Parteichef Rösti will Zahlung in letzter Minute verhindern
SVP will Abstimmung über die Ostmilliarde

Der Schweizer Kohäsionsbeitrag an die EU scheint unter Dach und Fach. In einer Haurückübung fordert die SVP nun aber eine Volksabstimmung. Damit will Parteichef Albert Rösti die Milliarden-Zahlung in letzter Minute verhindern.
Publiziert: 25.11.2017 um 23:39 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 16:55 Uhr
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Bundespräsidentin Doris Leuthard heisst EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Donnerstag in Bern willkommen.
Foto: KARL-HEINZ HUG
Simon Marti und Marcel Odermatt

Es soll der ganz grosse Triumph der Doris Leuthard (54) werden: die Entkrampfung des Verhältnisses der Schweiz zur EU. Der Besuch des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker (62) am Donnerstag bot die Plattform, dieses angebliche Meisterstück der Bundespräsidentin zu verkünden und das gute Verhältnis der beiden zur Schau zu stellen.

Bis im kommenden Frühling werde gar ein institutionelles Rahmenabkommen bereit sein – von Juncker kurzerhand in «Freundschaftsvertrag» umbenannt. Wie erwartet, gab der Bundesrat ganz freundschaftlich grünes Licht für die Zahlung von 1,3 Milliarden Franken als Kohäsionsbeitrag an die Europäische Union.

Stellten ihr gutes Verhältnis zur Schau: EU-Präsident Jean-Claude Juncker und Bundespräsidentin Doris Leuthard.
Foto: Keystone

Völlig neue Ausgangslage

Die Kritik, dass die Landesregierung damit ein Verhandlungspfand aus der Hand gibt, hallte schon im Vorfeld durch Bern – und nun macht die SVP Ernst. «Die Ostmilliarde muss vors Volk!», fordert Albert Rösti (50), der Präsident der Rechtspartei, dezidiert.

Noch vor einem Jahr liess die SVP die Gelegenheit, gegen das neue Osthilfegesetz das Referendum zu ergreifen, ungenutzt verstreichen. Dank einer Mehrheit im Parlament war die Grundlage für die neuerliche Zahlung unter Dach und Fach.

Ganz anders 2006. Damals brachte die SVP die Vorlage an die Urne, das Volk stimmte dann allerdings mit 53,4 Prozent für den Schweizer Beitrag. Warum also hat die SVP in ihrem Herzensdossier dieses Mal nicht rechtzeitig interveniert? «Vor einem Jahr wusste man weder, wann die Zahlung erfolgen sollte, noch wie hoch der Betrag ausfällt», verteidigt sich Rösti. «Gegen eine derart vage Vorlage kann man schlecht ankämpfen.» Ausserdem sei damals keine Rede davon gewesen, im Zuge der Ostmilliarde 200 Millionen für die Migration lockerzumachen. «Das Geld fliesst irgendwohin, womöglich nicht einmal nach Osteuropa.» Das sei «eine Schlaumeierei» und eine völlig neue Ausgangslage, sagt der Berner Nationalrat.

Vorstoss dringlich behandeln

Rösti räumt aber auch ein, dass seine Partei damals im Kampf gegen die Energiestrategie voll engagiert gewesen sei. «Natürlich ist es immer eine Ressourcenfrage, wann eine Partei einen Volksentscheid anstrebt», so Rösti. «Wer uns nun aber lediglich den Zeitpunkt vorwirft, scheut die inhaltliche Auseinandersetzung. Oder er hat Angst vor dem Volk.»

Der SVP-Chef skizziert seinen Plan, um die Kohäsionsmilliarde doch noch auf der Zielgeraden abzuschiessen. «Wir haben bereits eine parlamentarische Initiative für ein fakultatives Finanzreferendum lanciert», so Rösti. «Diesen Vor­stoss gilt es nun dringlich zu behandeln.» Damit könnten Bundesausgaben ab einer gewissen Höhe per Referendum bekämpft und gekippt werden.

Soll Röstis Vorhaben aufgehen, müsste das Parlament der SVP nun einen Gefallen tun und das Geschäft auch tatsächlich vorziehen und so rasch als möglich behandeln. «Die entsprechenden Anträge werden wir nächste Woche einreichen», sagt Rösti.

Dann, so der Berner Oberländer, sei eine fristgerechte Abstimmung möglich. «Wer hier mauert, der will die Kohäsionsmilliarde am Volk vorbeischmuggeln.»

Ein sportlicher Zeitplan für die SVP

Nur: Ein fakultatives Finanzreferendum müsste ebenfalls vorab noch an der Urne bestätigt werden. Ein sport­licher Zeitplan für die SVP. «Ist der politische Wille vorhanden, findet sich immer ein Weg», wiegelt Rösti ab. Eine rechtzeitige Abstimmung sei durchaus realistisch. Und künftig könnten auch die politischen Gegner der SVP strittige Bundesausgaben an der Urne streichen.

Albert Rösti: «Wer hier mauert, der will die Kohäsionsmilliarde am Volk vorbeischmuggeln.»
Foto: Keystone

«Die Linke will über den Kauf neuer Kampfjets abstimmen. Wir sind einverstanden, dass das Volk auch darüber befindet, also lasst uns das dazu notwendige Instrument zügig einführen.» In vielen Kantonen sei dies längst möglich, «und es gibt keinen Grund, dass ausgerechnet die Bundesausgaben eine Ausnahme darstellen sollten». Dies sei im Interesse aller politischer Parteien.

Tatsächlich reicht die Diskussion über ein fakultatives Finanzreferendum auf nationaler Ebene weit zurück. Alle Versuche, ein solches einzuführen, scheiterten.

Hilfe von unerwarteter Seite

Erst 2014 sagte das Parlament Nein zu einem entsprechenden Vorstoss der SVP. Bei den anderen bürgerlichen Parteien dürfte Röstis Plan auch dieses Mal einen schweren Stand haben. Die CVP wird der SVP kaum den Gefallen tun, das Prestigeprojekt ihres Aushängeschilds Leuthard zu gefährden. Aus der FDP heisst es lapidar, dass die Rechtspartei die Chance auf ein Referendum vertan habe.

Hoffnung für Rösti kommt von unerwarteter Seite: Zwar sagt auch SP-Präsident Christian Levrat im Interview mit SonntagsBlick klipp und klar, dass die SVP ihre Chance auf ein Referendum «verschlafen habe». Mit Blick auf die Ostmilliarde sagt er aber auch, dass er sich «der Idee einer Abstimmung nicht verschliesse». Levrat ist sich sicher, auch dieses Mal eine Mehrheit im Volk überzeugen zu können.

Das Missverständnis

Den Namen Martin Selmayr muss man hierzulande nicht kennen. Allerdings eröffnet ebendieser Name einen vertieften Einblick in die Feinmechanik der europäischen Kabinettspolitik.

Im letzten Herbst hatte sich Bundesbern für eine sanfte Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative entschieden. Brüssel jedoch war skeptisch, ob damit nicht doch der eine oder andere Buchstabe des Freizügigkeitsabkommens verletzt würde. Und selbst für den Fall, dass dem nicht so wäre, plädierten in der EU viele dafür, die Schweizer noch etwas zu ärgern, ihnen in jedem Fall weiter die kalte Schulter zu zeigen.

Dann aber sprach Angela Merkel ein paar Takte mit Martin Selmayr – der ist Deutscher und wie Merkel Mitglied der CDU. Angesichts des Brexit und den bevorstehenden Wahlen in einer Reihe europäischer Länder wollte die Kanzlerin endlich Ruhe an der Schweizer Front. Selmayr wiederum sprach mit Jean-Claude Juncker, denn damit verdient der Mann seine Brötchen: Er ist der Kabinettschef des EU-Kommissionspräsidenten.

Kurz darauf traf sich Selmayr mit dem damaligen Bundespräsidenten Johann Schneider-Ammann. Und teilte mit: Aus Brüsseler Sicht sind alle Bedenken punkto Masseneinwanderungs-Initiative aus der Welt – die Beziehungen zwischen Brüssel und Bern gelten wieder als intakt und als grundsätzlich ausbaufähig.

Man könnte auch sagen: Selmayr drückte den Reset-Knopf.

Natürlich kam Jean-Claude Juncker diese Woche auch nach Bern, um 1,3 Milliarden Franken an Kohäsionsgeldern abzuholen. Vor allem aber war er hier, weil er öffentlich besiegeln wollte, was sein Mitarbeiter Selmayr vor Jahresfrist eingefädelt hatte: das Ende des vom Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative ausgelösten Zwists mit Bern.

Für die hiesige Öffentlichkeit sind derlei prätentiöse Gesten schwer zu verstehen. Aus Schweizer Sicht ist die Sache mit der EU-Zuwanderung ja längst gegessen, weshalb man hierzulande viel zu viel Neues von dem Besuch erwartet hatte: entscheidende Worte etwa zum Rahmenabkommen. Oder Verhandlungsbereitschaft in der Frage der berühmt-berüchtigten «fremden Richter».

Tatsächlich aber ging es am Donnerstag nur ganz am Rande um diese Themen. Stoff für die Schweizer Politdebatte gab es trotzdem: Die Kohäsionsmilliarde ist ein gefundenes Fressen für die SVP. In der Tat lässt sich diese Zahlung dem heimischen Publikum nicht mehr so leicht verkaufen wie noch vor zehn Jahren: Damals ging das Geld noch an bedürftige Oststaaten, heute präsentieren sich viele dieser Länder – man denke nur an Ungarn oder Polen – als Autokratien.

Und das ist die Ironie am Bern-Besuch des Kabinettspolitikers Jean-Claude Juncker: Er kam, um publikumswirksam die Friedenspfeife zu rauchen, stattdessen wurde gleich das nächste Kriegsbeil ausgegraben.

Martin Selmayr hat derweil andere Sorgen. Im Oktober soll er Medien vertrauliche Informationen über ein Treffen zwischen Juncker und der britischen Premierministerin Theresa May zugespielt haben. In Britannien zumindest kennt jetzt jeder seinen Namen.

Den Namen Martin Selmayr muss man hierzulande nicht kennen. Allerdings eröffnet ebendieser Name einen vertieften Einblick in die Feinmechanik der europäischen Kabinettspolitik.

Im letzten Herbst hatte sich Bundesbern für eine sanfte Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative entschieden. Brüssel jedoch war skeptisch, ob damit nicht doch der eine oder andere Buchstabe des Freizügigkeitsabkommens verletzt würde. Und selbst für den Fall, dass dem nicht so wäre, plädierten in der EU viele dafür, die Schweizer noch etwas zu ärgern, ihnen in jedem Fall weiter die kalte Schulter zu zeigen.

Dann aber sprach Angela Merkel ein paar Takte mit Martin Selmayr – der ist Deutscher und wie Merkel Mitglied der CDU. Angesichts des Brexit und den bevorstehenden Wahlen in einer Reihe europäischer Länder wollte die Kanzlerin endlich Ruhe an der Schweizer Front. Selmayr wiederum sprach mit Jean-Claude Juncker, denn damit verdient der Mann seine Brötchen: Er ist der Kabinettschef des EU-Kommissionspräsidenten.

Kurz darauf traf sich Selmayr mit dem damaligen Bundespräsidenten Johann Schneider-Ammann. Und teilte mit: Aus Brüsseler Sicht sind alle Bedenken punkto Masseneinwanderungs-Initiative aus der Welt – die Beziehungen zwischen Brüssel und Bern gelten wieder als intakt und als grundsätzlich ausbaufähig.

Man könnte auch sagen: Selmayr drückte den Reset-Knopf.

Natürlich kam Jean-Claude Juncker diese Woche auch nach Bern, um 1,3 Milliarden Franken an Kohäsionsgeldern abzuholen. Vor allem aber war er hier, weil er öffentlich besiegeln wollte, was sein Mitarbeiter Selmayr vor Jahresfrist eingefädelt hatte: das Ende des vom Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative ausgelösten Zwists mit Bern.

Für die hiesige Öffentlichkeit sind derlei prätentiöse Gesten schwer zu verstehen. Aus Schweizer Sicht ist die Sache mit der EU-Zuwanderung ja längst gegessen, weshalb man hierzulande viel zu viel Neues von dem Besuch erwartet hatte: entscheidende Worte etwa zum Rahmenabkommen. Oder Verhandlungsbereitschaft in der Frage der berühmt-berüchtigten «fremden Richter».

Tatsächlich aber ging es am Donnerstag nur ganz am Rande um diese Themen. Stoff für die Schweizer Politdebatte gab es trotzdem: Die Kohäsionsmilliarde ist ein gefundenes Fressen für die SVP. In der Tat lässt sich diese Zahlung dem heimischen Publikum nicht mehr so leicht verkaufen wie noch vor zehn Jahren: Damals ging das Geld noch an bedürftige Oststaaten, heute präsentieren sich viele dieser Länder – man denke nur an Ungarn oder Polen – als Autokratien.

Und das ist die Ironie am Bern-Besuch des Kabinettspolitikers Jean-Claude Juncker: Er kam, um publikumswirksam die Friedenspfeife zu rauchen, stattdessen wurde gleich das nächste Kriegsbeil ausgegraben.

Martin Selmayr hat derweil andere Sorgen. Im Oktober soll er Medien vertrauliche Informationen über ein Treffen zwischen Juncker und der britischen Premierministerin Theresa May zugespielt haben. In Britannien zumindest kennt jetzt jeder seinen Namen.

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