Pascal Couchepin (75) über seine Zeit nach dem Bundesrat
«Ich habe keine Sehnsucht»

Alt Bundesrat Couchepin war ein Politiker, der die Macht liebte. Doch sein Rücktritt bereitete ihm keine Probleme. Das Leben als Bundesrat sei nur in Krisenzeiten wirklich aufregend.
Publiziert: 18.06.2017 um 13:08 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 00:45 Uhr
Pascal Couchepin im Garten seines Ferienhauses in Chemin oberhalb von Martigny.
Foto: Thomas Andenmatten
Interview: Benno Tuchschmid

SonntagsBlick: Herr Couchepin, vermissen Sie das Amt?
Pascal Couchepin: Ich habe keine Sehnsucht.

Vermissen Sie die Macht?
Schauen Sie, Bundespolitik ist schwerfällig. Nehmen Sie den Bau des Gotthardtunnels: Zwischen Entscheid und Eröffnung lagen 20 Jahre. Das Gefühl der Macht ist viel begrenzter, als die Leute denken.

Sie galten als äusserst machtbewusst. Wollten Sie wirklich nie in den Bundesrat zurück?
Wenn ich mal der Versuchung erliege, mich nach dem Amt zurückzusehnen, dann denke ich an die langweiligen, aber nötigen Kommissionssitzungen, bei denen man um 12 Uhr eine Viertelstunde darüber diskutierte, ob die Mittagspause nun eine Dreiviertel- oder eine Stunde dauern sollte. Und danach zum Abendessen in der Wohnung ein Joghurt mit Früchten isst.

Das klingt langweilig.
Unsere Verwaltung arbeitet sehr gut, deshalb sind die normalen Zeiten nicht sehr aufregend. Die interessantesten Situationen sind Krisen. Zum Beispiel, als die UBS vor dem Aus stand. Ich war damals Bundespräsident. Das war eine gefährliche und darum spannende Zeit. Und auch derzeit ist es sicherlich interessant im Bundesrat, wegen der schwierigen Entscheide über unser Verhältnis zu Europa.

Hatten Sie sich auf die Zeit nach dem Bundesrat vorbereitet?
Darauf können Sie sich nicht vorbereiten, es kommt – so oder so – anders als geplant. Der beste Rat kam von meinem Sohn. Er hat mir gesagt: Mach dir keine Sorgen. Du hast viele Interessen und die Leute werden nach wie vor gerne mit dir diskutieren.

Ihr Sohn hatte recht. Sie äussern sich öfter als andere alt Bundesräte zu aktuellen politischen Themen.
Bis jetzt, ja. Politik macht mir Spass. Selbst wenn mich die Leute nicht hören wollen, werden sie dazu gezwungen (lacht). Aber auch das wird enden.

Was bedeutet Herr Burkhalters Rücktritt für die Schweizer Europa-Politik?
Das werden wir sehen. Was ich aber feststelle: Europa ist zurück. Macron triumphiert, Merkel ist gefestigt und selbst ihr Gegner Schulz ist EU-Fan. Die Wahlen in Grossbritannien zeigen, dass auch dort die Begeisterung für einen Austritt nicht mehr so riesig ist.

Was bedeutet das für die Schweiz?
Die Schweiz kann abseits stehen und so wahrscheinlich sogar überleben. Oder wir akzeptieren, was uns die Landkarte zeigt und sehen, dass es absolut nötig ist, gemeinsam mit unseren Nachbarn Probleme zu lösen. Das wäre für mich eine Zukunft mit mehr Würde.

Niemand ist dagegen, gemeinsam Probleme zu lösen, aber wenn Sie Umfragen anschauen ...
Würden Sie mich heute fragen, ob ich für einen sofortigen EU-Beitritt sei, wäre meine Antwort auch: Nein. Wenn man fragt: Wollen Sie den bilateralen Weg weiterführen wie bis jetzt? Dann sage ich Ja, natürlich. Realität ist aber: Die EU wird keine weiteren bilateralen Verträge mehr akzeptieren. Es muss sich etwas bewegen, das ist in unserem Interesse.

Darum die Frage: Wie geht es weiter? Bundesrat Burkhalter war Befürworter eines Rahmenabkommens mit der EU. Ist das jetzt vom Tisch?
Das Rahmenabkommen bleibt ein Thema, selbst wenn alle es ablehnen. Rationale Menschen sollten eigentlich wissen, dass man nichts ablehnen kann, dessen Inhalt man nicht kennt. Bei 80 Verträgen mit der EU macht ein vertragliches Dach Sinn. Aber wir müssen präziser darüber sprechen, was wir mit einem Rahmenabkommen meinen.

Der Widerstand gegen fremde Richter ist gross.
Fremde Richter sind manchmal im Interesse des Schweizer Bürgers. Nehmen Sie die Menschenrechtskonvention: Die schützt den einzelnen Bürger vor einem übermächtigen Staat. Sogar Blocher stellt die Menschenrechtskonvention nicht in Frage. In der Welthandelsorganisation WHO akzeptieren wir auch ein Schiedsgericht. Wenn wir nicht aufpassen, wird am Ende der fremde Richter einfach ein amerikanischer sein. Und der vertritt dann amerikanische Interessen.

Mochten Sie eigentlich Bern?
Eine angenehme Stadt.

Wirklich?
Gut, ich muss sagen: Ich habe während meiner elf Jahre als Bundesrat nie von Samstag auf Sonntag in Bern übernachtet. Es gibt Grenzen in meiner Liebe zu Bern.

Bundesrat Burkhalter arbeitete zuletzt oft von zu Hause in Neuenburg aus. Sie flüchteten nach der Bundesratssitzung häufig mit engen Mitarbeitern auf eine Wanderung.
Das war nach intensiven Bundesratssitzungen nötig. Um über die Resultate der Sitzungen und über mich selber nachzudenken. Ich weiss, einige Kollegen sind geneigt, das als Zeichen der Faulheit auszulegen, meinetwegen. Ständig am Arbeitsplatz zu sein und am Ende nicht mehr zu wissen, was man liest, bringt nichts.

In dieser Legislaturperiode könnten noch weitere Bundesräte zurücktreten.
Es gab bis jetzt 120 Bundesräte. Nicht sehr viele in 170 Jahren. Aber im 19. Jahrhundert blieben sie bis zum Tod im Amt. Der Rhythmus war gemächlicher. Ich habe noch erlebt, wie Bundesräte mit Parlamentariern um 16 Uhr jassten.

Um Ihren Parteikollegen Johann Schneider-Ammann ranken sich Rücktrittsgerüchte.
Ach wissen Sie, ich werde wahrscheinlich noch genug lang leben, um den Abtritt aller jetzt aktiven Bundesräte zu erleben.

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