Nach Monaten des Wahlkampfs erfahren die Parteipräsidenten heute, ob sich ihre zahllosen Reden, Streitgespräche und Flyer-Verteilaktionen gelohnt haben: Am späteren Nachmittag wird die erste Hochrechnung vorliegen. Doch Zeit zum Ausruhen bleibt kaum – nach der Veröffentlichung der Resultate stehen nicht länger Wähleranteile im Fokus der Berner Strategen, sondern die Postenverteilung innerhalb des Bundesrates.
Die voraussichtlichen Sieger des Urnengangs müssen dabei hinten anstehen. Der «Geheimplan» für einen grünen oder grünliberalen Bundesrat, über den immer mal wieder spekuliert wurde, scheint nicht in Sicht. «Ich sehe derzeit kein Szenario, in dem im Dezember ein grüner oder grünliberaler Bundesrat gewählt wird», sagt GLP-Gründungspräsident und Nationalrat Martin Bäumle (55, ZH), «weder auf Kosten der CVP, noch auf Kosten der FDP».
Wichtig sei vielmehr eine wirksame Klimapolitik, meint Bäumle und fügt an: «Erst wenn eine Partei oder eine Fraktion längerfristig, auch über den Ständerat, einen rechnerischen Anspruch anmelden kann, wird ein Sitz im Bundesrat realistisch. Die Schweizer Konkordanz ist mit Konstanz bisher gut gefahren.»
Die Grünen wollen abwarten
Wortkarger geben sich die Grünen. Auf die Frage, ob sie nach einem allfälligen Wahlsieg Anspruch auf einen Bundesratssitz erheben, antwortet Fraktionschef und Nationalrat Balthasar Glättli (47): «Erst müssen wir die Ergebnisse der Wahlen abwarten. Danach werden wir unsere Schlüsse daraus ziehen.» Einen Geheimplan gebe es aber nicht.
All diesen Beteuerungen zum Trotz besprach die Spitze der CVP bereits diese Woche mögliche Szenarien, wie sich die Fraktion verhalten soll, wenn ihr Wähleranteil hinter jenen der Grünen zurückfällt – und im Dezember ein Angriff auf den Sitz von Verteidigungsministerin Viola Amherd (57) erfolgt. Oder wenn einer der beiden freisinnigen Bundesratssitze in Frage gestellt werden sollte.
Dann nämlich würde die CVP über Nacht zur Mehrheitsbeschafferin im Bundesrat – zu einer Kraft, die je nach Geschäft mit Rot-Grün oder mit SVP und FDP zusammenspannt. Nach einer für die CVP enttäuschenden Legislatur ist dies für manche Vertreter der Mittepartei ein verlockendes Gedankenspiel. Obwohl der Partei bereits ihre tragende Rolle bei der Abwahl von Christoph Blocher (79) vor zwölf Jahren nicht sonderlich gut bekommen ist.
Der Aufstieg der SVP in den Stammlanden der CVP wurde mit diesem Manöver nicht gestoppt – im Gegenteil. Der heutige Parteipräsident Gerhard Pfister (57) gehörte schon damals zu jenen, die 2007 vor diesem Schritt gewarnt hatten. Schwer vorstellbar, dass ausgerechnet er für eine neuerliche Rochade Hand bietet. Doch das Verhalten der Parteispitze spricht dafür, dass die CVP im Moment lieber gar nichts ausschliessen will.
Gibt es eine Neuverteilung der Departemente?
Doch selbst wenn ein grüner Triumph an der aktuellen Zusammensetzung des Bundesrates – je zwei Vertreter von SVP, SP, FDP plus eine Vertreterin der CVP – nichts ändert, könnte Bewegung in die Sache kommen: Manche Parteien wollen eine Neuverteilung der Departemente zum Jahreswechsel.
Nichts sei sakrosankt, heisst es bei der Linken, die vor allem mit der Amtsführung von Aussenminister Ignazio Cassis (58, FDP) unzufrieden sind. SP-Nationalrat Fabian Molina (29) präzisiert: «Die Departementsverteilung wird sicher ein Thema nach den Wahlen.» Über einen Wechsel an der Spitze des Aussendepartements wäre er «sicher nicht unglücklich». Allerdings würden durch eine Ablösung von Cassis weitere Neubesetzungen nötig. «Das macht das Ganze wirklich schwierig», so Molina weiter. Die beiden SP-Vertreter im Bundesrat würden ihre Dossiers nur ungern aufgeben, um die undankbaren Verhandlungen mit Brüssel zu führen. Zudem hat die letzte Rochade erst im Dezember stattgefunden, nachdem Karin Keller-Sutter und Viola Amherd neu in den Bundesrat gewählt wurden.
Eine Rotation sei möglich, heisst es dennoch bei der FDP – man bereite sich auf alle Szenarien vor. Zumal sich die Bundesräte in Fragen der Departementsverteilung dieser Tage wieder enger mit ihren Parteien absprechen.
Viele Planspiele also, auf allen Seiten. Sicher ist im Moment nur eines: Auf die Parteipräsidenten warten auch nach den Wahlen noch einige lange Tage.