Offenherzige Postfinance-App
Schneller Einblick in fremde Finanzen

Viele Schweizerinnen und Schweizer haben für den Notfall vorgesorgt und Familienmitgliedern oder Freunden eine Vollmacht ausgestellt. Genau das führt aber bei Postfinance und ihrem Smartphone-App dazu, dass man Einblick in fremde Konten erhält.
Publiziert: 03.06.2015 um 14:22 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 21:45 Uhr
Eine Vollmacht führt bei Postfinance und ihrem Smartphone-App dazu, dass man Einblick in fremde Konten erhält.

Wer mit einer Vollmacht für den Notfall vorsorgt, will abgesichert sein. Viele denken dabei an eine Situation, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr fähig sein könnten, Rechnungen zu bezahlen. Dann sollen das nahe Verwandte oder Freunde für sie erledigen. Der «Kassensturz» berichtet von einer Mutter, die vor mehr als zehn Jahren ihrer Tochter deshalb eine Vollmacht für ihr Bankkonto aus. Sie unterschrieb, dass sie ihrer Tochter die Befugnis erteilt, sie gegenüber der Postfinance rechtsgültig zu vertreten. Es sei ihr klar, dass sie ihrer Tochter umfassende Rechte einräumte, sagte die Frau dem «Kassensturz».

Sie dachte gar nicht mehr daran, bis ihre Tochter sie darauf hinwies, dass sie nun auf der Postfinance-App Einblick in das Konto der Mutter hatte, den Saldo und die letzten Bewegungen einsehen könne. Der Tochter war es nicht recht, denn umgekehrt hätte sie das auch nicht gewollt. Und die Mutter kritisiert die fehlende Privatsphäre, auch wenn ihre Tochter ihre Vertrauensperson sei.

Wie kann das sein? Die Postfinance-App führt nämlich auch Konti auf, auf der Kontoinhaber nur eine Vollmacht haben. Die Konten erscheinen ganz einfach, wenn man im Menu auf «weitere Konti anzeigen» geht. In der App kann man Konti zwar deaktivieren, dann erscheinen sie nicht auf der Anzeige, aber der Vollmachtgeber hat keine Kontrolle darüber.

Die Postfinance bestätigt auf Anfrage von «Kassensturz», dass Kunden sich mit der App einfach Einblick in Konti mit Vollmacht verschaffen können. Und es sei nachvollziehbar, dass dies zu Fragen führe, wenn eine Vollmacht nur für den Notfall ausgestellt worden sei. Nur: Für eine Bank sei nicht ersichtlich, zu welchem Zweck eine Kunde eine Vollmacht erteilt habe. Aber die Postfinance weist darauf hin: «Es ist zentral, dass man sich bei der Ausstellung einer Vollmacht deren rechtlicher Wirkung bewusst ist. Eine bevollmächtigte Person hat praktisch genau die gleichen Rechte über ein Konto wie der Kontoinhaber selbst.» Sonja Reber hat sich entschieden, sie will die Vollmacht zurückziehen.

Eine Umfrage des «Kassensturz» zeigt aber, dass die anderen Finanzinstitute zurückhaltender sind. Bei UBS und Migros Bank braucht es neben der Vollmacht auch einen E-Banking-Vertrag. Erst dann aktiviert die Bank den Zugang zum Konto des Bevollmächtigers. CS, Raiffeisen, Coop-Bank und die Zürcher Kantonalbank verlangen dazu auch noch eine zusätzliche explizite Ermächtigung für den Zugang über die App. (eis)

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