Die Haltung der SP zum EU-Rahmenvertrag habe das Fass zum Überlaufen gebracht, erklärt alt Nationalrätin Chantal Galladé (46). Sie verlässt deshalb die SP und tritt den Grünliberalen bei.
Ein Argument, das bei SP-Nationalrätin Mattea Meyer (30, ZH) für Kopfschütteln sorgt: «Ich bin insofern irritiert, als ich Galladé in Bundesbern in der europapolitischen Auseinandersetzung wenig wahrgenommen habe. Sie hat sich in dieser Frage nicht gross eingebracht.»
SP-Nationalrätin Min Li Marti (44, ZH) hält Galladés europapolitisches Argument für vorgeschoben. «Die Zürcher SP ist ja durchaus europafreundlich eingestellt. Auch beim Rahmenabkommen gibt es kein kategorisches Nein.»
SP im europapolitischen Spagat
Ob vorgeschoben oder nicht: Galladé trifft bei der SP einen wunden Punkt. In der Debatte um das EU-Rahmenabkommen hat sich die SP vom Gewerkschaftsflügel den Takt vorgeben lassen. Nachdem FDP-Aussenminister Ignazio Cassis (57) letzten Sommer laut über eine Lockerung der sogenannten Acht-Tage-Regel nachgedacht hatte, reagierte der damalige Gewerkschaftsboss Paul Rechsteiner (66) verärgert und verweigerte dem Bundesrat – auch dem damaligen Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (67) – das Gespräch.
Die SP-Spitze um Parteichef Christian Levrat (48) stellte sich demonstrativ hinter die Gewerkschaften. Damit begab sich die SP in die europapolitische Bredouille. Einerseits setzt sie sich für eine engere Anbindung an die EU ein – bis hin zum EU-Beitritt. Andererseits lehnt sie die von der EU geforderte und im Rahmenabkommen festgeschriebene Lockerung der flankierenden Massnahmen vehement ab.
Galladés Parteiaustritt ist «positiver Input»
So richtig wohl ist vielen Genossen dieser Spagat nicht. Denn ohne neues Abkommen droht der bilaterale Weg langsam zu erodieren. Aber noch schlimmer: Die SP verkommt ausgerechnet in der Europa-Frage zur Steigbügelhalterin der SVP.
EU-Freunde wie alt SP-Nationalrat Tim Guldimann (68) sehen in Galladés Parteiwechsel denn auch einen willkommenen Weckruf. «Der Austritt ist ein positiver Input für die dringend notwendige Europa-Debatte in der SP im Hinblick auf den Positionsbezug zum Rahmenabkommen», sagt der in Berlin wohnhafte Ex-Botschafter, der für das Abkommen eintritt.
Die SP habe mit ihrer betont ablehnenden Haltung zum Abkommen einen Erosionsprozess eingeleitet, analysiert ein anderer SP-Politiker, der nicht namentlich genannt werden will. Es drohe der Verlust jener Wähler, für die gute Beziehungen zur EU zentral seien.
Mit Mindestlohn SP-Ja sichern?
Es ist ein offenes Geheimnis, dass die SP den Rank beim Rahmenabkommen hin zu einem Ja noch zu finden versucht. Sie pokert hoch, will und muss innenpolitisch aber mehr als ein Zückerchen herausschlagen, um beim Meinungsumschwung das Gesicht nicht zu verlieren. «Wir sind grundsätzlich für ein Rahmenabkommen, wenn wir beim Lohnschutz eine gute Lösung finden», stellt SP-Nationalrat Fabian Molina (28, ZH) klar. «Entscheidend ist doch, welche Kompensationsmassnahmen wir im Gegenzug für die von der EU geforderten Änderungen
erhalten.»
Er nennt auch gleich ein Beispiel, womit der Bundesrat die SP wohl ins Boot holen könnte: «Es braucht mehr Branchen mit Mindestlöhnen oder sogar einen schweizweiten Mindestlohn.»