte sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen.

Welche Werte sind das?
Erstens die grosse Toleranz, die vier Kulturen so gut miteinander zusammenleben lässt. Wenn wir diesen Geist in Europa hätten, wäre der Kontinent weiter. Darum habe ich immer bedauert, dass die Schweiz nicht EU-Mitglied ist – Europa könnte viel lernen. Zweitens schätze ich die Einstellung der Schweizer zur Arbeit. Nur so ist es möglich, dass jede Nespresso-Kapsel der Welt hier in der Schweiz hergestellt wird. 

War eine Einbürgerung nie ein Thema für Sie?
Nein. Man ist, was man ist – und ich bin Österreicher. Das heisst nicht, dass ich nicht als Botschafter für die Schweiz tätig sein will. Doch dazu muss ich meine Nationalität nicht aufgeben.

Sie hätten auch Doppelbürger sein können.
Das bringt einen nur in die Bredouille. So weiss ich, für wen mein Herz schlägt, wenn ich ein Skirennen schaue. Ich habe keine Ahnung, wie Doppelbürger das machen. Da bin ich ein hoffnungsloser Fall.

Gut, beim Skifahren ist man als Österreicher derzeit auch besser aufgehoben.
Na, na, die Schweiz ist wieder gut positioniert.

Einen Marcel Hirscher haben wir nicht …
So ernst sollte man den Sport nicht nehmen. Konkurrenz – das weiss ich von meinem guten Freund Franz Klammer – gibt es nur am Wettkampftag. Und nirgendwo wurde Didier Cuche für einen Sieg so bejubelt wie in Kitzbühel.

Jetzt reden wir mit Ihnen über Sport. Eigentlich müssen wir uns über Essen unterhalten. Sie sagten jüngst, Ihr Frühstück bestehe aus einer Tasse Kaffee und ein paar Stücken dunkler Schokolade. 
Es ist nur ein Stück! 

Warum so spartanisch?
Ich mache das seit über 30 Jahren, seit mir ein Medizinmann erklärte, dass man dem Körper Zeit geben müsse, die Nahrung loszuwerden. Wenn man immer isst, bilde sich im Magen eine Art Komposthaufen, der vor sich hinrottet. Das ist mir geblieben. Seitdem versuche ich, von 21 Uhr abends bis mittags nichts zu essen. Ausser eben ein einziges Stück Schokolade. Wollen Sie auch eins?

Gern, danke! Dieses sogenannte Intervall-Fasten ist ja schwer im Trend.
Heute schon. Als ich damit begonnen habe, wurde ich kritisiert: Ohne Frühstück gehe es nicht. Schokolade enthält übrigens viele Antioxidantien und Magnesium. Da spare ich mir gleich noch die Magnesiumtablette.

Nahrungsergänzungsmittel brauchen Sie nicht? Das ist doch jetzt ein grosses Thema für die Lebensmittelbranche.
Das ist ja schon ein riesiger Markt, seit Roche das Vitamin C erfunden hat. Ich persönlich brauche aber keine Ergänzungsmittel.

Gesunde Ernährung ist für Nestlé ein wichtiges Thema. Nun führt Nestlé die Lebensmittel–Ampel ein. Finden Sie das richtig?
Ja, uns ist als Konsument das Gespür abhanden gekommen fürs richtige Mass beim Essen. Lange stieg mit der besseren Kalorienabdeckung die Lebenserwartung. So ab 1990 führten noch mehr Kalorien bei immer weniger Bewegung aber zu negativen Folgen für die Lebenserwartung. Heute müssen wir aus der grossen Auswahl an Lebensmitteln die richtigen auswählen. Es liegt in der Verantwortung der Produzenten, dazu die notwendige Information zu liefern.

Die Schweizer Lebensmittelproduzenten haben sich zudem verpflichtet, den Zuckeranteil in ihren Produkten zu senken. Sollte der Konsument nicht selbst auf sich achten?
Die Lebensmittelindustrie hat schon eine Verantwortung. Früher haben wir Traubenzucker mitgenommen, wenn wir auf den Berg gestiegen sind. Für solche Aktivitäten gibt es heute High-Energy-Spezialprodukte. Wenn wir nur im Büro sitzen, brauchen wir Produkte mit geringerem Zuckeranteil. Ähnlich ist das auch beim Salz. Zu viel ist nun mal ungesund, das gilt ja selbst für Wasser.

Der Österreicher

Peter Brabeck-Letmathe (74) aus dem österreichischen Villach stieg 1968 bei Nestlé Österreich ein. Bis zu seinem offiziellen Rücktritt aus dem weltgrössten Lebensmittelmulti hatte er es zum Konzernchef und Verwaltungsratspräsidenten gebracht. Im Frühling ernannte ihn der Bundesrat zum Präsidenten der neuen Stiftung «Geneva Science and Diplomacy Anticipator» (GSDA). Diese soll kommende Tätigkeitsfelder für das internationale Genf ausarbeiten. Der Bund finanziert die Stiftung mit drei Millionen Franken mit. Als Brabeck als Präsident und Patrick Aebischer (64), früherer Chef der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) und Ex-VR bei Nestlé, als dessen Vize eingesetzt wurden, wurden Vorwürfe laut, bei der GSDA handle es sich um eine staatlich finanzierte FDP/Nestlé-Veranstaltung.

Peter Brabeck-Letmathe (74) aus dem österreichischen Villach stieg 1968 bei Nestlé Österreich ein. Bis zu seinem offiziellen Rücktritt aus dem weltgrössten Lebensmittelmulti hatte er es zum Konzernchef und Verwaltungsratspräsidenten gebracht. Im Frühling ernannte ihn der Bundesrat zum Präsidenten der neuen Stiftung «Geneva Science and Diplomacy Anticipator» (GSDA). Diese soll kommende Tätigkeitsfelder für das internationale Genf ausarbeiten. Der Bund finanziert die Stiftung mit drei Millionen Franken mit. Als Brabeck als Präsident und Patrick Aebischer (64), früherer Chef der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) und Ex-VR bei Nestlé, als dessen Vize eingesetzt wurden, wurden Vorwürfe laut, bei der GSDA handle es sich um eine staatlich finanzierte FDP/Nestlé-Veranstaltung.

Was Ihnen auch wichtig ist. Sie haben sich stark fürs Thema Wassersparen engagiert.
Wasser ist nicht nur für Mensch und Natur, sondern auch für Nestlé überlebenswichtig. Das Unternehmen braucht es als Rohmaterial und für die Produktion. Und der Konsument braucht es zur Zubereitung unserer Produkte. Als ich am WEF zu Wasserknappheit erstmals eine Rede hielt, waren gerade mal 14 Leute im Saal. Die Nichtregierungsorganisationen wussten aber sehr wohl, wie wichtig das Thema ist. Darauf habe ich die Wasserressourcen-Gruppe gegründet. Und eine Studie zeigte uns schon vor 14 Jahren: Wir konsumieren 20 Prozent mehr Wasser, als der natürliche Kreislauf hergibt. Wir müssen umschwenken, weil sonst rasch viel zu wenig Wasser da ist.

Könnte das Thema Wasser etwas sein, dessen sich das internationale Genf annehmen muss?
Wir wissen ja schon, dass wir bei der Landwirtschaft mit Wasser so umgehen müssen wie Israel und bei der Wasserversorgung so effizient sein sollten wie Singapur, denn dann hätten wir keine Probleme mehr. Bei GSDA geht es mehr um die Zukunft der Forschung und ihr Einfluss auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.

Und was könnte diese sein?
Fast sicher dürfte die künstliche Intelligenz uns beschäftigen. Das Brain Project, das neue Erkenntnisse über das Gehirn und seine Erkrankungen finden könnte, ist besonders spannend. Wir wollen mit GSDA darum in der Nähe sein. Ich denke aber noch an etwas anderes.

An was denn?
Die ganze Gentechnologie. Da kommen Dinge auf uns zu, die unsere Ansicht darüber, was ein Mensch ist, völlig verändern dürften. Ein sehr heikles Thema. Wir müssen uns fragen: Wann kommt der Punkt, an dem wir sagen, das ist kein Mensch mehr, das ist ein Avatar? Oder wann sind Sie am Punkt, an dem Sie den Roboter eher als Mensch sehen? Die geklonten Zwillinge in China sind ja schon Realität. Und sie sind nicht nur geklont, sie sind auch genetisch so beeinflusst, dass sie viel grössere intellektuelle Fähigkeiten besitzen sollen. Der erste Schritt zu einer neuen Menschheit ist damit getan. Die beiden Kinder werden vielleicht wieder Kinder haben, die wiederum mit diesem kognitiven Vorteil ausgerüstet sind. Es gibt kein Zurück mehr.

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