Was passiert, wenn das Gesuch eines Asylbewerbers abgelehnt und er zur Ausreise aufgefordert wird? Normalerweise hat er drei Möglichkeiten: Er rekurriert, er reist offiziell aus – oder er reist «unkontrolliert ab», wie es in der Sprache des Staatssekretariats für Migration (SEM) heisst. Was den Eindruck vermittelt, die Leute würden die Schweiz verlassen und in einem anderen Land ihr Glück versuchen.
Doch dies kann das SEM, welches Justizministerin Simonetta Sommaruga (58) untersteht, nicht mit Sicherheit sagen. Oft ist es auch nicht der Fall. Das hat die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats (GPK) herausgefunden. Sie liess im Rahmen einer Prüfung der Ausschaffungshaft auch untersuchen, ob negative Asylentscheide zu einer Ausreise führen oder nicht. Mehr als 61’000 Asylentscheide schaute sie sich an.
Von 45 Prozent weiss niemand, wo sie sind
Die Prüfung ergab: 47 Prozent der abgelehnten Asylsuchenden reisten unter den Augen der Behörden aus der Schweiz aus. Bei acht Prozent wurde der negative Entscheid in einen legalen Status umgewandelt, meist in eine vorläufige Aufnahme. 25 Prozent sind «unkontrolliert abgereist». Bei den restlichen 20 Prozent ist der Ausreisestatus «offen». Was heisst, dass niemand so genau weiss, wo 45 Prozent der abgelehnten Asylsuchenden sind.
Denn die Untersuchung zeigt auch: Viele von denen, die «unkontrolliert abgereist» sind oder deren Verbleib «offen» ist, bleiben in der Schweiz. Anhand eines Vergleichs zwischen der Datenbank des SEM und dem Monitoring Nothilfe konnte nachgewiesen werden, dass 41 Prozent der Personen mit einem «offenen» Ausreisestatus irgendwann Nothilfe bezogen haben. Sich also weiterhin in der Schweiz befanden. Auch neun Prozent jener, die als «unkontrolliert Abgereiste» geführt wurden, bezogen später einmal Nothilfe.
GPK spart nicht mit Kritik
In der SEM-Datenbank sah man davon nichts. «Dies bedeutet, dass die Kategorie der unkontrollierten Abreise die effektiven Verhältnisse nicht korrekt widerspiegelt», schliesst die GPK daraus. Und teilt ordentlich aus: «Die Datenverwaltung des SEM ist ineffizient, fehleranfällig und von beschränktem Nutzen», so die Kritik.
Die Kommission fordert den Bundesrat nun auf, dafür zu sorgen, dass untergetauchte Personen als solche erfasst werden. Zudem sollen die Meldepraxis der Kantone vereinheitlicht und die Meldungen der Kantone tatsächlich registriert werden. Auch am Begriff der «unkontrollierten Abreise» stört sich die Kommission. Hier soll der Bundesrat dafür sorgen, dass er nicht mehr für untergetauchte Asylbewerber verwendet wird.
SEM rechtfertigt sich
Auf Anfrage von BLICK lässt das SEM ausrichten, es habe den Bericht zu Kenntnis genommen. «Zum genauen Verbleib von Asylsuchenden nach deren unkontrollierten Abreisen hat das SEM naturgemäss in der Regel keine präzisen Angaben. Hingegen gibt keine Hinweise darauf, dass Personen, die das Schweizer Asylverfahren unkontrolliert verlassen, mehrheitlich in der Schweiz verbleiben», sagt Sprecher Martin Reichlin.
Man würde aber alle kantonalen Meldungen auch in die Datenbank eintragen. Zudem würden alle Asylsuchenden registriert, inklusive Fingerabdrücke und persönlicher Daten. Unkontrolliert abgereiste Personen könnten zudem in Fahndungssystemen zur Verhaftung ausgeschrieben werden.
Das SEM habe in der Kommission Stellung zu den einzelnen Punkten des Berichts genommen und auch Fragen beantwortet.«Wir werden den fertigen Bericht nun sorgfältig analysieren und die Empfehlungen der Kommission genau prüfen. Im kommenden Herbst wird dann der Bundesrat gegenüber der Kommission Stellung nehmen.»
Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK) kritisiert, dass in der Schweiz Kinder im Asylprozess inhaftiert werden. GPK-Präsident Alfred Heer erinnerte heute vor den Medien an die Diskussion über Migrantenkinder in US-Gefängnissen. Die GPK geht davon aus, dass es auch in der Schweiz solche Fälle gibt. Das wäre ein klarer Verstoss gegen die Kinderrechtskonvention, sagte Heer.
Das Ausländergesetz verbietet die Haft für Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren ebenfalls. Trotzdem kommt es offenbar in einigen Kantonen dazu. Genaue Angaben fehlen allerdings, weil die Kantone diese Fälle nicht oder nicht einheitlich registrieren.
Die GPK fordert den Bundesrat auf, die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten und dafür zu sorgen, dass Minderjährige unter 15 Jahren nicht inhaftiert werden. Für den Vollzug der Wegweisung von Familien seien alternative Möglichkeiten zu prüfen. Für Minderjährige über 15 Jahre sollen geeignete Haftplätze geschaffen werden. (sda)
Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK) kritisiert, dass in der Schweiz Kinder im Asylprozess inhaftiert werden. GPK-Präsident Alfred Heer erinnerte heute vor den Medien an die Diskussion über Migrantenkinder in US-Gefängnissen. Die GPK geht davon aus, dass es auch in der Schweiz solche Fälle gibt. Das wäre ein klarer Verstoss gegen die Kinderrechtskonvention, sagte Heer.
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